30. März 2017

Exitus in Linz: System im Visier

Im tragischen Todesfall einer vermeintlichen „Migräne“-Patientin schließen Opfervertreter auch ein Organisationsverschulden nicht aus. Derzeit läuft ein Gutachten, das über die Anklage auf fahrlässige Tötung entscheidet. (Medical Tribune 12/2017)

Die Bildgebung kam für eine Patientin mit Aneurysma-Ruptur zu spät. Die Staatsanwaltschaft ermittelt, ob sie hätte gerettet werden können.
Die Bildgebung kam für eine Patientin mit Aneurysma-Ruptur zu spät. Die Staatsanwaltschaft ermittelt, ob sie hätte gerettet werden können.

Im November starb eine 36-jährige Frau an einer Aneurysma-Ruptur, nachdem sie bei den Barmherzigen Brüdern (BHB) in Linz in der Notfallambulanz mit einer Kopfschmerzdiagnose entlassen wurde. Im Zuge einer Recherche-Kooperation mit der „Kronen Zeitung“, deren Bericht am 26.11.2016 Ermittlungen der Staatsanwaltschaft auf den Plan gerufen hatte, bringt MT nun weitere Details zum Vorschein, die Fragen nach einem möglichen Systemversagen aufwerfen. Demnach hatten die Rettungssanitäter bei der Übergabe der Patientin im Krankenhaus gleich zweimal von einem „Taubheitsgefühl im Bein“ berichtet und den Verdacht auf eine TIA erwähnt. Auch im Arztbrief, der der MT vorliegt, sind eine passagere Vorfußheberparese li. und ein Kribbeln der Finger 1–4 li. dokumentiert. Anamnestisch hatte die Mutter zweier Kinder im Alter von 11 und 15 zweimal einen Migräneanfall – während ihrer Schwangerschaften (laut Sanitäter) und ohne sensible Aurasymptomatik.

Aufgrund dieser berichteten neurologischen Symptome hätte ein Schädel- CT gemacht werden müssen, argumentiert Prof. Dr. Johannes Hintermayr, der als Rechtsvertreter für den Witwer und die zwei Halbwaisen zivilrechtliche Schadenersatzansprüche im Rahmen des laufenden Strafverfahrens geltend macht. Die mutmaßlich der „fahrlässigen Tötung“ Beschuldigte, eine Assistenzärztin, habe die Patientin ohne weitere Abklärung entlassen. Hintermayr weist auch darauf hin, dass das Schmerzmittel-Rezept mit falschem Datum, nämlich 17.11., ausgestellt worden sei. Aber auch ein „Organisationsverschulden“ stehe im Raum, da die Beschuldigte erst seit Jänner 2015 ihre FA-Ausbildung (Neurologie) begonnen hat und dennoch alleine in der Notfallambulanz zum Dienst eingeteilt wurde.

Große Last für Jungärzte

Die Gerichte müssten nun klären, welche Konsequenzen aus diesem tragischen Todesfall zu ziehen sind, sagt dazu Dr. Johannes Neuhofer, 1. Vizepräsident der Ärztekammer für OÖ, auf MT-Anfrage. „Dieser zutiefst bedauernswerte Fall zeigt aber auf, dass junge Ärzte allein die Verantwortung übernehmen müssen, weil in allen Bereichen des Gesundheitssystems gespart wird.“ Werde das Gesundheitssystem weiterhin „zu Tode“ gespart, könne es passieren, „dass ganz junge Ärzte alle Herausforderungen selbst tragen müssen, und das ist oft von unerfahrenen Jungärzten trotz bestem Bemühen kaum zu schaffen.“ Da könnten einfach Fehler passieren.

Sanitätsaufsicht prüfte

Vor wenigen Wochen war auch die sanitäre Aufsicht der Stadt Linz mit ihrem Prüfbericht fertig. Fazit: Keine Mängel im organisatorischen Ablauf feststellbar. Die fachliche Beurteilung der Diagnosen und der Behandlung erfolge durch Gutachter und die Staatsanwaltschaft, informierte dazu Gesundheitsreferent Vizebürgermeister Detlef Wimmer in einer Aussendung (8.2.2017). Die Behörde beurteile nur die organisatorischen Abläufe.

Dem dürfte aber nicht so sein, wie ein genauer Blick auf den Prüfbericht zeigt. Denn als Begründung, wieso eine „Entlassung ohne FA-Beurteilung möglich“ gewesen sei, führt er just eine medizinische Fragestellung an – nämlich von insgesamt sieben Arbeitsdiagnosen sei folgende zutreffend gewesen: „rezidivierende Kopfschmerzen mit Remission mit/ohne Therapie und normalem neurolog. Befund“. Wie kommt die Sanitätsaufsicht genau auf diese eine Arbeitsdiagnose? Bei anderen Arbeitsdiagnosen, z.B. „Kribbelmissempfindungen“, hätte ein FA hinzugezogen werden müssen.

Amtsärztin Dr. Gabriele Kainz-Arnfelser verweist auf die Aussendung. Der Prüfbericht selbst führt als Quellen nur angeforderte Unterlagen und „(elektronische) Korrespondenzen“ mit Priv.-Doz. Dr. Thomas Müller, Ärztlicher Direktor der BHB, an. Müller berichtet auf MT-Anfrage, dass die „sanitäre Einschau“ im Haus gewesen sei und alle Unterlagen einsehen konnte. Ein mögliches Organisationsverschulden weise er „auf das Entschiedenste“ zurück.

Angesprochen darauf, ob die BHB Konsequenzen aus dem Fall gezogen haben, meint er: „Wir bedauern diesen Tod der Patientin zutiefst, aber es ist bislang sanitätsrechtlich geklärt worden, dass alle Prozesse in Ordnung sind. Also warum sollten wir Prozesse umstellen? Das laufende Erhebungsverfahren der Staatsanwaltschaft kann und will ich nicht kommentieren.“ Die ermittelnde Staatsanwältin Dr. Sabine Redl wartet auf ein Gutachten eines klinisch tätigen Neurologen, wie ihr Sprecher mitteilt. Von diesem Gutachten hängt es ab, ob es zu einer Anklage wegen „fahrlässiger Tötung“ kommt. Eine zivilrechtliche Klage, unter anderem auf „Trauerschmerzengeld“, ist laut Opfervertreter aber sicher.

 

Die fatalen Geschehnisse
Am 18.11.2016, 5.55 Uhr, bringt die Rettung eine Patientin mit starken Kopfschmerzen in die Notfallambulanz der Barmherzigen Brüder in Linz. Bei der Übergabe weisen die Sanitäter auf Erbrechen und ein Taubheitsgefühl im Bein hin. In der Ambulanz präsentiert sich die Patientin aber mit normalem neurologischen Status und wird entlassen.
Diagnosen: Passagere Kopfschmerzepisode und berichtete passagere Vorfußheberparese DD im Rahmen einer bekannten episodischen Migräne. Am Nachmittag bricht sie zusammen, wird intubiert in den Neuromed Campus eingeliefert. Diagnosen u.a.: SAB V, ICB re., massives Hirnödem, Mediaaneurysma re. 20.11.2016: Hirntoddiagnostik.

 

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune