Die „Kriegskasse“ der Ärztekammer
Medical Tribune hat die Bilanzen der mächtigen Wiener Standesvertretung durchforstet. Ein „Aktions- und Kampffonds“ ist 24 Millionen Euro schwer. Martialisch geht es auch im Wahlkampf zu: Das Klima ist feindselig. (Medical Tribune 11/2017)
Tirol, das Heimatland des Präsidenten der Österreichischen Ärztekammer, hatte den Anfang gemacht. Dr. Artur Wechselberger konnte dort die absolute Mehrheit souverän verteidigen. Jetzt nimmt die Ärztekammerwahl im Rest des Landes Fahrt auf. Allen voran stehen am 25. März die Wahlen der Standesvertreter in Wien an. Die politischen Themen sind ebenso heiß diskutiert wie vielfältig. Medical Tribune nahm die bevorstehenden Wahlen darüber hinaus zum Anlass, um sich die Bilanzen der mächtigen Wiener Ärztekammer genauer anzuschauen und dabei insbesondere auch die Entwicklung über die vergangenen Jahre zu analysieren.
Der „Kampffonds“
Wie sich zeigt, haben sich die Kammerumlagen seit dem Jahr 2011 (so lange zurück veröffentlicht die Ärztekammer für Wien Auszüge ihrer Bilanzen auf ihrer Homepage) relativ stabil entwickelt. Mit rund 11,14 Millionen Euro lagen die Umlagen zuletzt (die jüngsten Daten beziehen sich auf das Jahr 2015) minimal über dem Niveau von 2011, als es 11,03 Millionen waren. Einige Posten auf der Ausgabenseite sind unterdessen jedoch dramatisch angestiegen. Der Personalaufwand ist von 3,6 Millionen Euro auf 5,1 Millionen gestiegen, die Ausgaben für Öffentlichkeitsarbeit wurden von rund 980.000 Euro im Jahr 2011 auf 1,8 Millionen Euro im Jahr 2015 fast verdoppelt. Besonders spektakulär ist der sogenannte „Kampf- und Aktionsfonds“, der aus den laufenden Erträgen gespeist wird und auf ein Volumen von rund 24 Millionen Euro angewachsen ist. Vier Jahre zuvor sind es 18,6 Millionen gewesen.
Im Zuge weiterer Recherchen wurden der Medical Tribune zusätzliche Dokumente und Anlagen des Jahresabschlusses 2015 (die 2016er Bilanz liegt noch nicht auf dem Tisch) zugespielt, die interessante Detailinformationen enthalten. Darin wird etwa aufgelistet, wofür Teile des „Kampffonds“ in besagtem Jahr ausgegeben wurden. Da wäre etwa eine „Medienkampagne Krankenanstaltenarbeitszeitgesetz“ um 1,3 Millionen Euro, fast 550.000 Euro wurden für „Kassenverhandlungen WGKK“ ausgegeben, gut 450.000 Euro für, wie es heißt, „Kampfmaßnahmen der Kurie Niedergelassene Ärzte Mystery Shopping“.
Summa summarum wurden laut diesen Unterlagen im Jahr 2015 rund 3,33 Millionen Euro an Mitteln aus dem Fonds verwendet. Das ist mehr als an Dotierung hinzukam, sodass das Volumen des Fonds gegenüber 2014 sogar wieder etwas zurückgegangen ist. Der Medical Tribune wurde auch eine Liste übermittelt, aus der hervorgeht, wie viel ihres PR-Budgets die Kammer in einzelne Medien „investiert“ hat: Über sechs Quartale, also vom letzten des Jahres 2014 bis zum ersten 2016, wanderte allein zu den drei großen Boulevard-Zeitungen des Landes demnach etwa eine Million Euro.
