ÖGK-Obmann: Nicht ohne Corona-Impfung ins Konzert
Heuer war in Alpbach vieles anders. Die Gesundheitsgespräche fanden als „hybrides Event“ von 23. bis 25. August 2020 statt. Einerseits virtuell, andererseits physisch mit Hygienekonzept, wie etwa Maskenpflicht (MNS) oder ein Zahlstab-Abstand von mindestens zwei Metern in geschlossenen Räumen. Aus gesundheitspolitischer Sicht gab es vor allem zwei Highlights: Die präsentierte Studie zur „Leistungskraft regionaler Gesundheitssysteme und COVID-19“ und das PRAEVENIRE-Gipfelgespräch auf der Open Alm (Schafalm des Böglerhofs), geziert mit der bunten Schafherde als Installation. Andreas Huss, Obmann der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK), lässt mit Aussagen zu einer möglichen COVID-19-Impfpflicht in gewissen Situationen aufhorchen. Medonline wollte es genauer wissen und fragte nach.
medonline: Herr Obmann, Sie haben sich auf der Schafalm gegen eine COVID-19-Impfpflicht ausgesprochen. Allerdings solle es auch „klar definierte Konsequenzen“ für jene geben, die sich gegen eine Impfung entscheiden. Bedeutet das Zugangsbeschränkungen für Ungeimpfte, z.B. in Schulen?
Huss: Ja, wie bei Masern. Für Eltern, die bewusst ihre Kinder nicht impfen lassen, gibt es zwar keine Impfpflicht, aber wenn Masernfälle auftreten, müssen sie damit rechnen, dass ihre Kinder nicht in die Schule dürfen. Bei Corona gibt es natürlich noch viele Unklarheiten. Aber vorausgesetzt, wir werden das Virus nicht mehr los, das sagen alle Experten, und müssen damit leben und es gibt eine niederschwellig zugängliche Impfung, die kostenlos oder annähernd kostenlos zur Verfügung gestellt wird, dann werden wir bei einem großen Konzert, z.B. mit 50.000 Teilnehmern, sagen, dass natürlich nur jene eingelassen werden, die geimpft sind. Aber wie gesagt, es ist noch zu früh, solche konkreten Maßnahmen vorzuschlagen, weil wir noch nicht wissen: Wann kommt die Impfung und wie wirksam ist sie?
Wenn ja, wird es aber nicht von vornherein bei Schulanmeldungen eine Zugangsbeschränkung geben, sondern nur, wenn Erkrankungsfälle auftreten?
Huss: Richtig, nur wenn die Erkrankung auftritt, so wie es bei Masern ist. Um das auf Corona umzulegen, wage ich einen Blick in die Zukunft: Angenommen, das Virus lässt sich auch in fünf Jahren nicht ausrotten, ist aber durch eine hohe Durchimpfungsrate sehr eingeschränkt, weil es eine gut wirksame, verträgliche, niederschwellig zugängliche und kostenlose Impfung gibt, sodass es keine soziale oder wirtschaftliche Entscheidung ist, und es taucht das Virus in einer Schule so wie die Masern eben wieder auf, dann müssen die Kinder, die nicht geimpft sind, eben zuhause bleiben.
Nun, die ganz Optimistischen bei den Alpbacher Gesundheitsgesprächen, darunter Dr. Clemens Martin Auer, Sonderbeauftragter des Gesundheitsministeriums, rechnen laut APA schon mit Ende des Jahres mit einer vermarktbaren COVID-19-Vakzine. Andere sind da skeptischer. Aber mal angenommen, ein ordentlich zugelassener Impfstoff ist im nächsten Frühjahr erhältlich und die vierfärbige Corona-Ampel in einem Schulbezirk schaltet auf Gelb, weil Erkrankungsfälle auftreten: Müssten ungeimpfte Kinder schon zuhause bleiben?
Huss: Zum Beispiel, genau.
Sie haben Konzerte angesprochen, gilt das auch für größere Sportevents und andere Massenveranstaltungen?
