Gesundheitssystem: Vorsorgen ist besser als Reparieren
Bei der Gesundheitsvorsorge hat Österreich noch einigen Nachholbedarf. Die Ärztekammer und Expertinnen und Experten fordern daher einen nationalen Schulterschluss für den dringend nötigen Ausbau von Präventionsmaßnahmen.
„In Österreich werden nur etwa 2–3% der Gesundheitsausgaben in Präventionsmaßnahmen investiert“, kritisiert der geschäftsführende Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK), Dr. Harald Schlögel, „und diese Quote stagniert seit Jahren. Auf der anderen Seite kosten uns die Folgeschäden dann erhebliche Summen.“ In der aktuellen Resolution der ÖÄK zum Gesundheitssystem der Zukunft steht das Kapitel „Prävention und Vorsorge“ an erster Stelle und die Schritte, die dazu umgesetzt werden müssen, sind darin klar beschrieben. Es ist aber auch die Eigenverantwortung der Bevölkerung gefragt. „Die Menschen müssen auch selbst etwas tun, um ihre gesunden Lebensjahre zu verlängern“, fordert Schlögel. Denn die Zahl der in Gesundheit verbrachten Lebensjahre ist in Österreich im Vergleich zu anderen OECD-Mitgliedsländern niedrig, während das Land bei der Lebenserwartung im Durchschnitt liegt. Dabei würden bereits einfache Maßnahmen wie notwendige Impfungen, regelmäßiges Zähneputzen, gesunde Ernährung und ausreichend Bewegung viel bewirken und helfen, Kosten im Gesundheitssystem einzusparen, so Schlögel, denn „ein in die Vorsorge investierter Euro bringt einen Return of Investment von 6 Euro“.
Univ.-Prof. Dr. Kurt Widhalm, Präsident des Österreichischen Akademischen Institutes für Ernährungsmedizin, führt aus, welche Bedeutung der Ernährung und anderen Lebensstilfaktoren für die Prävention zukommt. Er verweist auf die OECD-Mitgliedsländer, wo bereits 8% des Gesundheitsbudgets für die Behandlung von ernährungsbedingten Erkrankungen aufgewendet werden. Übergewicht ist auch bei Kindern sehr verbreitet, aber genaue Daten dazu fehlen in Österreich, weil sie nicht systematisch erfasst werden. Außerdem bräuchte es mehr geschultes Personal und entsprechendes Schulungsmaterial für Kinder. Weiters wären evaluierte Therapie- und Präventionsprogramme nötig, die auch normalgewichtige Kinder berücksichtigen, so Widhalm.
Beispielhaftes Präventionsprogramm EDDY
Ein Beispiel für eine erfolgreiche Präventionsmaßnahme im Bereich der Ernährung und Bewegung ist etwa das vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung finanzierte Präventionsprogramm EDDY für Kinder zur Vermeidung von Übergewicht und kardiovaskulären Erkrankungen. Eingeschlossen in das Programm sind 151 Schulkinder im Alter von 7–9 Jahren in 3 Wiener Volksschulen. In der Interventionsgruppe stieg die Zahl der Normalgewichtigen, die der Unter- und Übergewichtigen nahm ab und die der Adipösen blieb gleich; auch die Hypertonie ging durch die Interventionen (20 Stunden Ernährungsschulung und Sporttraining durch Profis des Instituts für Sportmedizin der Universität Wien) zurück. „Die Erfolge durch die Interventionsmaßnahmen konnten bereits nach einem Jahr erzielt werden“, berichtet Widhalm. In den beiden Kontrollgruppen änderten sich die Werte nicht oder verschlechterten sich sogar. Wichtig bei diesem Programm, so Widhalm, ist auch die Einbeziehung der Eltern, von denen aber viele nur schwer zu motivieren sind und zusätzliche Anreize bräuchten.
Ein anderes Programm wurde mit der Erste Bank in Wien durchgeführt: 300 Beschäftigte ließen ihre Cholesterinwerte bestimmen, wobei ca. 70% eindeutig erhöhte LDL-C bzw. Lp(a)-Werte aufwiesen. Bei 90% waren meist mehrere Familienmitglieder an Herzinfarkt oder Schlaganfällen erkrankt oder verstorben. Allerdings war den meisten Personen nicht bewusst, dass dies auf eine familiäre Hypercholesterinämie hinweist, so Widhalm. Die Betroffenen wurden aufgefordert, Familienmitglieder, v.a. Kinder, auf diese Stoffwechselstörung untersuchen zu lassen und neben einer Lebensstiländerung mit ihrem Arzt bzw. ihrer Ärztin eine dringend indizierte Behandlung zu besprechen. Damit können Herzinfarkte und Schlaganfälle erfolgreich verhindert werden.
