8. März 2017

Abtreibung auf stürmischer See

Die „Women on Waves“-Aktion hat die ­Abtreibungsdebatte in Guatemala neu befeuert. (Medical Tribune 10/2017)

Die Idee hinter den Aktionen von „Women on Waves“ ist bestechend einfach: Wenn Schwangerschaftsabbrüche in einem Land verboten sind, wird Frauen ein „Shuttle“ in internationale Gewässer angeboten. Dort können sie – ganz legal – Abtreibungspillen erhalten und einnehmen. Damit das rechtlich abgedeckt ist, muss das Schiff unter der Flagge eines Landes segeln, in dem der medikamentös induzierte Abort legal ist. „Women on Waves“ sind unter der Flagge der Niederlande unterwegs – dem Heimatland von Dr. Rebecca Gromperts, der Gründerin der NGO.

„Todesschiff“ beherrscht die Schlagzeilen in Guatemala

Die letzte Aktion führte „Women on Waves“ Ende Februar nach Guatemala. Mit an Bord war diesmal der Wiener Gynäkologe Dr. Christian Fiala. Auf Facebook zog er Bilanz über den turbulenten Einsatz: „Obwohl wir die Aktion vorzeitig abbrechen müssen, war sie doch sehr erfolgreich.“ Schwangerschaftsabbrüche wurden aufgrund des massiven Widerstandes seitens der lokalen Behörden zwar keine durchgeführt, das Medienecho war aber enorm und die Debatte um das Thema Abtreibung zog sich bis in die guatemaltekische Spitzenpolitik. Immer wieder fielen Bezeichnungen wie „Barco de la muerte“, also „Schiff des Todes.“

Vor „Women on Waves“ war Gromperts Schiffsärztin auf dem Green­peace-Schiff „Rainbow-Warrior“. Ihre medienwirksamen Aktionen für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch erinnern daher wohl nicht ganz zufällig an den Stil früherer Kampagnen der Umweltschutzorganisation. Gromperts bringt Misoprostol allerdings nicht nur auf dem Seeweg zu ungewollt schwangeren Frauen. In einer öffentlichkeitswirksamen Aktion ließ sie 2015 Drohnen mit den Abtreibungspillen von Deutschland aus über die polnische Grenze fliegen. Das EU-Land hat, neben dem ebenfalls stark katholisch geprägten Irland, eines der restriktivsten Abtreibungsgesetze Europas. Ein 2016 im polnischen Parlament zur Diskussion gestellter Entwurf zur weiteren Verschärfung des Abtreibungsgesetzes wurde nach landesweiten Protesten nicht umgesetzt.

Wie Zahlen einer 2016 in Lancet veröffentlichten Studie1 des New Yorker Guttmacher-Instituts belegen, senkt eine restriktive Rechtslage keineswegs die Abtreibungsraten – sondern gefährdet vielmehr das Leben ungewollt schwangerer Frauen. So ist die Zahl der durchgeführten Schwangerschaftsabbrüche in den Industrienationen zwischen 1990 und 2014 kontinuierlich gesunken – trotz, oder vielleicht sogar wegen, der liberalen Gesetzeslage. In den lateinamerikanischen Staaten, die größtenteils eine strenge Anti-Abtreibungspolitik verfolgen, haben Schwangerschaftsabbrüche laut der Erhebung im gleichen Zeitraum sogar zugenommen.

Die WHO schätzt die Anzahl der weltweit pro Jahr unprofessionell durchgeführten Abtreibungen („unsafe abortions“) auf 47.000. Deren Komplikationen sind laut WHO weltweit für 13 Prozent der Müttersterblichkeit verantwortlich. Doch auch in den Industrienationen scheint die Debatte noch nicht endgültig ausgefochten zu sein. Ende  Februar brach in Italien eine öffentliche Diskussion aus. Stein des Anstoßes war eine Stellenausschreibung, in der explizit Gynäkologen mit der Bereitschaft zur Durchführung von Abtreibungen gesucht wurden. Im gleichen Zeitraum forderten Experten in einem Essay2 im New England Journal of Medicine unter dem Titel „Sixteen Years of Overregulation: Time to Unburden Mifeprex“, eine Liberalisierung der Abgabe von Mifepriston. Die derzeit geltenden Risikoabschwächungsmaßnahmen seien wissenschaftlich nicht länger haltbar.

Referenzen:
1 Lancet 2016; 388: 258–67­
2 N Engl J Med 2017; 376: 790–794

www.womenonwaves.org

 

 

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune