„Gesundheit und Wettbewerb vertragen sich nicht“
Die Bundeswettbewerbsbehörde will Ärzten das Dispensierrecht erteilen. Die Ärzte sind dafür, die Apothekerschaft steht geschlossen dagegen auf. (Pharmaceutical Tribune 18-19/19)
Selten ist der Apothekerschaft etwas so sauer aufgestoßen wie die letzten beiden Branchenuntersuchungen der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) zum Thema Gesundheit. Während sich der erste Teil der Untersuchung dem „Markt für öffentliche Apotheken“ widmete, ist nun das Thema „Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum“ an der Reihe. Was so harmlos klingt, lässt sich kurz und prägnant wie folgt zusammenfassen: Eine ärztliche Hausapotheke soll finanzielle Anreize schaffen, um mehr Ärzte dazu zu bewegen, sich als Landarzt niederzulassen. Kein Wunder, dass die Spitzen von Apothekerkammer, Apothekerverband und VAAÖ dagegen Sturm laufen. „Die Versorgung der Bevölkerung sehen wir gefährdet, wenn die Bundeswettbewerbsbehörde mit Vorschlägen daherkommt, die geeignet sind, die beiden akademischen Berufe Apotheker und Ärzte aufeinander zu hetzen“, zog Apothekerverbandspräsident Mag. Jürgen Rehak anlässlich einer Pressekonferenz Bilanz. „Gesundheit und Wettbewerb vertragen sich aus unserer Sicht nicht“, so Rehak.
Apotheken vor dem Aus
Würde man die Forderungen der BWB eins zu eins umsetzen, hätte das binnen weniger Monate die Schließung von 143 öffentlichen Apotheken in Österreich zur Folge, rechnete Dr. Gerhard Kobinger, Präsidiumsmitglied der Österreichischen Apothekerkammer (ÖAK), vor. Diese Zahl ergibt sich, wenn in den sogenannten Ein-Arzt-Gemeinden, in denen es bisher einen Arzt ohne ärztliche Hausapotheke sowie eine öffentliche Apotheke gibt. Diesen Apotheken würde am Schlag der gesamte Kassenumsatz, also rund 80 Prozent des Umsatzes, fehlen. Weitere 450 öffentliche Apotheken wären gefährdet. Kobinger rechnete weiter vor, dass es in der gesamten EU rund 1.700 Ärzte mit Hausapotheke gibt, davon 870 in Österreich. Kobinger: „Wir sind also mit Hausapotheken recht gut versorgt.“
Selbst Ärzte machen Fehler
„In der Apotheke habe ich pro Tag zwischen 100 und 120 Patienten“, erklärte Mag. Raimund Podroschko, Präsident des VAAÖ und Vizepräsident der ÖAK, „und es kommt täglich zwei- bis dreimal vor, dass ich intervenieren muss.“ So passiert es immer wieder, dass Ärzte bei einem Antibiotikasaft für Kinder die Dosierungsempfehlung 1-1-1 angeben oder dass der Arzt angerufen werden muss, weil es bei zwei Medikamenten zu Wechselwirkungen kommen kann. „Selbst Ärzte machen Fehler“, so Podroschko, „und dafür gibt es uns Apotheker, dass wir das überprüfen.“
Ärztekammer unterstützt BWB
Die Ärzte hingegen sind mit den Vorschlägen der obersten Wettbewerbshüter hochzufrieden. „Das Lamentieren der Apothekerkammer über die berechtigte Forderung nach mehr ärztlichen Hausapotheken macht eines überdeutlich: Hier geht es einer Standesvertretung offensichtlich nicht um die bestmögliche Patientenversorgung, sondern primär um finanzielle Eigeninteressen“, kommentierte MR Dr. Johannes Steinhart, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK) und Obmann der Bundeskurie niedergelassene Ärzte, in einer ersten Stellungnahme die Pressekonferenz der Apothekerkammer. „Die Politik sollte die BWB-Empfehlung zügig umsetzen. Wir brauchen ein neues, rundum überarbeitetes Apothekengesetz, das den neuen Strukturen gerecht wird. In ländlichen Gebieten bedeutet das ein duales System, ein Neben- und Miteinander von ärztlichen Hausapotheken und öffentlichen Apotheken“, forderte MR Dr. Silvester Hutgrabner, Hausapotheken-Referent der ÖÄK.
Apothekengesetz vor Novelle
Die Apotheker hoffen indes auf eine Novellierung des Apothekengesetzes (Pharmaceutical Tribune berichtete). Schon seit mittlerweile zwei Jahren fordern sie eine Ausweitung der Öffnungszeiten, flexiblere Möglichkeiten der Zustellung von Arzneimitteln sowie Erleichterungen bei der Eröffnung von Filialapotheken.
Forderungen der Bundeswettbewerbsbehörde
Im zweiten Teil der Branchenuntersuchung Gesundheit zum Thema „Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum“ fordert die Bundeswettbewerbsbehörde unter anderem:
- Ersatzlose Streichung der Mindestentfernungen in § 29 ApothekenG hinsichtlich der Bewilligung zur Haltung einer ärztlichen Hausapotheke in Gemeinden ohne öffentliche Apotheken.
- Streichung der Sonderregelung bezüglich der Mindestentfernung für ärztliche Hausapotheken zu öffentlichen Apotheken gemäß § 28 Abs. 3 ApothekenG in Gemeinden mit nur einer kassenärztlichen Vertragsstelle und einer vorliegenden Konzession für eine öffentliche Apotheke. Stattdessen rechtliche Gleichstellung von öffentlichen Apotheken und ärztlichen Hausapotheken durch den Verweis auf § 10 ApothekenG.
- Berücksichtigung der strukturellen Besonderheiten des ländlichen Raums bei der Bedarfsprüfung iSd § 10 ApothekenG.