Huss: Ja, für alle Massenveranstaltungen. Ins Wiener Ernst-Happel-Stadion passen 50.000 Leute hinein, wobei man Veranstaltungen im Freien anders bewerten muss, weil offensichtlich die Ansteckungsgefahr im Freien bei Weitem nicht so groß ist wie in geschlossenen Räumen. Ich bin kein Epidemiologe oder Virologe, das müssen dann die Experten entscheiden, was da sinnvoll ist. Aber in geschlossenen Räumen, wie z.B. das Große Festspielhaus bei den Salzburger Festspielen mit knapp 2.200 Sitzplätzen, kann ich mir vorstellen, dass nur Leute hineingelassen werden, die auch geimpft sind. Es gibt ja auch die Superspreader, das hat man bei dem Treffen der Rotarier in Salzburg gesehen, wo ein Infizierter viele angesteckt hat.
Und im Gesundheitsbereich, ist eine Impfpflicht für das Gesundheitspersonal, federführend wird hier oft die Steiermark genannt, vorgesehen?
Huss: Hier ist es den Trägern bzw. dem Land überlassen, entsprechend für die Impfung zu werben und die Mitarbeiter entsprechend zu motivieren …
Aber SPÖ-Partei-Chefin Dr. Pamela Rendi-Wagner hat im ORF-Sommergespräch gesagt, dass sie für eine Influenza-Impfpflicht für Gesundheitspersonal sei. Wäre es da nicht konsequent, wenn es auch eine COVID-19-Impfpflicht gäbe?
Huss: Wenn es eine gut wirksame und verträgliche Impfung gibt, dann ist eine Impfpflicht sicher sinnvoll, aber das liegt dann sowieso im Ermessen des jeweiligen Unternehmens, zu sagen: Bei mir arbeiten nur Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die entsprechend geimpft sind.
Sie würden das befürworten?
Huss: Ja, natürlich, weil das Gesundheitspersonal wichtig ist und geschützt werden muss, wobei ich grundsätzlich nicht für eine gesetzliche Impfpflicht bin, sondern für Aufklärung und Motivation durch die Betreiber oder Eigentümer oder dem Land.
Also, keine gesetzliche Impfpflicht für ganz Österreich im Gesundheitsbereich?
Huss: Ich möchte nicht, dass Menschen dazu gezwungen werden, dass sie geimpft werden, das lehne ich grundsätzlich ab. Die Mitarbeiter in den Spitälern, Gesundheitseinrichtungen sind so verantwortungsvoll, dass es für die meisten ohnehin klar ist, dass sie sich impfen lassen, weil das sie und die Patientinnen und Patienten schützt.
Wie passt diese Freiwilligkeit mit einer Impfpflicht für Konzert- und/oder Sportveranstaltungsbesucher zusammen?
Huss: Wenn ein Spitalsträger sagt, ich möchte, dass meine Mitarbeiter alle geimpft sind, das ist die Voraussetzung, dann kann sich ein Mitarbeiter überlegen, ob er dort arbeiten möchte oder nicht. Das ist wie die Helmpflicht am Bau. Jeder Arbeiter, der auf einer Baustelle mit Helmpflicht arbeitet, muss einen Helm aufsetzen. Wenn er ihn nicht aufsetzt oder nicht aufsetzen will, dann ist das seine Entscheidung, aber er kann dort nicht arbeiten.
Das heißt, es liegt an den Trägern?
Huss: Genau.
Wie ist es mit krebskranken oder immunsupprimierten Menschen, die sich nicht impfen lassen können, sind sie dann von Konzerten oder Sportveranstaltungen ausgeschlossen?
Huss: Das sind Risikogruppen, auf die wir besonders aufpassen müssen. Wenn jemand immunsupprimiert ist, dann ist die Frage, wie sinnvoll es ist, auf solche Veranstaltungen zu gehen, das muss dann jeder für sich entscheiden.
Was ist aber mit z.B. krebskranken Menschen, die sich aus medizinischen Gründen mehrere Jahre lang nicht impfen lassen können? Müssen die solange daheimbleiben oder soll es da Ausnahmen geben?
Huss: Ja, da muss es Ausnahmen und z.B. andere Schutzmaßnahmen wie entsprechende Masken geben. Aber das sollte wirklich die Ausnahme sein.
Wie realistisch schätzen Sie die Umsetzung des in Alpbach vorgeschlagenen – und durchaus mit guten Argumenten untermauerten und durchkalkulierten – AT4Health/Corona-Fonds samt der regionalen „Ambulanztöpfe“ in der Höhe von 4,25 Milliarden Euro ein (siehe Studie**)?
