15. Feb. 2023Kollektivvertragsverhandlungen

Privatkliniken: Nach dem Streik ist vor dem Streik

Der Warnstreik der Beschäftigten in den Privatkrankenanstalten Österreichs am 14. Februar 2023 könnte nicht der letzte gewesen sein. Die Gewerkschaft vida fordert einen deutlich besseren Kollektivvertrag. Der Verband der Privatkrankenanstalten (VPKA) spricht hingegen von „Wortbruch“ und rief das Bundeseinigungsamt an.

Warnstreik in Privatkrankenanstalten
vida

„Rücken krumm, Taschen leer, Arbeitgeber danke sehr“ steht auf einer Eingangstür als Begründung, warum die selbige am 14. Februar 2023 geschlossen ist. Die Menschen müssten von einem Vollzeitjob leben können, führt Harald Steer, KV-Chefverhandler der Gewerkschaft vida, ins Treffen.

In mehr als 25 Gesundheitseinrichtungen in sechs Bundesländern – Burgenland, Kärnten und Vorarlberg waren nicht dabei – fand ein dreistündiger Warnstreik statt. „Unsere Arbeit ist mehr wert!“ steht auf den Transparenten. Drei Jahre hätten die Kolleg:innen an vorderster Front gegen Corona gekämpft. „Es kann nicht sein, dass sie jetzt ordentlichen Gehaltserhöhungen hinterherlaufen müssen“, sagt Steer.

vida zum Warnstreik: „Keine andere Wahl“

Das Verhandlungsteam sei den Arbeitgeber:innen „mehrmals“ entgegengekommen, doch das Gegenüber habe sich „keinen Zentimeter“ bewegt. „Damit wurde uns keine andere Wahl gelassen, als diesen Warnstreik abzuhalten“, so Steer. Man sei aber jederzeit verhandlungsbereit.

Dies sieht das Gegenüber, der Verband der Privatkrankenanstalten (VPKA), anders. Nach der fünften Verhandlungsrunde wäre es sogar zu einem „Wortbruch“ gekommen, betont Mag. Stefan Günther, Generalsekretär und KV-Verhandlungsführer des VPKA. Man sei nämlich vor Weihnachten so verblieben, dass man im Jänner neue Modelle durchdenken wolle. Doch stattdessen habe man medial von einer Betriebsrät:innenkonferenz zur Abstimmung von Kampfmaßnahmen erfahren müssen (Details siehe Kasten).

Ärztekammer Wien rief zur „Solidarität“ auf

Zurück zum Streik: Prominente Unterstützung kam von der Ärztekammer für Wien. Vizepräsident Dr. Stefan Ferenci, Obmann der Kurie Angestellte Ärzte, zeigt sich solidarisch mit den Anliegen der Streikenden. Auch nach der sechsten Runde der Kollektivvertragsverhandlungen am 6. Februar habe die Arbeitgeberseite „nicht verstanden, dass sich die Beschäftigten im Gesundheitswesen nicht mit Schein-Angeboten abspeisen lassen“.

Im Herbst hätten die Beschäftigten der Ordensspitäler mit einem Warnstreik eine „faire und nachhaltige Teuerungsabgeltung“ erkämpft. Die Beschäftigten der Privatkliniken würden zu Recht eine Erhöhung deutlich über der Inflation fordern. Ohne konkurrenzfähige Gehälter werde es nicht gehen, es sei hoch an der Zeit, dass dies auch die Arbeitgeber im Gesundheitsbereich einsehen.

Vorbild Burgenland: Höhere Gehälter für Fachärzt:innen

Ein erster wichtiger Schritt „in die richtige Richtung“ sei im Burgenland gelungen, betont Ferenci. In den burgenländischen Kliniken kletterte das Einstiegsgehalt für Fachärzt:innen laut Medienberichten auf 140.000 Euro im Jahr. Nach zehn Dienstjahren sind es 160.000 Euro, kurz vor der Pension 200.000 Euro.

