9. Sep. 2019

Wer hat das Rezept für den 29. September?

FOTO: RALF GEITHE/GETTYIMAGES
FOTO: RALF GEITHE/GETTYIMAGES

Medical Tribune stellte den sechs größten bei der Nationalratswahl antretenden Parteien gesundheitspolitische Fragen. (Medical Tribune 36–37/19) 

13 Parteien rittern am 29. September um die Gunst von rund 6,4 Millionen Wahlberechtigten. Als Entscheidungshilfe haben uns folgende Vertreter der größten Parteien Rede und Antwort in fünf Fragen aus dem Gesundheitsbereich gestanden:

  • Gabriela Schwarz
    Gesundheitssprecherin der ÖVP
  • Dr. Brigitte Povysil
    Gesundheitssprecherin der FPÖ
  • Philip Kucher
    Gesundheitssprecher der SPÖ
  • Mag. Gerald Loacker
    Gesundheitssprecher der NEOS
  • Nadja Hemly
    Nationalratskandidatin von JETZT – Liste Pilz
  • Mag. Werner Kogler
    Bundessprecher der Grünen

1. Warum sollen Ärzte am 29. September Ihnen/Ihrer Partei ihre Stimme geben?

ÖVP

Ärzte laden wir ein, uns am 29. September zu unterstützen, weil unser gemeinsames Interesse darin besteht, das hochleistungsfähige österreichische solidarische Gesundheitssystem für alle Patienten zu erhalten und zu verbessern. Das ist nur möglich, wenn die Politik und die Leistungsträger im Gesundheitssystem vertrauensvoll zusammenarbeiten. Gerade die Ärzteschaft leistet hervorragende Arbeit unter oft schwierigen Bedingungen. Lösungen und Verbesserungen können und müssen auf der Basis der Expertise und im Konsens mit den beteiligten Berufsgruppen erarbeitet werden. Wir haben diese unsere Grundhaltung in der Vergangenheit unter Beweis gestellt und werden diesen Weg fortsetzen. Für die bestehende gute und partnerschaftliche Beziehung und Gesprächsbasis sind wir dankbar.

FPÖ

Durch die Reform der Sozialversicherungen, Stichwort Österreichische Gesundheitskasse, die die FPÖ in der vergangenen Bundesregierung federführend umgesetzt hat, wurden jene organisatorischen und finanziellen Rahmenbedingungen geschaffen, die einen neuen Gesamtvertrag für Ärzte möglich machen. Damit soll sowohl der Leistungskatalog für den Patienten als auch die Honorarordnung für Ärzte auf einen modernen, dem neuesten Stand der Medizin entsprechenden Standard gehoben werden .
Gleichzeitig wurde das Projekt “Ärzte dürfen Ärzte anstellen” gesetzlich umgesetzt. Damit ergibt sich eine neue Option der ärztlichen Tätigkeit im niedergelassenen Bereich, die diesen weiter aufwerten wird.
Mit der Schaffung von Lehrpraxen wird es jungen Ärzten ermöglicht das Berufsbild und Berufsumfeld ihrer älteren Kollegen kennenzulernen.
Diese 3 Beispiele stehen für das Erkennen und die volle Unterstützung der notwendigen zukunftsorientierten Veränderungen in der Medizin, die wir in den nächsten Jahren weiterentwickeln müssen.
Als Ärztin, mit 40 jähriger Berufserfahrung, ist mir die Wertschätzung und Stellung der Ärztinnen und Ärzte und unseres Berufes eine absolute Priorität. Es ist mir wichtig gut ausgebildete Kollegen in einem attraktiven Arbeits- und Lebensumfeld in Österreich zu halten und ihnen all die Möglichkeiten des ärztlichen Berufs von der Primversorgung bis hin zur wissenschaftlichen Tätigkeit zu ermöglichen.

SPÖ

Ärzte haben eine besonders wichtige Rolle in der medizinischen Versorgung der Bevölkerung. Die SPÖ setzt sich dafür ein, die qualitätsvolle Versorgung aufrechtzuerhalten und die Stabilität nicht durch radikale Änderungen zu gefährden. Unsere Bewegung hat immer ein offenes Ohr für die Anliegen der Ärzte bewiesen und steht auch immer in Kontakt mit Kammern und Verbänden, um aktuelle Problemstellungen zum Wohle aller gemeinsam zu lösen.

NEOS

Wer Innovation und Weiterentwicklung des Gesundheitssystems ohne Klientelpolitik will, ist bei uns definitiv am besten aufgehoben.

JETZT  Liste Pilz

Weil am Ende des Tages jede Entscheidung im medizinischen Bereich zum Wohle der Bürger getroffen werden muss und nicht im Sinne von Parteikalkül.

Die Grünen

Die Grünen haben als einzige Partei Österreichs ein Konzept, das die Lösung der Probleme dieser Generation (Klimawandel, Digitalisierung) mit Erhalt der sozialen Sicherheit und des Ausbaus des solidarischen Gesundheitssystems verbindet.

