26. Feb. 2020Abschiebestopp

Tiroler setzen sich für Asylwerber in der Pflege ein

20A_787_2-e1582736295131_1

Innerhalb von zwei Tagen schnellte die Zahl der Unterstützer der Tiroler Online-Petition „Abschiebestopp für Auszubildende in Pflegeberufen“ auf mehr als 2000 empor. Prominenter Unterstützer ist der Bürgermeister von Innsbruck, Georg Willi (Grüne). Doch auch Vertreter der ÖVP, SPÖ, Neos und Liste Fritz werfen sich in die Bresche. SP-Nationalratsabgeordnete Selma Yildirim kündigte zudem einen Entschließungsantrag im Parlament an.

 

Mohammad Haroon Faqiri

Der Grund für das energische Engagement der Tiroler hat ein Gesicht und einen Namen: Mohammad Haroon Faqiri, kurz MHF (siehe Porträtfoto). Der 23-Jährige stammt aus der afghanischen Stadt Ghazni. Er hatte eine universitäre Ausbildung als Krankenpfleger in Afghanistan begonnen. Doch vor fast fünf Jahren flüchtete er vor einer Zwangsrekrutierung der Taliban. „Also vor der Alternative zu töten oder getötet zu werden“, bringt es Iris Teyml vom Unterstützungskomitee „MHF soll bleiben“ in einem Video für die nun initiierte Online-Petition (siehe unten) auf den Punkt. Seit viereinhalb Jahren sei er in Österreich und tue alles, um endlich sicheren Boden unter den Füßen zu haben.

Tatsächlich kann sich seine Vita in Österreich, die kürzlich auf einer Pressekonferenz vorgestellt wurde, seit seinem Asylantrag im August 2015 sehen lassen: Innerhalb kurzer Zeit ausgezeichnete Deutschkenntnisse (B2-Prüfung), Abschluss der BFI-Kurse zur Erlangung des Hauptschulabschlusses, gemeinnützige Arbeit am Innsbrucker Ausbildungszentrum West für Gesundheitsberufe der Tirol Kliniken (AWZ) von Februar 2016 bis September 2019, Teammitglied in einem Volleyballverein in Innsbruck seit Anfang 2016, Dolmetscher-Dienste in der Flüchtlingsbetreuung, Erste-Hilfe-Kurse, Werte-Kurs, Mitwirkung an einem Projekt des Vereins „Theater konkret“.

Im Herbst mit Pflegeausbildung fertig

Derzeit absolviert MHF eine Ausbildung zum Pflegeassistenten, der Abschluss ist für Herbst 2020 vorgesehen. Daraus könnte nichts werden, denn da soll er längst wieder in Afghanistan bei den Taliban sein – geht es nach einem Bescheid vom 20. Dezember 2019: Das Bundesverwaltungsgericht in Wien hat den Asylantrag auf allen Ebenen abgelehnt. Ein an den Verfassungsgerichtshof gerichtetes, allerletztes Rechtsmittel brachte mit 24.01.2020 eine aufschiebende Wirkung und verschafft nun etwas Zeit bis zur endgültigen Entscheidung.

Diese Zeit wollen österreichische Freunde und Weggefährten des Afghanen nutzen und gründeten das Unterstützungskomitee „MHF soll bleiben“. Mehr noch: Da die Geschichte von MHF „kein Einzelfall“ sei, fordert das Komitee einen sofortigen Abschiebestopp für alle Asylwerber, die eine Ausbildung in einem Mangelberuf absolvieren. Gerade in der Pflege gebe es einen eklatanten Mangel, erklärt Magdalena Melcher (2. v. re.)vom Unterstützungskomitee auf einer Pressekonferenz am 24.02.2020 und bezeichnet es als „komplett widersinnig, genau jene Menschen außer Landes zu bringen, die beitragen können, diesen Mangel zu verringern“.

Schüler aus Pflegeschule „abgeholt und abgeschoben“

Auch der stv. Schuldirektor Pflege am AZW, Georg Razesberger (li. im Bild), legt für MHF ein gutes Wort ein: „Wir suchen dringend Leute für die Ausbildung, dass so jemand abgeschoben werden soll, das ist der absolute Wahnsinn und unverantwortlich.“ Es sei auch schon einmal ein Schüler des AZW aus der Klasse heraus „abgeholt und abgeschoben“ worden, schüttelt Razesberger den Kopf.