Schon im Vorfeld des Streiks bat Ferenci alle Belegärzt:innen um ihre Mithilfe. Er rief dazu auf, aus Solidarität mit den angestellten Ärzt:innen in den Privatkrankenanstalten von geplanten freiberuflichen Tätigkeiten in diesen Häusern abzusehen, „um den Streik für bessere Gehälter nicht zu unterlaufen“. Die Beschäftigten im Gesundheitswesen hätten sich eine angemessene und nachhaltige Gehaltserhöhung nach über 30 Monaten Corona mehr als verdient: „Wertschätzung endet nicht mit einem freundlichen Klatschen!“

In Wien nahmen am Warnstreik folgende Privatkrankenanstalten teil: Anton Proksch Institut (siehe Foto), Ambulatorium Döbling, Neurologisches Rehabilitationszentrum Rosenhügel, Rudolfinerhaus Privatklinik GmbH sowie die Privatkliniken Confraternität, Döbling und Goldenes Kreuz.

VPKA: Angebot fast einen Prozentpunkt über Inflation

VPKA-Chefverhandler Günther hatte am Streiktag in der Früh im Ö1-Morgenjournal nochmals betont, dass das Angebot fast einen Prozentpunkt über der festgestellten Inflation liege (8,39 vs. 7,53 Prozent). Zudem sei auch eine Stunde Arbeitszeitreduktion ab Mitte des Jahres vorgesehen und ein Angebot eines Mindestlohns von 2.000 Euro liege vor.

Das Angebot eines Mindestlohns von 2.000 Euro (derzeit 1.300 Euro) sei „unverbindlich“ gewesen, sagt dazu vida-KV-Chefverhandler Steer, es wäre auch wieder zurückgezogen worden. Außerdem gebe es einen derart großen Abstand zu anderen Kollektivverträgen, wo die Gehälter beträchtlich mehr gestiegen sind, z.B. bei der Sozialwirtschaft Österreich, die eine 37-Stunden-Woche und trotzdem höhere Grundgehälter hätten.

Die Vorgeschichte: Grundforderung 500 Euro Teuerungsausgleich

Zur Vorgeschichte: Ende September 2022 fand die erste KV-Runde statt. Damals verlangte die Gewerkschaft vida einen Teuerungsausgleich von 500 Euro monatlich für alle Vollzeitbeschäftigten. Mitte Oktober kam die Forderung eines Bruttomindesgehalts von 2.000 Euro hinzu. Das sei das „mindeste Einkommen zum Auskommen“, hieß es in einer Aussendung.

Einen Monat später ging auch die dritte KV-Verhandlungsrunde ergebnislos über die Bühne. Erstmals sei ein Angebot der Arbeitgeber:innen vorgelegt worden. Die Forderung der vida nach einem Teuerungsausgleich für alle Mitarbeiter:innen mit einem gleichen Fixbetrag auf die Tabellen hätten die Arbeitgeber:innen als „ungerecht“ abgelehnt. Nicht angenommen wurde auch die Forderung nach einem Mindesteinkommen von 2.000 Euro.

Anders sah dies nach der fünften Runde, am 20.12.2022, aus. Der 2.000-Euro-Mindestlohn war im Angebot der Arbeitgeber:innen, ebenso ein Teuerungsbonus für Jänner bis Juni 2023, eine 39-Stunden-Woche ab 1. Juli 2023 (die bereits 2021 verhandelt worden sei), eine Erhöhung der Lohntabellen ab 1. Juli 2023 um 5,68 Prozent und eine Mindesterhöhung um 175 Euro.

