Primärversorgung ist sinnvoll, aber …

Experten stehen Primary-Health-Care-Einrichtungen positiv gegenüber, sehen aber große Hürden. (Medical Tribune 6/2017)

PHC – kaum ein Thema erhitzt die Gemüter im Gesundheitssektor derzeit mehr als diese drei Buchstaben. Die Gesundheitspolitik wünscht sich den Ausbau der Primärversorgung in Österreich über Zentren oder Netzwerke. Die Ärztekammer befürchtet, dass eben diese in Gestalt anonymer Versorgungszentren den klassischen Hausarzt in Existenznöte bringen könnte und schlägt Alarm. AM Plus, Initiative für Allgemeinmedizin und Gesundheit, lud nun in Kooperation mit Organisationen von insgesamt elf Gesundheitsberufen zu einer Tagung nach Wien.

Diese wurde als praxisnahe Fortbildung angelegt und stand unter dem Motto „Team Gesundheit – Das Ineinandergreifen der Gesundheitsberufe als Vorteil für Patientinnen und Patienten“. Die Veranstalter können dem Konzept der „Primärversorgung Neu“ durchaus etwas abgewinnen. Dr. Erwin Rebhandl, Präsident von AM Plus und Allgemeinmediziner, strich in seinem Vortrag Vorteile für Patienten ebenso hervor wie geringere Kosten für das Gesundheitssystem, weil etwa unnötige Krankenhausaufenthalte reduziert würden. Allerdings besteht in der praktischen Umsetzung noch erheblicher Verbesserungsbedarf.

„Eine moderne medizinische Primärversorgung ist aus Sicht von AM Plus für Österreich alternativlos, deren Umsetzung erfolgt jedoch schleppend“, so Rebhandl. Der Stärkung und Erweiterung der Primärversorgung in Österreich als Teil des solidarisch und öffentlich finanzierten Gesundheitswesens stehen die hierzulande extrem komplexen Strukturen, Verantwortlichkeiten und Finanzierungsströme entgegen. Darauf verweist auch der Gesundheits­ökonom Dr. Ernest Pichlbauer.

Primary Health Care würde aber nur funktionieren, wenn es ein einheitliches Gesundheitswesen gäbe. Mit der derzeitigen Systemarchitektur mit Krankenkassen, Bund, Ländern, Gemeinden und Pensionsversicherung sei eine abgestufte Versorgung nicht möglich. Offen ist auch, wie die Problematik überwunden werden kann, dass viele Versorgungsleistungen wie zum Beispiel Physiotherapie oder Psychotherapie oft nur zum Teil oder gar nicht bezahlt werden. Prinzipiell sieht aber auch Pichlbauer Vorteile für das Gesundheitssystem und die Patienten: „Primary Health Care ist ein Versorgungskonzept. Es geht um die Versorgung einer Bevölkerungsgruppe in einer ambulanten strukturierten Zusammenarbeit aller Primärbehandler.“ Eine PHC-Ordination oder ein Netzwerk, das keine Hausbesuche mache, sei keine Primärversorgung, so der Experte, der prompt betont: „Es gibt kein PHC-Team ohne Hausärzte.“

Erwin Rebhandl betont die Notwendigkeit stärkerer Teamarbeit: „Im Sinne des PHC-Konzepts rücken die Gesundheitsberufe näher zusammen.“ Jetzt gelte es, alle relevanten Gesundheitsberufe zur integrierten Kooperation motivieren. Letztendlich birgt, wie Experten meinen, das Konzept der Primärversorgung auch für die ärztliche Aus- und Fortbildung Verbesserungspotenzial.

Pilotprojekte

Nach einem ersten Projekt in Wien-­Mariahilf, eines Primary-Health-Care-Zentrums als Gruppenpraxis auf der Basis von drei Kassenverträgen, hat vor kurzem im oberösterreichischen Enns ein Primärversorgungsmodell mit mehreren Allgemeinmedizinerstellen, diplomiertem Pflegepersonal und Angehörigen weiterer Gesundheitsberufe die Arbeit aufgenommen. In der Einführungsphase erfolgt eine Pauschalhonorierung durch Sozialversicherung und Land Oberösterreich auf Basis einer Einkommensgarantie für die Ärzte und einer Abgeltung der tatsächlichen Kosten. In fünf Jahren soll eine Evaluierung erfolgen. AM Plus-Leiter Erwin Rebhandl ist dabei, mit einem zweiten Allgemeinmediziner ein ähnliches Projekt mit Jänner kommenden Jahres in Haslach an der Mühl in Oberösterreich zu realisieren.

 

 

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune