Apothekerverband: „Keine Not“ für Wirkstoffverschreibung, aber Rezept bitte mit Signatur
Die Ärztekammer tritt mit einer breiten Kampagne gegen die Wirkstoffverschreibung, kurz Aut idem, auf. „Ohne Not“ werde versucht, so die Standesvertretung, die vernünftige Trennung der Rollen von Arzt und Apotheker aufzuheben, man befürchte auch eine Gefährdung der Patienten. Die Wirkstoffverschreibung sei gar nicht die Intention der Apotheker, es gebe hier auch „keine Not“, sagt Apotheker und Mediziner Mag. Dr. Alexander Hartl, Vizepräsident des Österreichischen Apothekerverbandes. Vorschläge im Sinne der Patientensicherheit habe er aber schon, darunter eine ausführliche Signatur auf dem Rezept und ein erweiterter Notfallparagraf bei Lieferproblemen und wenn der Arzt nicht erreichbar sei.

Der Rechnungshof und Bundesminister Dr. Wolfgang Mückstein (Grüne) hätten die Wirkstoffverschreibung wieder aufs Tapet gebracht, begründet Dr. Johannes Steinhart, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK) und Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte, den Start der Informationskampagne www.gegenwirkstoffverschreibung.at. Der oberste Niedergelassenen-Vertreter ist die Aut-idem-Diskussion zwar aus früheren Zeiten schon gewohnt, aber nun befürchtet er eine „dunkelrote Linie“.

Dr. Ernst Agneter, MBA, und Dr. Johannes Steinhart bei der Pressekonferenz der Österreichischen Ärztekammer
Denn: „Dass der aktuelle Gesundheitsminister hier eine entsprechende Beschlussfassung schon vorbereiten lässt und sich eine Änderung im Arzneimittelgesetz für Arzneimittelsubstitutionen, also die Herausgabe äquivalenter Medikamente auf Apothekenebene, vorstellen kann, das ist eine neue Dimension der Patientengefährdung“, so Steinhart wörtlich auf einer Pressekonferenz vergangene Woche. Daher sehe sich die Standesvertretung in der „Pflicht“, die Öffentlichkeit auf diese „gefährliche“ Entwicklung hinzuweisen, man habe eine Resolution verabschiedet.
Beispiele aus der Praxis und dem Altersheim
Dr. Edgar Wutscher, Obmann der Bundessektion Allgemeinmedizin in der ÖÄK und Allgemeinmediziner in Tirol, bringt ein paar Beispiele aus eigener Anschauung, worin die Gefährdung bestehen könnte. So hat er einer Altersheim-Patientin mit Schluckbeschwerden wegen eines Infekts ein lösliches Antibiotikum verschrieben. Doch ausgehändigt wurden „große Tabletten“, kein Pulver, wie er am nächsten Tag gerade noch rechtzeitig bemerkt hatte.
Ein Anruf in der Apotheke brachte zutage, schildert Wutscher, dass wegen der Pandemie noch so viele Penizillin-Tabletten auf Lager waren, weshalb diese abgegeben wurden – und nicht das aufgeschriebene Pulver. Eine andere Patientin wiederum bekam Antidepressiva-Tabletten, die nicht – so wie das aufgeschriebene Präparat – gedrittelt werden konnten. Außerdem gebe es immer wieder Compliance-Probleme, wenn Patienten plötzlich anders aussehende Tabletten bekämen.
Arzt als „moralischer Konsument“ des Medikaments
Wir konfrontierten die apothekerliche Standesvertretung mit den Beispielen, und zwar Dr. Alexander Hartl, seit Kurzem Vizepräsident des Österreichischen Apothekerverbandes. Der studierte Mediziner und Pharmazeut hat früher auch als Arzt gearbeitet und ist nun seit vielen Jahren Apotheker in Wien. Die von Wutscher gebrachten Beispiele zeigen für ihn gut, worum es geht: Seiner Meinung nach ist der Arzt der „moralische Konsument“ des Medikaments: „Der Arzt sollte also rein nach seiner wissenschaftlichen Ausbildung entscheiden, welches Medikament der Patient bekommen soll – und soll dabei nicht von wirtschaftlichen Dingen beeinflusst sein.“

Dr. Alexander Hartl, Vizepräsident des Österreichischen Apothekerverbandes, im Interview
Das stehe auch in der begleitenden Aussendung der Ärztekammer zur Pressekonferenz, was er sehr positiv findet. „Denn gerade bei den ärztlichen Hausapotheken sehen wir manchmal den gegenteiligen Effekt – die Trennung zwischen Verschreibung und Abgabe von Medikamenten ist hier ja aufgehoben. Im internationalen Vergleich steht Österreich damit ziemlich alleine da. Aus gutem Grund sind die beiden Bereiche überall sonst strikt getrennt.“
Adherence statt Compliance
Es passiere auch, dass Ärzte von einem Wirkstoff jedes Monat ein anderes Präparat aufschreiben. Ob dies daran liege, dass ein Vertreter einer anderen Firma da war, wisse er nicht, da müsste man die Ärzte fragen. Er, Hartl, habe in seiner Zeit, wo er Medikationsmanagement gemacht habe, außerdem gesehen, dass der Begriff „Compliance“ problematisch sei: Das bedeute, der Patient müsse sich fügen, sich unterordnen. „Wir lieber von Adherence: Wenn wir mit dem Patienten über Medikamente reden, erklären wir, was ein Medikament kann und wofür es genommen werden soll.“ Dadurch komme der Patient aus dem „Sich-fügen“ heraus in einen Zustand, dass er sagt: „Aha, ich weiß, wofür ich ein Medikament einnehme, und deshalb nehme ich es bewusst ein.“
Zum konkreten Beispiel aus dem Altersheim sagt Hartl, dass es sich auch um ein Lieferproblem handeln könne, von dem die Ärzte oft gar nichts oder erst mit einer Verzögerung wüssten, manchmal erst einen Monat später. Apotheken bekämen die Lieferprobleme aber „tagesaktuell“ mit und sagen den Ärzten, dass sie dies oder jenes nicht aufschreiben sollen. Bei Fällen, in denen die Rücksprache mit dem Arzt nicht möglich ist, würde ein erweiterter Notfallparagraph Abhilfe schaffen: Die Apotheke gibt ein wirkstoffgleiches Präparat ab – der Patient bekommt sofort die benötigte Arznei, ohne Wartezeiten, die sich negativ auf den Therapieerfolg auswirken.