Nach Weihnachten ging es Schlag auf Schlag: Die vida kritisierte, dass es über die Feiertage „keine Gespräche zwischen den Sozialpartnern und auch kein nachgebessertes Angebot seitens der Arbeitgeber“ gegeben habe. Deshalb finde am 18. Jänner eine BetriebsrätInnenkonferenz statt, wo auch über gewerkschaftliche Kampfmaßnahmen abgestimmt werde.

vida: Einigung auf Mindestlohn von 2.000 Euro

Einigen konnte man sich bereits auf den Brutto-Mindestlohn von 2.000 Euro sowie auf eine Einmalzahlung. Die Höhe dieser sei noch Verhandlungsgegenstand, hieß es in einer Aussendung: „Wir fordern die Arbeitgeber auf, an den Verhandlungstisch zurückzukehren.“ Am 25. Jänner hat der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB) der vida die Streikfreigabe für einen Warnstreik gegeben.

Grund für den Streik sei ein unzureichendes Angebot der Arbeitgeberseite. „Wir haben vor Weihnachten das letzte Mal ein Angebot von den Arbeitgebern erhalten. Das Angebot liegt bei 175 Euro Mindesteinkommensplus monatlich, was natürlich weit weg von unseren Vorstellungen ist“, sagt Steer und beharrt auf der vida-Grundforderung von plus 500 Euro monatlich.

Da auch die sechste KV-Runde am 6. Februar ergebnislos verlief, war der Streik eine Woche später besiegelt. Die Arbeitgebervertreter hätten erneut „kein wertschätzendes Angebot“ vorgelegt, berichtet Steer, „obwohl wir ihnen entgegengekommen sind“. Das Angebot liege weiterhin nur bei einem „Mindesteinkommensplus in Höhe von 175 Euro“.

Auch weitere Streiks nicht ausgeschlossen

Wie geht es nun weiter? Steer schließt auch weitere Streiks nicht aus, wie er am Streiktag gegenüber Ö1 betont. Diese seien verantwortbar, da es immer einen Notbetrieb gebe und in den Privatkliniken nur selten akute Patienten behandelt würden, argumentiert Steer, es gehe meist um geplante Eingriffe und Therapien. VPKA-Chefverhandler Günther hofft, dass es nicht zu weiteren Streiks komme.

Er habe deshalb das Bundeseinigungsamt angerufen, damit es rasch zu einer „gütlichen Einigung“ komme. Ein seltener Schritt, in den letzten zehn Jahren habe es keinen solchen Antrag gegeben, zitiert Ö1 das Arbeitsministerium. Jetzt werde ein Senat zusammengestellt, um zu vermitteln und Lösungsvorschläge zu machen.

Wie die Privatkliniken argumentieren

Einen Tag vor dem für 14. Februar angekündigten Streik kritisierte der VPKA in einer Aussendung, dass sein Angebot „weit über das von der vida kommunizierte hinausgeht“. Neben einer Stundenlohnerhöhung für alle Berufsgruppen über der Inflation sehe das Angebot u.a. eine Arbeitszeitverkürzung und einen Mindestlohn von 2.000 Euro vor.

Die Gewerkschaft begründe den Warnstreik aber auf ein „angeblich zu wenig wertschätzendes Angebot“ von 175 Euro Lohnerhöhung. Dieser Betrag sei aus VPKA-Sicht nicht nachvollziehbar, denn wesentliche Teile des Angebots würden völlig unerwähnt bleiben. „Im Rahmen eines Verbesserungsversuchs sind die 2.000 Euro Mindestlohn bereits angeboten worden, das wurde aber abgelehnt“, erläutert Mag. Stefan Günther, Generalsekretär und KV-Verhandlungsführer des VPKA.

Privatkliniken rufen Bundeseinigungsamt an

Darüber hinaus wären die Stundenlöhne um 8,39 Prozent – gegenüber einer festgestellten Inflation von 7,53 Prozent – erhöht worden. „Weiters haben wir eine Arbeitszeitreduktion um eine Stunde ab Mitte des Jahres 2023 angeboten, fährt Günther fort. Die Aussagen im Vorfeld des Warnstreiks würden jeglicher Sachlichkeit entbehren. Aus VPKA-Sicht ließe der Verlauf der KV-Verhandlungen nur den Schluss zu, „dass man es auf einen Streik ankommen lassen wollte“.