Unterstützung kommt außerdem von Vertretern der ÖVP, Grünen, SPÖ, Neos und der Liste Fritz. „Motivierte junge Menschen aus rein populistischen Gründen abzuschieben, ist unverständlich“, kündigte SP-Nationalratsabgeordnete Mag. Selma Yildirim (2. v. li.)an, noch diese Woche im Nationalrat einen Entschließungsantrag einbringen zu wollen. Dessen Ziel: Asylwerber in Ausbildung jenen in Lehre gleichzustellen. Grünen-Landtagsabgeordneter Georg Kaltschmid (3. v. re.) und Dominik Oberhofer (Neos, re. im Bild) fordern von der türkis-grünen Bundesregierung dringend eine praxisnahe Reform der „Rot-Weiß-Rot-Karte“.

Eine solche Karte hätten im Vorjahr in Tirol nur 68 Fachkräfte erhalten – trotz massiven Fachkräftemangels u.a. im Tourismus und in der Pflege. „Es muss Druck der Bevölkerung auf die Politik aufgebaut werden, ÖVP und Grüne im Bund müssen endlich liefern“, meinte Oberhofer im Sinne der Petition und verwies auf einen Lehrling in einem Tiroler Tourismusbetrieb, der vier Tage vor der Lehrabschlussprüfung abgeschoben worden sei.

Personalmangel: 200 Pflegeheimplätze nicht belegbar

Derzeit stünden 200 Pflegeheimplätze leer, weil das Personal fehle, wirft Liste-Fritz-Landtagsabgeordnete Dr. Andrea Haselwanter-Schneider (3. v. li.) in die Waagschale. Die ehemalige Lehrende in der Pflegeausbildung am AZW unterstützt eine Asylwerberin in Pflegeausbildung im Tiroler Unterland, die ebenso wie MHF akut von Abschiebung bedroht ist. „Die Lösung wäre einfach“, schlägt sie vor, die Liste der Lehrberufe um jene in Ausbildung in Mangelberufen zu erweitern. VP-Bildungslandesrätin Dr. Beate Palfrader fehlte aus terminlichen Gründen bei der Pressekonferenz, ließ aber per Mail ausrichten: „Meine Position zur Abschiebung von integrationswilligen und zudem dringend benötigten Lehrlingen oder in Ausbildung befindlichen Arbeitskräften ist hinlänglich bekannt.“

Bürgermeister, Stadträtin, Landesrätin setzen sich ein

Mitte Februar verfassten auch der Innsbrucker Bürgermeister Georg Willi (Grüne) und die amtsführende Stadträtin Mag. Elisabeth Mayr (SPÖ) ein Unterstützungsschreiben für MHF. Der junge Mann werde vor allem für seine „Verlässlichkeit, seinen Fleiß, sein Sprachgefühl und seine sozialen Kompetenzen sehr geschätzt“, heißt es in dem Schreiben an den Bundespräsidenten, die Bundesregierung und das Parlament. Mohammad Haroon Faqiri sei „bestens integriert“ und habe sich „zu einem unentbehrlichen, wertvollen Bestandteil der österreichischen Gesellschaft entwickelt“. Die Adressaten werden ersucht, ihm eine Chance zu geben, „seine enge Verbundenheit mit Österreich zu leben“.

Schon Ende Jänner hatte Grünen-Landesrätin DI Gabriele Fischer eine Unterstützungserklärung für MHF an das Komitee verfasst, in der dieser als „Paradebeispiel der Integration“ beschrieben wird und die engagierten Tiroler als „offenherzig und hilfsbereit“.

Online-Petition „Abschiebestopp für Auszubildende in Pflegeberufen

Die Petition „Abschiebestopp für Auszubildende in Pflegeberufen – Wir fordern eine Koalition der Vernunft & Menschlichkeit im Nationalrat“ ist seit 24.02.2020 online und weist vier Forderungen auf:

1. Maßnahmen, die einen sofortigen Abschiebestopp für alle AsylwerberInnen sicherstellen, die eine Ausbildung in einem Mangelberuf absolvieren.
2. Gesetzliche Gleichstellung von schulischen Ausbildungen in Mangelberufen (wie jenen in der Pflege) mit jenen in Lehrberufen und der damit verbundenen Garantie auch bei einem negativen Asylbescheid diese Ausbildung abschließen zu können.
3. Erneute Schaffung der Möglichkeit für AsylwerberInnen, in Mangelberufen eine Lehrausbildung zu beginnen.
4. Eine gesetzliche Regelung, welche dieser Personengruppe die Möglichkeit eröffnet, nach Abschluss ihrer Ausbildung in Österreich zu arbeiten und dauerhaft ihren Beitrag für die österreichische Gesellschaft leisten zu können.

https://mein.aufstehn.at/petitions/keine-abschiebung-von-pflegekraeften