Kommunikation soll keine Einbahnstraße sein
Aber wenn ein Patient in die Apotheke mit einem Rezept für ein lösliches Antibiotikum komme, dieses nicht vorrätig und der Arzt nicht erreichbar sei, „müssen wir etwas tun“. „Genau für diese Fälle fordern wir den erweiterten Notfallparagrafen. Er soll es uns gestatten, ein wirkstoffgleiches Präparat von einem anderen Hersteller abzugeben, wenn das ursprünglich verordnete Medikament nicht verfügbar ist. Schließlich geht es darum, im Sinne des Patienten eine rasche Lösung zu finden, sodass die Therapie ohne Verzögerung begonnen werden kann. Gerade bei Antibiotika ist das ungeheuer wichtig“, unterstreicht Hartl. Die Praxis zeige auch, wie wichtig dabei die Kommunikation zwischen den einzelnen Berufsgruppen ist.
Bei Unklarheiten versuche die Apotheke natürlich nachzufragen – egal ob beim Hausarzt oder in einem Altersheim. Wenn sich hier alle Berufsgruppen – von der Pflege über die Ärzte bis hin zu den Apothekern – engmaschig abstimmen, können Hartl zufolge viele Probleme verhindert werden: „Diese Zusammenarbeit funktioniert ja in der Praxis auch sehr gut. Umso mehr verwundert mich die Kampagne der Ärztekammer, die ja mehr darauf ausgerichtet ist, einen Keil zwischen die Berufsgruppen zu treiben. Unserer täglichen Zusammenarbeit entspricht das jedenfalls nicht.“
Bei einer lösungsorientierten Diskussion sollte etwa das Thema der Signaturen auf Rezepten angesprochen werden. Meistens gebe es keine Signatur oder nur ganz wenige Informationen, „weswegen wir die Ärzte sehr ersuchen, ausführlichere Signaturen zu schreiben, damit wir im Sinne der Patienten handeln“. Bei teilbaren Tabletten reiche in der Signatur „1/3 abends“ und der Apotheker kenne sich aus, er gebe ja nicht absichtlich unpassende Präparate ab.
Kontinuität für Patienten entscheidend
Ein weiteres Beispiel von Wutscher, das auch das Sujet der Kampagne abbildet, war, wenn Patienten mit Langzeittherapie plötzlich rote statt weiße Tabletten oder umgekehrt einnehmen müssen, gerade bei älteren Patienten könne dies ein Problem darstellen. Das bestätigt Hartl, die kontinuierliche Einnahme sei auch für ihn ein ganz wichtiger Punkt, auch das wisse er vom Medikationsmanagement, „das ich jetzt wieder betreuen darf“. Das, was er in der Apotheke immer wieder erlebe: „Der Patient bekommt genau das Packerl, das auf dem Rezept draufsteht, sagt aber dann: Das ist nicht meins.“
Die einmalige Umstellung eines Medikaments von Original auf Generikum ist für Hartl im Sinne des Gesundheitswesens nachvollziehbar. Eine mehrfache Umstellung „führt dann in der Praxis aber oft beim Thema Adherence zu Problemen“.
Nur fünf Länder in Europa mit freiem Aut idem
Er habe sich die Situation in Europa angeschaut: Es gibt nur fünf Länder, wo Ärzte wirklich nur den Freihandelsnamen (Wirkstoff) aufschreiben, 20 Länder, in denen beides möglich ist, also Freihandelsname oder Präparat, und nur sechs Länder – da ist Österreich dabei –, wo man nur das Präparat aufschreibt. Und in 27 Ländern in der EU gibt es eine „substitution by pharmacists“, nur in vier Ländern ist das nicht möglich. Es habe sich gezeigt, dass es in Deutschland durch Aut idem zu einer teilweisen Verschlechterung der Versorgung gekommen ist, „daher ist unser Zugang die Schaffung des erweiterten Notfallparagrafen“.
