Ärztekammerkrise: Außerordentliche Vollversammlung am 10. Oktober
Im Wiener Ärztekammer-Streit möchte die Salzburger Standesvertretung „keinerlei Parteistellung“ beziehen. Aber sie fordert weiterhin den Rücktritt von Dr. Johannes Steinhart als bundesweiter Präsident. Indes wurden in Wien zwei Petitionen gestartet: eine für Neuwahlen und eine für Deeskalation.
Vergangene Woche war geprägt von Rücktrittsforderungen an Dr. Johannes Steinhart als Präsident der Ärztekammer für Wien. Zuerst forderte das gesamte Ärztekammer-Präsidium den Rückzug ihres Präsidenten. Einen Tag später, am 20.09.2023, sollte eine angeblich „überwältigende Mehrheit“ (dazu später mehr) des Vorstands folgen – wir berichteten hier.
Mit Spannung wurde daher die bundesweite Reaktion – Steinhart ist auch Präsident der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK) – erwartet, konkret das Ergebnis der ÖÄK-Vorstandssitzung am 20.09.2023. Nach dieser Sitzung beschlossen 7 Präsidenten, einen Offenen Brief zu verfassen, adressiert an die „werten Kollegen“ in Wien (gesamter Brief siehe Kasten).
Ärztekammer-Präsidenten „tief erschüttert“
Die Unterzeichner zeigten sich „tief erschüttert“ über die Art und Weise, wie derzeit die Wiener Landesärztekammer einen Streit in der Öffentlichkeit austrage. Allerdings gab es keine Rücktrittsforderung, sondern einen Appell: „Kehren Sie zurück zur politischen Arbeit und lassen Sie die demokratischen Gremien ihre Sacharbeit leisten.“
Im Konflikt in Wien selbst wolle man „keine Parteistellung“ beziehen. Aber der über die Öffentlichkeit ausgetragene Streit schade jedenfalls der Reputation aller österreichischen Kammern und dem Ansehen der gesamten Ärzteschaft „immens“. Die Wiener Kollegen werden „dringend“ ersucht, „vernünftige und demokratische Lösungen für Ihren Konflikt“ zu suchen. Dieser Konflikt sei auch nur zu bewältigen, „wenn Sie alle einen Schritt zurück machen, zur Sachlichkeit finden und nicht weiter eskalieren“, schreiben die Präsidenten aus ganz Österreich, nur Salzburg war nicht darunter.
Warum Salzburg einen eigenen Brief schrieb
Warum, erklären sowohl die Salzburger Ärztekammer als auch die ÖÄK auf medonline-Nachfrage damit, dass das Thema gar nicht wie ursprünglich geplant in besagter Vorstandssitzung behandelt worden sei. Erst nach der Sitzung habe man sich getroffen und die weitere Vorgangsweise beschlossen. An diesem Meeting konnte aber Salzburgs ÄK-Präsident Dr. Karl Forstner aus beruflichen Gründen nicht mehr teilnehmen.
Forstner – bzw. das gesamte Salzburger Präsidium – setzte jedoch am nächsten Tag einen eigenen Offenen Brief an die Wiener Ärztekammer auf (siehe auch Kasten). Dieser fiel zwar etwas kürzer aus, folgte jedoch in der Sache dem Aufruf zur Deeskalation. Explizit wird darin auch betont, dass die Ärztekammer für Salzburg „keinerlei Parteistellung“ bezieht.
Salzburg lobt Schlögel aus NÖ
Was die ÖÄK betrifft, beinhalten die beiden Offenen Briefe keinerlei Hinweise. Das ist insofern bemerkenswert, als Forstner bereits Anfang August als einziger Landesärztekammer-Präsident den Rücktritt Steinharts als ÖÄK-Präsident gefordert hat. Forstner lobte bei der Gelegenheit auch gleich seinen Kollegen aus Niederösterreich Dr. Harald Schlögel, der Steinhart während dessen Krankheit als ÖÄK-Präsident vertreten hat: „Er hat seine Aufgabe gut erfüllt“, so Forstner im „Kurier“ am 07.08.2023.