2. Welche drei Punkte möchten Sie in der nächsten Legislaturperiode verändern?

ÖVP

Veränderungen werden durch die Sozialversicherungsreform jetzt besser möglich. Wir unterstützen die neue ÖGK in ihrem Anspruch, ein fairer Partner der Ärzteschaft zu sein. Das bedeutet faire Bezahlung, den Bedürfnissen aller Beteiligten angepasste Verträge und Sicherung der freiberuflichen, wohnortnahen und flächendeckenden medizinischen Versorgung durch niedergelassene Kassenärzte. Dazu gehören die Attraktivierung und mehr Ausbildungsplätze für Allgemeinmedizin, frühere Lehrpraxis bei niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten sowie mehr Zeit für Patientinnen und Patienten statt für Bürokratie.

FPÖ
  • Die ärztliche Versorgung sicherstellen und die Anzahl der Jungmediziner, die sich als Allgemeinmediziner oder Fachärzte niederlassen, deutlich zu erhöhen.
  • Den stationären Spitalsbereich und vor allem die Spitalsambulanzen zu Gunsten des niedergelassenen Bereichs mit vielen verschiedenen Niederlassungs- und Kooperationsmöglichkeiten entlasten.
  • Den Facharzt für Allgemeinmedizin einführen.
SPÖ
  • Die ärztliche Sachleistungsversorgung wohnortnah sicherstellen.
  • Die Arzneimittelversorgung auf sichere Beine stellen.
  • Wirklich gleich gute Leistungen für alle Versicherten erreichen.
NEOS

In erster Linie wollen wir eine stärkere niedergelassene Versorgung, wobei wir die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen niedergelassenen Gesundheitsberufen stärken (Primärversorgung) und das Wissen der einzelnen Gesundheitsberufe besser nutzen wollen. Außerdem wollen wir die Wahlfreiheiten der Versicherten ausbauen (freie Kassenwahl bei Mehrfachversicherung, freiwillige Einschreibmodelle, freiwillige Selbstbehalt-Modelle mit Gesundheitszielen nach SVA-Vorbild für alle Kassen). Der Ausbau von strukturierter Versorgung bei chronischen Kranken ist ein weiteres großes Ziel. Derzeit sind beispielsweise nur 10 % der Diabetiker in einem DMP, in England sind es 90 %.

JETZT  Liste Pilz
  • Ein Mehr an Studienplätzen und eine Verbesserung der Ausbildungsqualität, aber auch der Rahmenbedingungen für Jungärzte (Möglichkeit von Gruppenpraxen und neuen Job-Sharing-Modellen). Stopp der Abwanderung von Kassenärzten ins Wahlarztsystem durch bessere Kassenverträge.
  • Einführung der Impfpflicht für hochansteckende Infektionskrankheiten wie Masern.
  • Freigabe von Cannabis in der Medizin.
Die Grünen
  • Eine ökosoziale Steuerreform und wirksame Schritte gegen die Folgen der Klimaerwärmung
  • Stärkung des sozialen Ausgleichs insb. im Hinblick auf den Klimawandel und die Digitalisierung
  • Stärkung des demokratischen Rechtsstaats und Ausbau der Kontrollrechte zur Verhinderung von Korruption

3. Was sind für Sie die wichtigsten Baustellen im Gesundheitssystem in Bezug auf Ärzte?

ÖVP

Gut ausgebildeten Nachwuchs im ärztlichen Bereich (und übrigens auch im Pflegebereich) sicherstellen; Spitäler, insbesondere Ambulanzen entlasten; flächendeckende wohnortnahe ärztliche Versorgung ebenso sichern wie nötigenfalls den Zugang zu Spitzenmedizin und zu medizinischem Fortschritt unabhängig von Einkommen, Alter und Gesundheitszustand; die Arbeitsbedingungen für Ärzte sukzessive verbessern; die neue von uns geschaffene Möglichkeit der Anstellung von Ärzten bei Ärzten auch bei der Verrechnung mit der Krankenversicherung zur Verbesserung der Patientenversorgung nützen, aber gleichzeitig die freiberufliche Vertretungsmöglichkeit sicherstellen; den Wahlärzten insbesondere bei Versorgungslücken mehr Möglichkeiten einräumen, auch zur Versorgung von Kassenpatienten beizutragen.

FPÖ
  • Eine bisher ungerechte weil nicht leistungsadäquate Honorierung der Ärzte.
  • Zu wenig Ärzte, die in den niedergelassenen Bereich gehen.
  • Ein ärztliches Verteilungsproblem zwischen Spitals- und niedergelassenem Bereich, zwischen Zentralraum und den Regionen. Ein dauerhaftes Abwandern von Ärzten in andere Länder.
SPÖ

Eine der großen Herausforderungen der Zukunft ist die Verfügbarkeit von Arzneimitteln und die steigenden Arzneimittelkosten. Hier bedarf es der Anstrengung aller Stakeholder, auch im Sinne der Erhaltung unserer hohen Arzneimittelsicherheit. Der steigende Ärztemangel in der Sachleistungsversorgung wird uns sicher in den kommenden Jahren beschäftigen. Es müssen alle Anstrengungen unternommen werden, um eine hochwertige, wohnortnahe und patientenfreundliche medizinische Versorgung sicherzustellen.