Huss: Für mich ist klar, wenn die Regierung insgesamt 41 Milliarden Euro für die Corona-Hilfe in die Hand nimmt, für Kurzarbeit, für Hilfspakete für den Tourismus, für die Kultur, für den Sport usw., dass es auch ein Hilfspaket für die Gesundheitsversorgung geben muss. 4,25 Milliarden sind zehn Prozent, von den Corona-Gesamtaufwendungen – das ist nicht zu viel verlangt. Und mit diesem Geld kann schon sehr viel passieren. Da kann man z.B. sehr viel in die Gesundheitsvorsorge investieren, wo wir bei den vermeidbaren Todesfällen unter 75 Jahren durchaus nicht im europaweiten Spitzenfeld sind. Da haben wir schon noch einiges zu tun. Ich habe in meinem Programm* dargestellt, dass wir ein gutes Gesundheitssystem in Österreich haben, aber z.B. bei der Versorgung von Menschen mit chronischen Erkrankungen, bei den Diabetikern, bei den Herzinsuffizienten, bei den Lungenkranken, COPD-Kranken haben wir noch Luft nach oben. Wo wir auch noch Luft nach oben haben, ist die Gesundheitsförderung und die Prävention. Ein Beispiel ist das Vorsorge-Koloskopie-Programm in Vorarlberg, das schon zehn Jahre durchgeführt wird. Bei 700 Menschen konnten dadurch rechtzeitig Darmpolypen herausgezwickt werden, sie haben keine Chemotherapie, Operation, etc. gebraucht. Das heißt, für 700 Menschen haben wir die Lebensqualität verbessert und im Spitalssektor wurden durch dieses Programm 75 Millionen Euro alleine in Vorarlberg gespart. Wenn ich das auf Österreich umlege, ist das ein großes Potenzial. Solche Programme müssen wir österreichweit ausrollen. Da gibt es viele Beispiele, die ich in meinem Programm ausgeführt habe.
Gleich sechs Forderungen aus diesem 7-Punkteprogramm der ÖGK-Arbeitnehmerkurie finden sich auch im von Philips Austria beauftragten „Fact Book“ von Gesundheitsökonomin MMag. Maria Hofmarcher-Holzhacker et al.**: Stärkung der Primärversorgung, Zusammenarbeit im ambulanten Bereich, Leistungsharmonisierung über alle Versicherungsträger, Ausbau der Telemedizin, finanzielle Absicherung der Krankenversicherung sowie Ausbau von Gesundheitsförderung und Prävention. Gibt es schon positive Signale seitens des Sozialministeriums, der Regierung bzw. der Länder?
Huss: Es hat schon erste Gespräche gegeben, Minister Rudolf Anschober hat ja letzte Woche auch in einer Pressekonferenz schon für heuer einen dreistelligen Millionen-Betrag zugesagt. Auch für 2021 und 2022 gibt es schon positive Signale für die Corona-Ausstände der ÖGK, die unverschuldet in diese Situation gekommen ist. Ich habe auch schon mit den Gesundheitssprechern aller Parteien gesprochen, da war kein einziger dabei, der gesagt hätte, das kommt nicht in Frage. In besonders schwierigen Situationen muss der Staat aushelfen, es ist ja nicht das erste Mal, ich erinnere an die Kassensanierung. Am 9. September soll es den nächsten Termin beim Minister geben.
Und seitens des Finanzministers? Gibt es da auch Signale?
Huss: Da gibt es auch Signale, wobei das Finanzministerium sich die Zahlen im Detail anschauen möchte. Da sitzen die Experten jetzt gerade zusammen.
Was ist mit den Ländern?
Huss: Die Länder haben ein anderes Problem, das ist die Spitalsfinanzierung. Die Sozialversicherungen zahlen ja doch rund 45 Prozent der Beiträge an die Länder für die Spitalsfinanzierung – das vergisst man immer und meint, die Länder bezahlen das – das zahlen auch die Beitragszahler und wenn unsere Beiträge zurückgehen, dann sinken auch diese Beiträge an die Länder. Aber das wird zwischen Minister und Länder verhandelt.