Diese Einschätzung gelte nach wie vor, heißt es auf Nachfrage der Redaktion. Auch an der Rücktrittsforderung an Steinhart als ÖÄK-Präsident habe sich nichts geändert, sie wird ebenfalls unterstützt vom gesamten Präsidium (Forstner, VP Dr. Christoph Fürthauer, VP Priv.-Doz. Dr. Jörg Hutter und Finanzreferent Dr. Eberhard Brunner).
Die Begründung für die Rücktrittsforderung: Steinhart werde als Beschuldigter rund um mutmaßliche Missstände in der Equip4Ordi, einer Tochterfirma der Wiener Niedergelassenen-Kurie, geführt. Das gehe aus ethischer Sicht nicht mit seiner Funktion als ÖÄK-Präsident zusammen. Forstner ist es aber wichtig zu betonen, dass die Rücktrittsforderung nur für die Funktion als ÖÄK-Präsident gilt.
„Palastrevolution“ in Wien habe mit ÖÄK nichts zu tun
Die Vorgänge in der Wiener Kammer würden auf die ganze Ärzteschaft abfärben, schildert Forstner auch in den „Salzburger Nachrichten“ (Print-Ausgabe vom 23.09.2023): „Was ist denn bei euch los?“, werde er immer wieder gefragt. Es handle sich jedoch um eine „Palastrevolution“ in der Wiener Kammer, mit der die anderen Länderkammern nichts zu tun hätten.
Vergangene Woche hat Dr. Frédéric Tömböl, als Finanzreferent Präsidiumsmitglied in der Ärztekammer für Wien, gegenüber der APA auch seine Aussage, eine „überwältigende Mehrheit des Vorstands“ sei für den Rücktritt Steinharts, relativiert: Es handle sich hierbei nicht um einen formalen Vorstandsbeschluss, sondern um eine „Willensbekundung der Vorstandsmitglieder“. Diese hätten mittlerweile 16 der 31 Vorstandsmitglieder unterzeichnet, was die Mehrheit darstelle.
Zudem habe die Ärzt*innenkoalition Wien die Einberufung einer außerordentlichen Vollversammlung beantragt – mit dem Ziel, über den schon länger bestehenden Misstrauensantrag gegen Steinhart abzustimmen. Diese Koalition besteht aus: Ärzt*innen-Team für wertbasierte Standesvertretung in Wien (kurz: Ä-Team, dessen Obmann Tömböl ist), Wir Ärzt:Innen, Turnusärzte für Turnusärzte – Assistenzärzt*inneninitiative, Grüne Ärztinnen und Ärzte – Grünmed+, W4U – Wohlfahrtsfonds abschaffen, Kammerumlage senken sowie Asklepios Union – Die Alternative mit Mut.
Team Szekeres startete Petition für Neuwahlen
Für die Einberufung war ein Drittel der Stimmen der Mitglieder der Vollversammlung notwendig. Kurz vor Redaktionsschluss erfuhr medonline, dass der Termin für die außerordentliche Vollversammlung am 10.10.2023, um 19:30 Uhr, stattfindet. Es könnte wieder eine lange Nacht werden: Auf der Agenda stehen ganze 26 Tagesordnungspunkte, informiert Tömböl. Darunter findet sich nicht nur der Misstrauensantrag, sondern auch ein Antrag zur Auflösung der Vollversammlung, die dann vorgezogene Neuwahlen zur Folge hätte.
Dazu würde es ebenfalls eine Zweidrittel-Mehrheit benötigen. Unterstützt werde der Antrag jedenfalls von der Fraktion „Ärzt*innen für Ärzt*innen – Wahlgemeinschaft Wiener Mittelbau und dem „Team Szekeres“ rund um den früheren Präsidenten Dr. Thomas Szekeres. Die Fraktion hat auch eine Petition für Neuwahlen in der Wiener Ärztekammer gestartet. Den Misstrauensantrag gegen Steinhart unterstützt das Team Szekeres jedoch nicht.
Angesprochen auf eine mögliche Versöhnung im Sinne der Offenen Briefe, meint Tömböl: Das sei „extrem schwierig, weil es keinerlei Zeichen einer Deeskalation“ seitens Steinhart gebe. Er müsse zumindest bis zur restlosen Klärung der strafrechtlichen Vorwürfe „beiseitetreten“. Zuletzt sei sogar eine „Anzeige“ erfunden worden, die er, Tömböl, gemacht haben soll – was jedoch nicht stimme.