Die Quellen derartiger Informationen sind der Redaktion bekannt, sie wollen aber nicht genannt werden – auch das ist Wahlkampf nach Wiener Art. Apropos: Politische Gegner der aktuellen Kammer-Spitze bezichtigen diese der Misswirtschaft. „Man hat bei der letzten Wahl versprochen zu sparen, tatsächlich ist aber das Gegenteil passiert“, sagt etwa Dr. Wilhelm Appel, der auf der Liste „Union Wiener Ärzte“ kandidiert, auf Anfrage der MT. Die Bilanzsumme (das ist die Summe der Vermögensgegenstände auf der Aktivseite bzw. die Summe des Gesamtkapitals auf der Passivseite) der Wiener Ärztekammer belief sich 2015 auf rund 47,5 Millionen Euro. Neben dem Kampffonds schlagen auf Seite der Passiva Rückstellungen in Höhe von 13 Millionen Euro zu Buche, bei den Aktiva wiederum ein Anlagevermögen von rund 20 Millionen.
Kritikern wie Appel ist all das im Verhältnis zu den Umlagen zu viel des Guten: „Im Prinzip sollten die Umlagen doch nur die laufenden Kosten abdecken, tatsächlich aber hat man in Relation zu den Jahresbudgets offenbar sehr hohe Beträge auf die Seite gelegt. Da frage ich mich schon, ob nicht die Umlagen zu hoch sind.“ Sagt es und wünscht sich für die Zukunft mehr Miteinander, „dass man mit dem Visavis spricht und nicht die Tür zuknallt“. Der amtierende Präsident der Wiener Ärztekammer, Dr. Thomas Szekeres, wehrt sich gegen derartige Vorwürfe: „Die Kammerumlagen wurden zweimal sogar deutlich gesenkt. Das war seit Jahren nicht mehr der Fall gewesen.“
Das Klima im Wahlkampf ist generell feindselig. Die Grünen Ärztinnen und Ärzte schlagen in ihrem Wahlprogramm ebenfalls raue Töne an: „Die Ärztekammer genießt keinen guten Ruf. Sie gilt als Selbstbedienungsladen und Spielwiese einiger weniger mächtiger Funktionäre“, heißt es dort. Medical Tribune hat Szekeres auch auf die Ausgaben für Kampfmaßnahmen und Öffentlichkeitsarbeit angesprochen. „Es ist korrekt, dass die Kosten für die Öffentlichkeitsarbeit der Ärztekammer für Wien – aber auch der Österreichischen Ärztekammer – gestiegen sind“, sagt er.
Das habe aber gute Gründe: Zum einen steige die Notwendigkeit aller Institutionen, ihre Klientel aufzuklären. „Wir leben in einem Kommunikationszeitalter, noch nie war der Medien-Konsum der Bürger so hoch wie heute“, erklärt Szekeres. Zum anderen gebe es zahlreiche Konflikte, die in den vergangenen Jahren schon gärten, die zuletzt aber eskalierten. „Deshalb wurde auch vorsorglich ein höherer Ausgabenrahmen fixiert, abrufbar bei Notwendigkeiten“, so der Präsident. „Diese ergaben sich in einem Ausmaß, das beträchtlich war, nicht zuletzt provoziert durch indolente Haltungen seitens der Politik.“
Argumente des Präsidenten
Tatsächlich war die Kammer in Sachen Kampfmaßnahmen in der jüngeren Vergangenheit höchst aktiv: Es fand eine Auseinandersetzung um gerechte Entlohnung der ärztlichen Mitarbeiter statt, Eingriffe in die Autonomie der Ärzte, Probleme rund um ELGA, das massive Zurückfahren der Wiener Gesundheitsversorgung (Stichwort Gangbetten) oder auch ein „Spitzelwesen der Sozialversicherung“ (O-Ton Szekeres). Der Chef der Wiener Ärztekammer weist darauf hin, dass „unsere Kommunikationsausgaben auch zu spürbaren Erfolgen geführt haben“ und führt unter anderen die Anpassung der Gehälter der Spitalsärzte ins Treffen. „Im Übrigen wurden alle Beschlüsse einvernehmlich und vorab getroffen“, so Szekeres.