Was liegt Ihnen sonst noch auf dem Herzen?
Huss: Mir ist es ganz wichtig, dass man neben diesen Corona-Ausfällen auch nicht auf das Sozialversicherungsorganisationsgesetz vergisst, das zur Kassenfusion geführt hat und uns einen riesigen finanziellen Rucksack beschert hat. Ich erinnere an die 12 Millionen Euro, die wir zusätzlich an den privaten Krankenanstalten-Fonds (PRIKRAF) bezahlen müssen, um die Privatklinik Währing in den Fonds aufzunehmen. Allerdings bekommt das Geld nicht Währing, sondern die anderen Privatspitäler, im Wesentlichen Spitäler, die der PremiQaMed Group (Uniqa) gehören. Das sind Gelder, die den Beitragszahlern weggenommen wurden, um Privatspitäler zu finanzieren. Da habe ich auch gesagt, das muss zurückabgewickelt werden. Der zweite Punkt ist, dass wir 30 Millionen jährlich weniger an Steuerrückerstattungen bekommen, das sehe ich auch nicht ein, da uns diese an und für sich zustehen, die möchte ich auch wieder einfordern. Und der dritte Punkt ist, dass das Erstattungsmodell der Arbeitsunfälle von der AUVA zu uns von einem validierten System eingefroren wurde und nicht mehr jährlich erhöht wird. Dieses Gesamtpaket kostet uns alleine heuer schon 57 Millionen Euro, 2021 dann 70 Millionen.
Was den Ersatz der Corona-bedingten Ausfälle niedergelassener Ärzte betrifft: Dr. Johannes Steinhart, Obmann der Bundeskurie niedergelassene Ärzte und Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK), sieht hier ein “Zuständigkeits-Pingpong” zwischen ÖGK und Regierung. Sind Sie hier zuversichtlich, dass hier ein gemeinsamer Weg gefunden wird?
Huss: Ich glaube, wir haben einen guten Weg gefunden: Wir haben nicht nur die Kassenärzte, sondern alle unsere Vertragspartner wie Psychotherapeuten, Physiotherapeuten, Logopäden, Ergotherapeuten usw. mit einer 80-prozentigen Akontozahlung, vom Vorjahreshonorar berechnet, ausgestattet. Das werden wir bis 2023 gegenverrechnen. Wir haben im Gegenzug dafür auch für die Zeit nach Corona die Limitierungen und die Deckel aufgemacht, sodass die Ärzte, die für Patientinnen und Patienten da waren und wirklich die Stellung gehalten haben, bis zu 93 Prozent Ersatz bekommen, also fast keine Umsatzeinbußen mehr haben. Wir glauben, wir haben damit die Existenz der Ärzte und anderer Vertragspartner gut abgesichert. Das Pingpongspiel bezieht sich auf den Gesetzgeber, die Ärzte verlangen, dass diese Akontozahlung nicht bis 2023 nachverrechnet oder gegenverrechnet wird, sondern dass sie das fix bekommen. Ich gehe davon aus, dass sie, wenn sie die Ordinationen offen hatten, das auch bekommen, weil sie auch die telemedizinischen Leistungen ohne Limitierungen abrechnen können. Also, wenn die Ärztekammer jetzt möchte, dass diese 80 Prozent nicht als Akonto, sondern als Dauerleistung gezahlt wird, dann braucht man dazu den Gesetzgeber. Ich habe mit dem Minister auch darüber gesprochen, ich habe damit überhaupt kein Problem, wenn das gemacht wird, aber dann muss es eine Gesetzesänderung und das Geld dafür geben.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Zur Person – Andreas Huss
Die Arbeitnehmerkurie hat seit 1. Juli 2020 den Vorsitz in der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) inne. Neuer ÖGK-Obmann ist daher der bisherige stv. Obmann Andreas Huss, MBA, der den Arbeitgeberobmann Matthias Krenn bis Jahresende ablöst. Huss war vor der Kassenfusion Obmann der Salzburger Gebietskrankenkasse.
* Programm: Sommertour Andreas Huss 2020
** Studie und Fact Sheets zu Bundesländern unter: https://www.philips.at/healthcare/ueber-uns/events/forum-alpbach?origin=10_de_at_alpbach_local-com