3. Nov. 2021Arzneimittelfälschungen

Schmuggelmedikamente: Neuer Rekord an Aufgriffen, aber Menge gesunken

Heuer hat die Zollverwaltung bereits mehr Aufgriffe an Schmuggelmedikamenten verzeichnet als im gesamten Vorjahr. Allerdings waren bisher keine großen Schmuggelfälle dabei, daher sank auch die sichergestellte Stückzahl an Fälschungen, gab das Finanzministerium kürzlich bekannt. Hoch im Kurs stehen weiterhin Potenzpillen und fruchtbarkeitsfördernde Produkte. Aber auch Lutschtabletten für ein negatives Corona-Testergebnis stachen den Fahndern ins Auge. Eine Umfrage zeigte, dass auch gefälschte COVID-19-Tests, Arzneien und Impfungen im Internet kursieren.

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BMF/Wilke

Von Jänner bis September 2021 verzeichnete der österreichische Zoll 3.861 Aufgriffe an gefälschten oder anderen illegalen Medikamenten. Das ist ein Anstieg der Fälle in den ersten drei Quartalen bereits um 12,9 Prozent gegenüber dem Vorjahreswert mit 3.420 Aufgriffen. Insgesamt zogen die Zöllner heuer bisher 190 Kilogramm, 2.157 Packungen, 556 Flaschen und 275.808 Stück an Schmuggelarzneien aus dem Verkehr.

Bereits im Vorjahr gab es einen Rekord an Aufgriffen. 2020 habe man „so viele Fälle wie niemals zuvor in einem Jahr verzeichnet“, erklärt Finanzminister Mag. Gernot Blümel (VP) Ende Oktober, „dass dieser unrühmliche Rekord heuer noch übertroffen wird, ist nun traurige Gewissheit“. Allerdings habe man „große Schmuggelfälle“ bis dato noch nicht verzeichnet, weshalb auch die bislang sichergestellte Anzahl der Fälschungen niedriger gewesen sei als in den Jahren zuvor.

Schon im Vorjahr rund 60 Prozent mehr Aufgriffe als 2019

Ein Blick der Redaktion ins Archiv zeigt, dass die Steigerung der Aufgriffe im Vorjahr gegenüber 2019 sogar mehr als 58 Prozent betrug. Auch die 2020 aufgegriffene Menge von 345.966 illegalen Medikamenten lag im Spitzenbereich – die zweithöchste jemals von der Zollverwaltung verzeichnete Stückzahl. Die Österreichische Apothekerkammer (ÖAK) führte dies in einer Aussendung Ende März unter anderem auf die Corona-Pandemie zurück, wo kriminelle Banden bewusst auf die Verunsicherung und das mangelnde Fachwissen vieler Personen setzen. Im besten Fall seien gefälschte Medikamente wirkungslos, „im schlimmsten Fall gesundheitsschädigend oder sogar tödlich“, betonte ÖAK-Vizepräsident Mag. pharm. Raimund Podroschko damals.

Schmugglerbanden reagieren rasch und weichen Zollkontrollen aus

Zurück ins Finanzministerium, Blümel erklärt den Rückgang der sichergestellten Menge mit mehr Kontrollen und lobt die erfolgreiche Arbeit des österreichischen Zolls: „Schmugglerbanden, die hinter diesen großen Schmuggelfällen stehen, reagieren auf Zollkontrollen und weichen rasch auf andere Routen und Destinationen aus. Unser Kontrolldruck hat sich hier also ausgezahlt.“

95 Prozent der Arzneiwarenaufgriffe waren Kleinsendungen im Postverkehr. „Die durch die Pandemie nochmals gestiegenen Internet-Einkäufe machen auch vor Bestellungen von gefälschten oder illegalen Arzneien nicht halt“, fährt der Finanzminister fort, konkret habe es 3.683 Sicherstellungen von Kleinsendungen mit insgesamt 260.259 Stück gegeben.

Knapp jeder Siebte online schon auf Kanäle mit gefälschten Arzneien gestoßen

Dies deckt sich mit telefonischen bzw. Online-Befragungen* (n = 1.000, maximale Schwankungsbreite der Ergebnisse: +/-3,1 Prozent), die das Markt- und Meinungsforschungsinstitut Unique Research (Leiter: Dr. Peter Hajek) im Auftrag des Finanzministeriums in der zweiten Septemberhälfte 2021 durchgeführt hatte: 8 Prozent gaben an, ihr Einkaufsverhalten in puncto Arzneien hin zum Onlinekauf verlagert zu haben. 15 Prozent sind laut Umfrage bereits online auf Kanäle mit gefälschten Medikamenten gestoßen und knapp ein Viertel hat schon bedenkliche Werbung für Medikamente bekommen.

