187 Hausärzte wehren sich gegen „Provokationen“
Das Verhältnis war schon einmal besser: In einem offenen Brief an die Ärztekammer wenden sich 187 niederösterreichische Allgemeinmediziner gegen das „mediale Hausärzte-Bashing“. Auslöser war die Wortwahl von Patientenanwalt Dr. Gerald Bachinger zur Qualität der Versorgung chronisch Kranker im extramuralen Bereich, womit er den ÖGK-Vorschlag, hausärztliche Leistungen in Spitalsambulanzen zu verschieben, begrüßt. Die Standesvertretung versucht zu kalmieren, Bachinger auch.
Anrufe und E-Mails empörter Ärzte über die Aussagen des Generaldirektors der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK), Mag. Bernhard Wurzer, beschäftigten schon vergangenes Wochenende die Österreichische Ärztekammer (ÖÄK). Wie medonline berichtete, hatte Wurzer in einem ORF-Interview laut darüber nachgedacht, gewisse Leistungen wie etwa Vorsorgeuntersuchungen oder Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen vom niedergelassenen Bereich in die Spitalsambulanzen zu verlagern – samt Beteiligung an den Kosten.
„Wir spüren den massiven und ständig mehr werdenden Unmut“, informierte ÖÄK-Präsident Dr. Thomas Szekeres in einer Aussendung am Sonntag, die Kollegen würden sich fragen, ob es wirklich das erklärte Ziel der Krankenkasse sein könne, „das Gesundheitssystem an die Wand zu fahren“. Auch die ÖÄK-Vizes Dr. Johannes Steinhart, Niedergelassenen-Kurienobmann, und Dr. Harald Mayer, Angestellten-Kurienobmann, reagieren grantig. Mayer vermutet sogar, dass Wurzer als „Speerspitze“ missbraucht werde, um offensichtliche „politische Vorgaben“ umzusetzen.
Aufgebrachte Kassenärzte: „Es reicht!“
Tags darauf, am Montag, die nächste Aufregung, diesmal in Niederösterreich. Dr. Christoph Reisner, Präsident der Ärztekammer für NÖ, forderte in einer Aussendung eine Entschuldigung von Patientenanwalt Dr. Gerald Bachinger, weil dieser im Ö1-Mittagsjournal (Freitag, 06.03.2020) die chronische Versorgung in den Ordinationen als „grottenschlecht“ bezeichnet habe. Überdies hatten viele Hausärzte die Nase voll: Gleich 187 Kassenärzte für Allgemeinmedizin unterzeichneten eine Petition und schickten einen Offenen Brief mit dem Titel „Mediales Hausärzte-Bashing? Es reicht!“ am Montagabend an ihre Standesvertretung – und zwar nicht nur an Reisner, sondern auch gleich an Szekeres und Steinhart.
Das Fass zum Überlaufen brachten demnach einerseits die Aussage Bachingers, die „Versorgung chronisch Kranker durch die niedergelassenen Ärzte“ sei „grottenschlecht“, so das Zitat in dem Brief, und andererseits der ÖGK-Vorschlag, die hausärztliche Versorgung vermehrt in die Spitalsambulanzen zu verschieben. Statt in Zeiten von Corona „Schulterschluss im Gesundheitssystem“ zu zeigen, müssten sich die Hausärzte fast täglich in den Medien „solche Herabwürdigungen und Provokationen“ gefallen lassen. Wie viel Frust über die mangelnde Wertschätzung sich schon aufgestaut hat, offenbart die Andeutung, nur mehr „Dienst nach Vorschrift“ im Fall einer möglicherweise anstehenden europaweiten Pandemie zu machen. Auch hätten bereits einige Kollegen ihre freiwilligen Bereitschaftsdienste abgemeldet, weitere würden folgen.