Maßnahmen zur Krebsvorsorge
Ein weiteres wichtiges Thema im Bereich der Prävention ist die Krebsvorsorge, über die Univ.-Prof. Dr. Paul Sevelda, Präsident der Österreichischen Krebshilfe, berichtet. Im Europäischen Kodex gegen Krebs sind 12 Empfehlungen enthalten, durch deren Einhaltung bis zu 50% aller Krebsfälle vermeidbar wären. Dazu gehören die Vermeidung von Fettleibigkeit, Senkung von Nikotin- und Alkoholkonsum, Impfungen (HPV, Hepatis B und C), Teilnahme an Früherkennungsuntersuchungen (z.B. Brustkrebs).
Die HPV-Impfung ist in Österreich seit Februar 2023 für Kinder und Jugendliche zwischen dem 9. und 21. Lebensjahr kostenlos erhältlich, aber große Teile der Bevölkerung wissen nichts davon und die Impfraten sind noch niedrig. Angestrebt wird eine Durchimpfungsrate von 90%, mit dem Ziel, den Gebärmutterhalskrebs auszurotten. Es sind weitere Informationskampagnen zur Impfung geplant, um sie bekannter zu machen. Gebärmutterhalskrebs ist an sich relativ selten, von den Vorstufen sind jedoch etwa 5.000 Frauen pro Jahr in Österreich betroffen.
Zur Verhinderung von Brustkrebs besteht das Früherkennungsprogramm, das für alle Frauen von 45–74 Jahren eine Mammografie mit zusätzlicher Ultraschalluntersuchung vorsieht. Die Teilnahmerate ist mit rund 50% aber recht niedrig. „Im seit heuer verbesserten Programm wird das Beratungsgespräch über die Bedeutung der Brustkrebsfrüherkennung den Ärztinnen und Ärzten von den Kassen auch refundiert“, zeigt sich Sevelda erfreut.
Ein Dickdarmkrebs-Früherkennungsprogramm ist in den evidenzbasierten Durchführungsempfehlungen vom nationalen Screening-Komitee bereits abgeschlossen und sieht ab dem 45. Lebensjahr (bisher ab dem 50. LJ) entweder alle 2 Jahre eine Blutstuhluntersuchung über den FIT-Test vor oder eine Koloskopie alle 10 Jahre bei unauffälligem Befund. „Der politische Wille ist vorhanden, auch dieses organisierte Früherkennungsprogramm umzusetzen, die Detailverhandlungen mit den Kassen und der Ärztekammer sollten absehbar beginnen“, sagt Sevelda.
Das Prostatakarzinom-Früherkennungsprogramm wird ebenfalls ab 45 Jahren empfohlen und umfasst Abtasten, PSA-Test und eventuell Unterschall, wobei ein erhöhter PSA-Wert nicht zwingend auf ein Prostatakarzinom hindeutet.
Was für eine gelungene Gesundheitsvorsorge zu tun wäre
Zur politischen Umsetzung der Vorsorgemaßnahmen wäre ein nationaler Schulterschluss aller nötig, so Sevelda. Vorsorge müsste in der Medizin insgesamt stärker forciert werden, um wegzukommen von der reinen Reparaturmedizin und die Zahl der gesunden Lebensjahre in Österreich zu erhöhen. Auch die Eigenverantwortung und die Gesundheitskompetenz der Menschen müssten, beginnend bereits im Kindesalter, erhöht werden. „Von der täglichen Turnstunde in der Schule ist bereits seit Langem die Rede, leider wurde diese immer noch nicht umgesetzt“, bedauert der Experte.
Schlögel weist abschließend noch auf die zentrale Rolle der Hausärzte und -ärztinnen im Gesundheitssystem hin und auf die Notwendigkeit, die Gesprächsmedizin zu fördern (bessere Honorierung durch die Krankenkassen). Zudem müssten Präventionsprogramme weiter ausgebaut und diese Konzepte verstärkt beworben werden. „Die ÖÄK will Partner der Politik bei der Umsetzung von Präventionsmaßnahmen sein“, betont Schlögel.
Pressekonferenz der ÖÄK zum Thema „Prävention – Schlüssel zur Zukunft der Gesundheitsversorgung“, Wien, 30.8.2023