Spital: So arbeitet die Generation 50plus gerne weiter
Wie der „Arbeitsplatz Spital“ auch für die ältere Generation attraktiv ist, war Thema einer Enquete der Österreichischen Ärztekammer in Linz. Einige der wichtigsten Prämissen: eine funktionierende IT, planbare Arbeitszeiten und Erfahrungsaustausch. Zudem sollte die Politik raus aus dem operativen Geschäft.
Wie halten wir den Motor unserer Gesundheitsversorgung am Laufen? Das diskutierte eine hochkarätige Runde am 09.11.2023, wenige Tage vor dem Martinsfest – das noch Thema werden sollte – im Rahmen der Enquete-Serie „Arbeitsplatz Spital“. Die Bundeskurie angestellte Ärzte (BKAÄ) der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK) hatte sich im Mai den „Jungen“ gewidmet. Jetzt ging es um die Probleme der „älteren“ Generation.
„Wenn wir die älteren Ärztinnen und Ärzte ohne weitere Maßnahmen einfach aus dem System verschwinden lassen, dann bekommen wir einen massiven Versorgungsnotstand“, betonte ÖÄK-Vizepräsident und BKAÄ-Obmann Dr. Harald Mayer. Dem müsse man entgegensteuern, „indem wir attraktive Arbeitsbedingungen auch unter Berücksichtigung dessen, was die älteren Kollegen leisten können und wollen, im System implementieren“.
Dabei blickte man auch über den Tellerrand: Impulsvorträge von Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Mazal, stv. Vorstand des Instituts für Arbeits- und Sozialrecht der Universität Wien, sowie Franz Nigl, Personalchef der Österreichischen Post AG, sollten zum Nachdenken anregen. Mazal schaffte dies, indem er eine Lanze für die Supervision brach: „Sagen wir so, im ärztlichen Milieu noch durchaus ein entwicklungsfähiges Thema.“
Viel Potenzial für Supervision
Er finde es tragisch, dass gerade dieser Berufsstand, der so gefordert sei, Supervision oft ablehne. Dabei wäre Potenzial da: „Man steht unheimlich viel allein, mit allen Sorgen, die man hat und sieht.“ Weitere Punkte seien die Beseitigung von zermürbenden Abläufen – z.B. durch eine elektronische Fieberkurve – und die Schaffung von Perspektiven, z.B. durch Teilzeit oder auch durch Tätigkeiten im niedergelassenen Bereich.
Aber Achtung: Es gehe auch darum, „Fremdbestimmung“ zu reduzieren und die Autonomie zu erhöhen. Verpflichtet man sich bspw. außerhalb des Spitals für Notarzt- oder Impfstraßendienste, sei man wieder fremdbestimmt, so Mazal. Innerhalb des Spitals wäre ein Ansatz, die Kooperation zu verbessern, dazu gehöre auch zu delegieren.
Nicht schon wieder zu spät zum Martinsfest
Einer der wichtigsten Punkte sei – wenig überraschend – die Vereinbarkeit von Familie und Erwerb: „Wenn ein Unternehmen dieses Thema löst, dann gibt es eine geringe Fluktuation.“ Die Leute würden mit Freude und effizienter arbeiten und dann gehe es heim: „Weil da ist ja noch wer.“ Umgekehrt sei es frustrierend, wenn sich etwa das Martinsfest wieder nicht ausgehe oder man wieder zu spät komme.
Was die von Mazal angesprochene Vereinfachung durch die IT betrifft, zeigte Prim. Dr. Ruth Krumpholz, stv. Chefärztin am LKH Bludenz und Vorsitzende der ÖÄK-Ausbildungskommission, die Realität anhand des Pilotprojekts „Elektronische Fieberkurve“ in ihrem Spital in Bludenz auf. Dort würden viele Ärzte neben der ärztlichen Aufgabe mitarbeiten: „Das ist aber eigentlich nicht unser Job.“ Der eigentliche Job, darin war sich die Expertenrunde einig, leide darunter – und damit auch die Patientenbetreuung.