Kammerkrise: Aufruf zur Deeskalation
Unterdessen wartete die Fraktion „Grüne Ärztinnen und Ärzte – Grünmed+“ mit einer Überraschung auf. Sie startete gestern, am 26.09.2023, eine Petition mit dem Titel Kammer-Krise – „Wir fordern eine Deeskalation“. Ziel sei es, einerseits die Arbeitsfähigkeit der Interessenvertretung wieder „vollumfänglich“ herzustellen und andererseits „noch gröberen Ansehensverlust“ zu verhindern.
Denn in mehreren Kammer-Gremien habe die „seit Monaten in der Wiener Ärztekammer tobende Auseinandersetzung“ zum Erliegen der notwendigen Arbeit und mittlerweile auch zu einem bedauerlichen Ansehensverlust nicht nur der Wiener Ärztekammer, sondern auch der Ärzteschaft geführt, heißt es in der Petition. Eine Deeskalation sei daher das „Gebot der Stunde“ – und zwar ungeachtet der Hintergründe der aktuellen Kontroversen.
Natürlich müssten die strafrechtlich relevanten Vorwürfe lückenlos aufgeklärt werden, betont Dr. Bettina Wiltos von Grünmed+ gegenüber medonline. Aber: „Unabhängig von der strafrechtlichen Ebene brauchen wir gerade jetzt eine handlungsfähige Interessen- und Standesvertretung. Die haben wir im Augenblick nur mehr sehr eingeschränkt, weil in den letzten Monaten Spitzenfunktionäre und einige Gremien mit dem immer heftiger ausgetragenen Konflikt beschäftigt sind.“
Und das, obwohl man derzeit medizinpolitische Herausforderungen sonder Zahl habe, wie z.B. die kassenärztlichen Honorarverhandlungen oder die personellen Engpässe in den Spitälern, „für deren Lösung es eine starke Ärztekammer am Verhandlungstisch braucht“. Auch müsse der bereits eingeleitete Weg für die absolute Transparenz der Kammerarbeit weiter konsequent fortgesetzt werden.
Vergleich mit Luster-Szene aus dem Film „Der Rosenkrieg“
„Wir alle haben in den letzten Tagen mit vielen Kolleginnen und Kollegen gesprochen“, berichtet Wiltos. Diese wollen als zahlende Kammermitglieder verständlicherweise, dass ihre Interessenvertreter „zu 100%“ arbeiten. Aktuell höre man aus der Wiener Kammer aber vor allem Details zu den seit Monaten ausgetragenen Auseinandersetzungen.
Man könne mittlerweile fast von einer „Eskalationsstufe 9 nach Glasl“ sprechen, sagt Wiltos, nämlich „Gemeinsam in den Abgrund“ – und so manch einer fühle sich an die „Kronleuchter-Szene“ im Film „Der Rosenkrieg“ erinnert. So weit dürfe es nicht kommen, „es muss ein nochmaliger Versuch unternommen werden, an den Verhandlungstisch zurückzukehren“.
Pattsituation: Mediation könnte helfen
Dabei nennt Wiltos, so wie die Petition, ein bewährtes Mittel, nämlich die Zuziehung externer Beraterinnen und Berater. Eine begleitende Mediation könnte auch der Ärztekammer Wien helfen, die „Pattsituation auf konstruktive Weise“ zu überwinden.
Freilich könne es sein, dass nach ein paar Monaten wieder weitergestritten werde, aber dennoch müsse man es wenigstens versuchen, verweist Wiltos auf ihr Motto „Scheitern, scheitern, besser scheitern“. Letztlich gehe es auch darum, ein Einschreiten der Aufsichtsbehörde MA40 der Stadt Wien zu verhindern.
Zwei Offene Briefe aus den Bundesländern
Am 20. September 2023 unterzeichneten Dr. Christian Toth (Burgenland), Dr. Markus Opriessnig (Kärnten), Dr. Harald Schlögel (NÖ), Dr. Peter Niedermoser (OÖ), Dr. Michael Sacherer (Steiermark), Dr. Stefan Kastner (Tirol) und Dr. Burkhard Walla (Vorarlberg) in der genannten Reihenfolge den ersten Offenen Brief. Am nächsten Tag, den 21. September, folgte der Offene Brief der Ärztekammer für Salzburg, im Namen des gesamten Präsidiums.