Spitzenreiter der Aufgriffe des Zolls sind nach wie vor Potenzmittel sowie fruchtbarkeitsfördernde Produkte. Weiters beschlagnahmten die Zöllner Schlaf- und Beruhigungsmittel, Antihistaminika, Abführmittel, Mittel gegen Epilepsie, schmerz- und entzündungshemmende Medikamente sowie gelenksstärkende und knochenschützende Supplemente.

Lutschtabletten fürs Freitesten

Auch obsolete Corona-Medikamente wie Chloroquin bzw. Hydroxychloroquin wurden sichergestellt, waren aber nur vereinzelt unter den Beschlagnahmungen. Die Zöllner fanden jedoch Lutschpastillen für Atemwegserkrankungen – mit interessantem Beipacktext: Der kriminelle Verkäufer habe empfohlen, „alle zwei Stunden vier Tabletten auf der Zunge zergehen zu lassen, aber nicht zu lutschen“, berichtet Blümel, „nach spätestens drei Tagen sollte dann ein Covid-Test bereits negativ ausfallen“.

Das Finanzministerium warnt, dass man bei Bezug von „Gesundheitswaren“ ohne medizinische Expertise außerhalb einer ärztlichen Praxis oder Apotheke mögliche Behandlungsfehler nicht ausschließen könne. Mehr noch: Geschmuggelte Medikamente seien oftmals wirkungslos oder verunreinigt, auch weil es sich häufig um Fälschungen handelt. „Zusammensetzung der Inhaltsstoffe, Produktion und Vertrieb von geschmuggelten Medikamenten liegen im Unklaren und sind ungeprüft“, hebt Blümel hervor, „diese Unsicherheit sollte jeden vom Kauf außerhalb unserer Apotheken abhalten.“

Das finden auch die Befragten der Unique Research-Umfrage: Der beste Schutz sei der Einkauf in Apotheken. Doch mehr als ein Drittel (36 Prozent) vertrauen auch geprüften und bekannten Online-Händlern. Grundsätzlich werden Medikamente überwiegend in Apotheken gekauft, nur 6 Prozent kaufen überwiegend online.

Umfrage: Über 80 Prozent der Fälschungen online, 2 Prozent in Apotheken

Weitaus am häufigsten (82 Prozent) werden den Befragten zufolge (gestützte Abfrage) gefälschte oder illegale Medikamente in Österreich online bzw. im Internet gekauft, danach folgen:

  • im klassischen „Schleichhandel“: 8 Prozent
  • Apotheken: 2 Prozent
  • Drogeriemärkte: 1 Prozent
  • weiß nicht / k.A.: 6 Prozent

In Arzt-Ordinationen sowie über andere Kanäle werde kein gefälschtes Medikament gekauft. Ebenfalls bemerkenswertes Ergebnis: 8 Prozent (mit Zusatz: „urbaner Raum, Wien“) sind schon einmal auf Internet-Seiten oder andere Kanäle gestoßen, die gefälschte Medikamente, Tests oder Impfungen gegen COVID-19 anbieten.

Was mit den beschlagnahmten Medikamenten passiert

Die sichergestellten Arzneien würden entweder an den Absender retourniert oder vernichtet, da das Wohl und der Schutz der Bevölkerung im Vordergrund stünde, wird betont. Im Oktober habe die Dienststelle Süd des Zollamts Österreich knapp 5.400 Stück Medikamente „der Vernichtung zugeführt“. Es handelte sich überwiegend um Potenzmittel, die heuer von Beamten der Zollstelle Graz im Zuge von Kontrollen bei Post- und Paketdiensten aufgegriffen und beschlagnahmt wurden. Die Zollstelle Wien/Dienststelle Nord des Zollamts Österreich habe im Juli 2021 rund 200 kg bzw. 46.201 Stück Medikamente vernichtet, die in den vergangenen fünf Jahren für verfallen erklärt worden waren.

Hier geht's zu den Ergebnissen der UNIQUE research-Befragung
»Medikamentenfälschung: Wissen & Einstellungen«