Dass eine nicht funktionierende IT ein „hoher Stressfaktor“ sei, bekräftigte auch Post-Personalchef Nigl. Gefragt nach den wichtigsten Erfahrungen beim Changemanagement-Prozess bei der Post für mehr Mitarbeiterzufriedenheit und weniger Personalfluktuation führte Nigl sogar als Erstes an: „Die IT ist ein ganz entscheidender Faktor“, sie müsse funktionieren.
Ältere nicht belächeln, sondern wertschätzen
Der zweite wesentliche Punkt betreffe die Arbeitszeit. Dabei meinte Nigl nicht den Umfang, viele würden gerne lange arbeiten, sondern die Planbarkeit der Arbeitszeit – „Stichwort Martinsfest“. Als Drittes nannte Nigl gute Führungskräfte. „Einer der wesentlichsten Aufgaben der Führungskräfte ist es, bei den Mitarbeitern zu sein“, so der Personalchef, und nicht irgendwo abgeschottet zu sitzen.
Primaria Krumpholz bestätigte, dass vieles von der Führungskraft abhänge. Ihr ist es außerdem ein wichtiges Anliegen, die Jüngeren und Älteren nicht gegeneinander auszuspielen. Wesentlich sei auch die „Wertschätzung“ der Älteren, sie hätten mitunter das Gefühl, belächelt zu werden. Um dem entgegenzutreten, könne man als Führungskraft z.B. auch einen älteren Kollegen vor den jüngeren Kollegen um seine Meinung bitten.
Dr. Gerhard Postl, Leiter des Departments für allgemeine Innere Medizin und Notfallaufnahme am Standort West des LKH Graz II, griff ebenfalls die Erfahrung älterer Ärztinnen und Ärzte auf. Viele würden ihr Wissen gerne weitergeben – und weniger Nachtdienste machen. In der Steiermark sei zwar vereinbart, dass ab 55-Jährige nur mehr zwei Nachtdienste machen und ab 60-Jährige überhaupt vom Nachtdienst ausgenommen werden. „Das geht aber derzeit nicht“, berichtete Postl, weil die Älteren auch „Systemerhalter“ seien.
„Stundenlang telefonieren, um Bett zu bekommen“
„Ich möchte nicht mehr als Systemerhalter fungieren, sondern den Jungen etwas beibringen“, wünschte sich Postl. Er komme von der Notaufnahme, es sei nicht mehr so wie früher, „wir arbeiten teilweise bis vier Uhr in der Früh durch“. Was auch zermürbt: „Ich muss stundenlang telefonieren, um ein Bett zu bekommen.“ Er müsse Patienten, die er selber kardiologisch versorgen könnte, in ein anderes Spital legen, weil kein Kathetertisch frei sei. „Ich muss andere Kollegen anflehen, dass sie mir, 50km entfernt, den Patienten nehmen …“
Univ.-Prof. Dr. Karin Gutiérrez-Lobos, ehemalige Vizerektorin der MedUni Wien und ehemalige ärztliche Direktorin der Klinik Landstraße, bekräftigte, dass Ärztinnen und Ärzte – nicht nur die älteren – oft so unglücklich seien, „weil sie nicht tun können, wofür sie ausgebildet sind“. Es gebe zu viel Bürokratie, die IT funktioniere oft nicht, usw. Sie würde sich wünschen, dass auch weniger „externe Berater“ geholt werden, anstatt einfach mit den Leuten zu reden, wo die Probleme liegen und wie man sie lösen könne.
Weniger Nachtdienste, mehr Pausen
Seit einem Jahr sei sie im Ruhestand, arbeite aber „natürlich“ noch gerne weiter. „Die Spitäler müssten sich da kreative Modelle überlegen“, schlug Gutiérrez vor, wie pensionierte Kolleginnen und Kollegen weiterarbeiten können, wenn sie das möchten. Es gehe nicht ums Geld, aber die Arbeit müsse einen „Wert“ haben. Übrigens sieht es Gutiérrez-Lobos auch als „Wertschätzung“, dass die IT funktioniere. Und zur Problematik Nachtdienste: Auch hier müsse man Rücksicht nehmen, wenn jemand weniger oder keine mehr machen möchte.