Und: „Wir haben ja nicht gefordert, dass nur der Freihandelsname aufgeschrieben wird“, sagt Hartl, das sei den Apothekern in den Mund gelegt worden, „wir sehen, dass hier ohne Not eine Diskussion angezettelt werden soll“. Daher betont er: „Wir sehen keinen Änderungsbedarf. Ich würde sagen, der Arzt soll wie gesagt als ‚moralischer Konsument‘ das Medikament aufschreiben, bitte mit ausführlicher Signatur drunter, damit man sich auskennt, denn das schützt auch den Patienten und fördert die Sicherheit des Medikaments, und der Apotheker soll natürlich, wenn es mit diesem Medikament ein Lieferproblem gibt, im Sinne eines erweiterten Notfallparagrafen, den Patienten versorgen dürfen.“
Die Galenik und der Faschingskrapfen
Für Hartl sind auch die Argumente von Prof. Dr. Ernst Agneter, Pharmakologe und Inhaber des Lehrstuhles für Pharmakologie an der Sigmund Freud Privatuniversität sowie ebenfalls Mediziner, nicht triftig. Dieser hat auf der Pressekonferenz von einer „rechtlichen Grauzone“ gesprochen, da ja Arzneimittelspezialitäten zugelassen würden und diese wegen der Galenik immer mehr als nur Wirkstoffe seien – vergleichbar mit Faschingskrapfen mit der gleichen Marmelade innen, aber außen mit unterschiedlichem Überzug, z.B. aus Zuckerguss.
Damit habe Agneter als Pharmakologe und Mediziner „vollkommen recht“, denn gerade Pharmazeuten haben eine sehr fundierte pharmakologische Ausbildung und kennen sich mit Galenik sicher sehr gut aus. Hartl selber habe eine Prüfung über Rezeptur und Galenik gemacht, nicht auf der Medizin, sondern auf der Pharmazie, bedankt er sich augenzwinkernd für den Hinweis.
Apotheker mit vielen Pharmakovigilanzmeldungen
Agneter habe auch auf mögliche Probleme bei Nebenwirkungsmeldungen, zu denen der Arzt verpflichtet sei, hingewiesen. Denn wenn der Verordner gar nicht wisse, was abgegeben wurde, könne er auch nichts melden. Hartl dazu: „Zu uns kommen viele Patienten und fragen, ob das aufgeschriebene Medikament z.B. eh keine Laktose enthält.“ In diesem Fall würden die Apotheker nachschauen, weil sie genauere Inhaltslisten hätten und dann sei das Thema auch wieder der erweiterte Notfallparagraf. Was Pharmakovigilanz betrifft, wurden die Apotheker vor zwei Jahren zu Meldungen aufgerufen „und wir sind dann von Dr. Christoph Baumgärtel von der AGES sogar gelobt worden, er hat sich bedankt, weil wir so viele Pharmakovigilanzmeldungen abgegeben haben“.
Die Aussage Agneters, man könne auf die Idee kommen, Wirkstoffe in größeren Mengen in Indien zu kaufen und als magistrale Zubereitungen zu verkaufen, kann Hartl nicht nachvollziehen. Der Apotheker könne ein aufgeschriebenes Präparat nicht durch eine magistrale Zubereitung ersetzen, diese würden nur dann gemacht, wenn der Arzt sie als magistrale Zubereitung aufschreibt. Und dass die meisten Wirkstoffe in Indien hergestellt werden, sei klar, „ich hielte es aber für eine großartige Idee, wenn die pharmazeutische Industrie verpflichtet wird, ihre Wirkstoffe nur mehr in Europa herzustellen“. Denn teilweise war es so, dass mehrere Hersteller ihre Wirkstoffe bei einem einzigen Produzenten aus dem asiatischen Raum gekauft haben und dann war dieser eine Hersteller verunreinigt und es mussten sämtliche Präparate vom Markt genommen werden.
Arzt soll weiterhin das richtige Präparat auswählen
Zu den magistralen Zubereitungen weiß Hartl ein gegenteiliges Beispiel zu berichten: Als bestimmte Scheidenzäpfchen nicht lieferbar waren, wurden Apotheken von den Ärzten im Sinne der Versorgung ihrer Patienten sogar gebeten, sich Rezepturen zu überlegen, „ihr könnt’s ja Galenik“. Insgesamt, so das Fazit von Hartl zur Debatte über die Wirkstoffverschreibung, sei die Notwendigkeit, etwas zu tun, „nur dann gegeben, wenn das aufgeschriebene Präparat nicht erhältlich und der Arzt nicht erreichbar ist“. Der Arzt soll aber weiterhin der „moralische Konsument“ sein und das für den Patienten richtige Präparat auswählen.