Gesundheitsminister Anschober tritt zurück
Am Schluss der sehr emotionalen Erklärung gab es eine Verbeugung mit Abschiedsgruß. Gesundheitsminister Rudi Anschober (Grüne) gab am 13.04.2021 seinen Rücktritt bekannt. Nein, es sei kein Burnout, sonst stünde er nicht da, ihm sei die Kraft ausgegangen, er habe praktisch 14 Monate durchgearbeitet. Anschober bohrt durchaus in offenen Wunden der Öffnungsbefürworter in der Corona-Pandemie und spricht die Risiken von Mutationen und Long Covid an. Für Tränen schämt er sich nicht, sein Dank gilt seiner Lebenspartnerin, seinem Team im Ministerium, den Parteigefährten, dem Wiener Bürgermeister – und der Cobra.
Seit November sei er unter Polizeischutz. Die Aggressionen hätten in der zweiten Welle immer mehr zugenommen, inklusive Morddrohungen von einer kleinen Gruppe von Coronaleugnern. Er richtet ein Danke an das Einsatzkommando Cobra, aber: „Eine Energiequelle war weg.“ Damit meinte der Gesundheitsminister, ein passionierter Bahnfahrer, die vielen unbefangenen Gespräche in den Zügen zwischen Linz und Wien, zwischen Wohn- und Arbeitsort.
Kurz vor dreiviertel neun, cum tempore, betritt der gelernte Volksschullehrer und ehemalige Landespolitiker, der am 29.01.2020 als Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz angelobt wurde, den Gobelin-Saal im Ministerium und holt für eine „persönliche Erklärung“ aus. Die Stimme bricht immer wieder, als er von den letzten Monaten, die „sich wie Jahre angefühlt“ hätten, erzählt. Er hob mehrere Aufgaben des Ministeriums hervor, darunter die Pflegereform, die größte, die es seit Jahrzehnten in Österreich gegeben habe und die sich in den Startlöchern befinde.
Von „erheblichen Mühlen“ und Parteitaktik
Dann kam die schwerste Gesundheitskrise seit Jahrzehnten, das Gesundheitsministerium wurde zum Steuerungszentrum in der Pandemie. Anschober betont die Anforderungen und Belastungen, „für ihn persönlich, aber auch für jede einzelne Mitarbeiterin und Mitarbeiter“. Als sein Credo gab er an, „dialogorientiert“ zu arbeiten. 106 Verordnungen und viele Erlässe seien gestaltet worden, die Einbindung vieler sei ihm immer wichtig gewesen. Jedoch seien „erhebliche Mühlen“ entstanden, Anschober spricht auch von einem „Schuss Populismus“ und einem „Schuss Parteitaktik“.
Dennoch „vieles“ sei richtig gemacht worden, als Beispiele nannte er das Testen und die Impfungen, 2,2 Millionen bisher. Erfolgreich sei die Pandemiebekämpfung immer auch bei Einigkeit und Zusammenhalt gewesen – so wie vor allem in der ersten Welle. In der zweiten Welle habe man „gerade noch die Notbremse gezogen“, sagt Anschober, bevor er dann von den zunehmenden Aggressionen berichtet. In der dritten Welle habe er sich „sehr oft alleine gefühlt“, aber es sei ihm gelungen, „mit aller Kraft“ so manche Öffnungen zu verhindern. Explizit bedankt er sich an dieser Stelle beim Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ), über den Koalitionspartner ÖVP verliert er kein Wort.
Long Covid: Es gehe „um jeden einzelnen Infektionsfall“
„Wir sind bei dieser Pandemie noch nicht über den Berg“, betont er, die Lage in den Spitälern sei „dramatisch“. Die Liegedauer auf den Intensivstationen betrage im Schnitt 29, 30 Tage. Der Gesundheitsminister sieht für seinen Nachfolger vier große Probleme, allen voran Mutationen, die sich entwickeln können. Zweitens: „Mehr als ein Drittel der Bevölkerung geht nicht testen.“ Weiters sei es mehr als ein Drittel der Bevölkerung, die nicht impfen gehen werden. Als vierten Punkt spricht er – überraschend – Long Covid an, das auch nach anfangs milden Verläufen auftreten könne: „Britische Studien gehen von zehn Prozent Long Covid aus.“ Daher gehe es „um jeden einzelnen Infektionsfall“, der verhindert werden könne.
Seit 14 Monaten habe er „praktisch durchgearbeitet“, er habe sich dabei „ganz offensichtlich überarbeitet“, immer wieder bilden die Augen einen Film: Vor einem Monat der erste Kreislaufkollaps, Probleme mit Blutdruck und Zucker, beginnender Tinnitus – Anschober kam ins Spital. Die Ärzte rieten ihm zur „Schonung“, Organschäden hatte er keine, weswegen er noch einen Versuch startete, weiterzumachen. Doch am Dienstagmorgen, genau eine Woche vor der „persönlichen Erklärung“, folgte der zweite Kollaps. Ein Burnout, so wie vor neun Jahren, sei es keines, sonst stünde er nicht hier, ihm sei einfach „die Kraft ausgegangen“, als sei „der Stecker rausgezogen“.
Dr. Wolfgang Mückstein: Arzt als neuer Gesundheitsminister
Die Pandemie mache aber keine Pause: „Es braucht einen Gesundheitsminister, der 100 Prozent fit ist“, begründet er die Entscheidung, sein Amt zurückzulegen. Selbst wenn er die Notbremse nicht ziehe und weiterarbeite, wären keine 100 Prozent möglich. Und: „Ich will mich auch nicht kaputtmachen.“ Wer ihm nachfolgt, sei mit Vizekanzler und „Freund“ Werner Kogler bereits geregelt. Der grüne Vizekanzler sollte dann wenig später um die Mittagszeit Allgemeinmediziner Dr. Wolfgang Mückstein als Nachfolger offiziell bekanntgeben, dessen Angelobung für Montag, 19.04.2021, geplant ist.
In ein paar Wochen, so ist sich Anschober sicher, werde er wieder „Kraft“ haben. Was er vorhabe, wisse er noch nicht, aber – und da beginne es wieder zu „strahlen“ in ihm – nach fünf Sachbüchern wolle er den ersten „politischen Roman“ schreiben. „Irgendwann“, betont er mehrmals, und spricht von der einen oder anderen Inspiration – mit einem Blick und Unterton, der keine Zweifel lässt, dass es ihm nicht an Stoff mangeln dürfte.
Dank an Unterstützer aus Bevölkerung
In den letzten Minuten seiner Rede bedankt er sich bei seiner „großartigen Lebenspartnerin“, die Augen füllen sich mit Tränen, die beiden seien in den letzten Monaten noch enger zusammengewachsen. Dann folgen die „hervorragende Kabinettchefin“ (Mag. Dr. Ruperta Lichtenecker, Anm.) mit dem gesamten Team im Ministerium, die „wunderbare grüne Regierungsfraktion“ und der grüne Parlamentsklub, viele davon „Freundinnen und Freunde“, insbesondere Werner Kogler.
Abschließend dankt er auch den Unterstützern aus der Bevölkerung für die vielen Mails, Briefe, Blumen und Mehlspeisen. „Und Ihnen sag‘ ich“, legt er die Hand aufs Herz und verbeugt sich, „Auf Wiedersehen!“ Fragen wurden keine zugelassen, unter Applaus seiner Mitarbeiter verließ er den Saal.