Zeitgemäßer Honorarkatalog, kein Abspeisen
Doch die Hausärzte sparen auch nicht mit Kritik an ihren Präsidenten: Viele würden nun auf eine gemeinsame Aktion der Standesvertretung warten: „Also TUN Sie bitte endlich etwas!“ Die Unterzeichneten fordern unter anderem Aktionen und „sichtbare Zeichen gegen solche Provokationen“, entsprechende Öffentlichkeitsarbeit und – „Verhandeln Sie einen vernünftigen, zeitgemäßen Honorarkatalog mit ÖGK und Bundeskassen, ohne uns mit ein paar lächerlichen kleinen Positionen da und dort abspeisen zu lassen!“ Abschließend wiederholen sie nochmals den Appell: „Vertreten Sie bitte endlich unsere Interessen und verhindern Sie die Abschaffung der Hausärzte, bevor es endgültig zu spät ist!“
Doch was hat Bachinger eigentlich genau im Ö1-Journal gesagt? Zunächst legte er die drei wichtigsten Gründe dar, die Patienten anführen, warum sie in die Ambulanzen gehen: Erstens wegen umfangreicherer Öffnungszeiten, zweitens sei die Versorgung im Sinne eines One-Stop-Shops “viel besser” als im niedergelassenen Bereich und drittens würden die Patienten durchaus denken, “dass die fachliche Qualität auch besser ist”.
Als mögliche Beispiele für hausärztliche Leistungen in den Ambulanzen nennt Bachinger die kinderfachärztliche Versorgung oder die Versorgung von Patienten mit chronischen Krankheiten: “Denken Sie an die Diabetesversorgung, im niedergelassenen Bereich sind wir nicht das beste aller Gesundheitssysteme, wir haben eine grottenschlechte Versorgung im niedergelassenen Bereich, was die chronisch Kranken betrifft.”
Bachinger: „Systemische Kritik“
Auf Nachfrage von medonline steht er inhaltlich zum Wort “grottenschlecht” im Sinne von “schwer defizitär” und erinnert daran, dass es in Österreich europaweit die meisten diabetesbezogenen Amputationen gebe und sogar viermal so viele Amputationen als etwa in England. Auch im Disease Management Programm (DMP) “Therapie Aktiv – Diabetes im Griff” seien erst zirka 30 Prozent der Diabetiker eingetragen – obwohl das DMP schon viele Jahre läuft.
Angesprochen auf die heftigen Reaktionen seitens der Ärzteschaft und der Entschuldigungsforderung von der Ärztekammer NÖ: “Ich bin ratlos.” Er habe ja nicht die Hausärzte an sich kritisiert, die oft “unter widrigsten Umständen” ihre Patienten ausgezeichnet versorgen würden, sondern “das war ja eigentlich eine systemische Kritik”. Den Vorschlag der ÖGK hält er im Ö1-Journal für eine “kleine Revolution”, weil die Kassen erstmals auch die Ressourcen “nachschicken” bzw. finanzieren wollen, also erstmals nach dem Prinzip “Geld folgt Leistung” die zwei Sektoren extramural/intramural überwinden.
Keinesfalls soll der niedergelassene Bereich durch Spitalsambulanzen ersetzt werden, es gehe um ein “Sowohl-als-Auch”. Er könne sich auch “dislozierte Ambulanzen” vorstellen, z.B. im Waldviertel, wo aus den Kliniken Ressourcen in den niedergelassenen Bereich hinaus diffundieren.
Bei der Ärztekammer für Niederösterreich meldeten sich indes zahlreiche verärgerte Ärzte, wie es in einer erneuten Aussendung (am Dienstag, 10.03.2020) hieß. Aus Protest würden sie sämtliche freiwilligen Tätigkeiten wie Wochenendbereitschaftsdienste oder Visiten bei Patienten, die am Coronavirus erkrankt sind, künftig aussetzen. Reisner habe Verständnis für den Ärger, appelliert jedoch, sich ihre Arbeit vom Patientenanwalt nicht schlechtreden zu lassen: „Gerade jetzt brauchen uns die Patientinnen und Patienten, die hier völlig unschuldig zum Handkuss kommen.“
Dank und Appell auch von der Bundeskurie
Auch die Bundeskurie der Niedergelassenen könne verstehen, heißt es gegenüber medonline, dass die Aussagen „demotivierend“ seien. Die Positionen der Bundeskurie dazu seien bekannt, richtet sie so wie Reisner einen Appell an die Ärzte: „Wir bedanken uns bei allen für ihren Einsatz in diesen herausfordernden Zeiten und appellieren sich weiter mit Stolz auf die eigene Leistung für das Wohl der Patientinnen und Patienten einzusetzen.“
Bachinger möchte nunmehr ebenfalls vor allem, „dass diese aufgeladene emotionale Situation entspannt wird und nicht die Patienten darunter leiden. Daher meine Position: Ich nehme diese Aussage bei allen Ärzten, die sich dadurch persönlich beleidigt fühlen, mit dem Ausdruck des Bedauerns zurück.“