Krumpholz unterstrich ebenfalls: „Mir wäre es ganz wichtig, dass man den älteren Ärzten nicht die Freude an der Arbeit nimmt und dass man anerkennt, was sie geleistet haben und sie jetzt altersgerecht beim Arbeiten einteilt.“ Dazu gehöre auch, „dass man erkennt, dass sie vielleicht mehr Pausen brauchen oder weniger Überstunden machen können, aber dass sie ein ganz großes Potenzial haben, sowie über unersetzbares Wissen und Erfahrung verfügen, die sie gerne an die Jüngeren weitergeben“.
Post-Personalchef Nigl warnte aber vor der „Gießkanne“: Es gebe große Unterschiede zwischen 40-, 50-, 60-Jährigen. Die einen, auch Jüngere, wollen gerne, könnten aber z.B. aus gesundheitlichen Gründen nicht so viele Stunden arbeiten. Die anderen, auch Ältere, könnten durchaus mehr Stunden arbeiten, dürfen aber nicht.
Elektronische Fieberkurve, „Speech-to-Text“-Programme
Arbeits- und Sozialrechtler Mazal ergänzte noch zur IT, ihr nicht ablehnend gegenüberzustehen, aber: „Fordern Sie gutes Management!“ Führungskräfte müssten hier Ärztinnen und Ärzte „ganz anders“ unterstützen. Neben einer (funktionierenden) elektronischen Fieberkurve brächten „Speech-to-Text“-Programme Erleichterungen – etwas, das „jede Anwaltskanzlei“ schon lange anwende.
Arbeitsrechtlich trete er „massiv“ dafür ein, Spitäler aus dem öffentlichen Dienstrecht auszugliedern, weil sonst immer die Politik mitmische: „Wenn man raus will aus diesen Zwängen, die wir haben, muss die Politik raus aus dem operativen Alltag.“ Auch hier gelte: „Gewinnen durch Loslassen.“ Das heiße aber nicht kaputtsparen, sondern bedeute funktionierendes Privatrecht in der Verantwortung des „sorgfältigen Kaufmanns“.
Dazu Mayer: „Der politische Wille ist derzeit sehr groß, das Gesundheitssystem an die Wand zu fahren und sich bis ins kleinste Detail einzumischen. Vielleicht sollte man der Politik den Tipp von Professor Mazal ins Stammbuch schreiben, dass die Politik im eigenen Interesse und im Interesse des Spitalsbetriebs den direkten Einfluss auf den operativen Alltag im Spital beenden sollte.“
4-Tage-Woche auf dem Wunschzettel
Abschließend befragt zu seinem „Weihnachtswunschzettel“ als BKAÄ-Obmann meinte Mayer, dass dieser viel zu lang sei, um ihn auszuführen. Aber eines sei schon auffallend: „Mir fehlen bei dieser Enquete die Krankenhausmanager. Wo sind sie? Die Personalmanager in unseren Spitälern hätten hier und heute sehr viel lernen können.“Und weiter: „Wir haben leider in den Management-Ebenen niemanden, der sich ernsthaft überlegt, wie die Gesundheitsversorgung der Zukunft funktionieren kann. Da kann man sich als Arzt schon alleingelassen fühlen.“
Department-Leiter Postl würde sich für die älteren Kolleginnen und Kollegen wünschen, „zwei Tage“ pro Woche ausschließlich in einem Bereich zu arbeiten, in dem sie selbst gerne arbeiten möchten. Primaria Krumpholz hätte gerne einen Tag in der Woche frei, montags oder freitags. Aber eine 4-Tage-Woche sei in ihrer Position als stv. Chefärztin nicht möglich.