Der VPKA unterstreicht jedoch auch, dass er nach wie vor zu den Vereinbarungen stehe und bereit für einen Abschluss sei. „Aus diesem Grund haben wir beim im Arbeitsministerium angesiedelten Bundeseinigungsamt einen Antrag auf Einleitung von Einigungsverhandlungen gestellt“, so Günther, „unter Zuhilfenahme einer zur Objektivität verpflichteten Vermittlungsinstanz hoffen wir den Abschluss der Verhandlungen zu beschleunigen, um endlich für die Mitarbeiter:innen die Erhöhungen zu ermöglichen.“

Jänner: VPKA warf vida „Wortbruch“ vor

Bis kurz vor Weihnachten hatte es bereits fünf ergebnislose Verhandlungstermine gegeben. „Wir waren mit unserem attraktiven Angebot knapp vor einer Einigung, leider sind wir zu keinem einvernehmlichen Ergebnis gekommen. Daher sind wir so verblieben, dass wir im Jänner neue Modelle durchdenken“, erklärte Günther in einer Aussendung am 11.01.2023.

Zu diesem Zeitpunkt habe der VPKA anhand einer Aussendung der Gewerkschaft vida über eine geplante Betriebsrät:innenkonferenz zur Abstimmung von Kampfmaßnahmen erfahren müssen. Noch mehr: Der VPKA sei zur „Rückkehr an den Verhandlungstisch“ aufgefordert worden, „obwohl dies ohnehin geplant war“. Das sei „aus unserer Sicht ein Wortbruch und eine unnötige Verhärtung der Fronten“, zeigte sich Günther irritiert.

Angebot: Mindestens 8,39 Prozent bis zu 23,1 Prozent

Und so sah das Angebot laut VPKA vom Dezember aus: „Für alle mindestens die Indexanpassung, konkret eine Stundenlohnerhöhung von mindestens 8,39 Prozent und bei den niederen Gehältern sogar bis 23,1 Prozent.“ Allerdings habe es die vida unterlassen, ihre Mitglieder vollinhaltlich über das Angebot zu informieren, kritisierte der VPKA, beispielsweise, dass eine geplante Arbeitszeitverkürzung auch einer Lohnerhöhung gleichkomme.

Den KV der Ordensspitäler als Vergleich heranzuziehen, hält die Arbeitgeber-Seite für nicht zulässig. Denn die Ordensspitäler und damit auch der KV würden einem anderen System unterliegen und es gebe „wesentliche Unterstützungen der öffentlichen Hand“. Der VPKA lade daher die Arbeitnehmerseite ein, „gerne beherzt und hart – aber fair – zu verhandeln und das Aufbauen von unnötigen Drohkulissen zu vermeiden“.

Sechste Runde Anfang Februar erneut erfolglos

Auch die sechste Verhandlungsrunde am 06.02.2023 bei den Kollektivverhandlungen für die Beschäftigten der Privatkliniken war ergebnislos zu Ende gegangen. Die vida habe erneut „keinerlei Verhandlungsbereitschaft gezeigt, obwohl sie uns medial zur Rückkehr an den Verhandlungstisch aufgefordert hatte“, heißt es in einer Aussendung des VPKA.

„Wir haben nicht nur die auf Arbeitgeberseite bestehende Verhandlungsbereitschaft mehrfach signalisiert“, betonte Günther. Man wäre auch im Zuge des sechsten Verhandlungstermins dazu bereit gewesen, „die bisherigen Angebote sogar verbessert umzusetzen“.

Und weiter: „Im Sinne der Mitarbeiter:innen unserer Mitgliedsbetriebe bedauern wir diesen erneuten Abbruch durch die vida zutiefst.“ Damit sei ein Abschluss erneut auf unbestimmte Zeit verschoben worden, was letztendlich zulasten der Beschäftigten gehe.