NEOS

Das Versorgungspotenzial des niedergelassenen Bereichs wird immer noch zu wenig genutzt und stattdessen kleingehalten. Aber auch was die Zusammenarbeit in Netzwerken betrifft, gibt es bei der Infrastruktur (IT, Digitalisierung) noch viele Möglichkeiten. Riesiges Potenzial gibt es (wie bereits erwähnt) bei der strukturierten Versorgung von chronisch Kranken, wobei sich hier sämtliche Gesundheitsberufe durch spezielle Beratungsangebote einbringen können.

JETZT  Liste Pilz

Nachwuchsfrage hinsichtlich Kassenärzten: Es bedarf einer Attraktivierung von Kassenstellen, vor allem im ländlichen Bereich (Bezahlung, Bürokratieabbau).

Die Grünen
  • Die Stärkung der Primärversorgung
  • Das Schließen von bestehenden Versorgungslücken
  • Verbesserung der Kommunikation und Kooperation zwischen den Gesundheitsberufen sowie zwischen diesen und Patienten

4. Wie stehen Sie zu Aut idem?

ÖVP

„Aut-idem-Verschreibungen“: Eine Scheinlösung, die nichts verbessert, keine finanziellen Vorteile bringt, die Therapietreue von Patientinnen und Patienten gefährdet und sogar zu ungewollter und gefährlicher Mehrfachmedikation mit dem gleichen Wirkstoff führen kann – etwa durch unterschiedliche Darreichungsformen, Wirkstoffgehalte und Zusatzstoffe. Die Medikationsentscheidung ist eine Entscheidung aufgrund einer ärztlichen Diagnose unter Berücksichtigung vieler Umstände des Einzelfalls. So soll es bleiben. Darüber hinaus muss die Versorgungssicherheit mit Medikamenten durch Zusammenarbeit aller Partner, von Pharma-Industrie bis Großhandel und Apotheken, mit Ärzten, Spitälern und Politik auch für die Zukunft abgesichert werden.

FPÖ

Es muss in der Kompetenz des Arztes bleiben dem Patienten, das für ihn bestgeeignete Medikament zu verschreiben.

SPÖ

Die Wirkstoffkunde ist die zentrale Kompetenz der Pharmazeuten. Erfahrungen in anderen Ländern zeigen, dass Aut-idem-Verschreibungen durchaus sinnvoll und ökonomisch wirksam sind. In Österreich ist das bisher nicht angedacht. Allerdings muss man sich angesichts der derzeit immer wieder auftretenden Lieferengpässe überlegen, ob in solchen Fällen die Kompetenz der ApotherkerInnen gestärkt werden sollte, um die Abgabe von wirkstoffgleichen Arzneimitteln zu ermöglichen. Ähnliches könnte im Rahmen von ELGA und E-Medikation auch bei Unverträglichkeiten diskutiert werden.

NEOS

Ein interessantes Thema, das mit allen Beteiligten disktuiert werden sollte, da es hierfür einen breiten Konsens braucht. Wir sehen das Potenzial und das Wissen der nicht-ärztlichen Gesundheitsberufe wie Apotheker derzeit noch zu wenig genutzt. Auf jeden Fall wären diesbezüglich haftungsrechtliche Fragen zu klären.

JETZT  Liste Pilz

Aut idem ist jetzt schon verbreitete Praxis und wird von den meisten Patienten geschätzt. Zudem ist es so möglich, ein Generikum, also ein wirkstoffgleiches, aber preisgünstigeres Präparat an den Patienten abzugeben, was für diesen somit eine Vielzahl an Verbesserung bedeutet und daher auch von uns unterstützt wird.

Die Grünen

Derzeit keine dringende Notwendigkeit, aber eine Möglichkeit.

5 .Wie sehen Sie die Rolle der ärztlichen Hausapotheken?

ÖVP

Wir wollen die bestehenden Hausapotheken so weit wie möglich erhalten. Für „1-Arzt-Gemeinden“ haben wir die Übernahme der ärztlichen Hausapotheken auch bei Ordinationsnachfolge in Kassenpraxen gesetzlich festgelegt. Ergänzend wollen wir ein ärztliches Dispensierrecht, etwa bei Hausbesuchen und eine gesetzliche Grundlage für Kooperationsverträge von niedergelassenen Ärzten mit nahegelegenen Apotheken für die direkte Abgabe von Medikamenten.

FPÖ

Sollte dort eingerichtet werden, wo es keine ausreichende Versorgung durch eine Apotheke gibt. Die Hausapotheke sollte aber nicht nur dazu dienen, schlechte Honorarordnung auszugleichen, um etwa einen Allgemeinmedizinerstandort zu erhalten.

SPÖ

Hausapotheken stellen eine subsidiäre Versorgungsform mit Arzneimitteln dar, die vor allem im ländlichen Bereich als Ergänzung sehr wichtig sind. Dennoch ist für uns der Zugang zur Versorgung durch öffentliche Apotheken mit größerem Angebot, zusätzlicher Beratung und Expertise österreichweit sicherzustellen.

NEOS

Grundsätzlich ist ein „One-Stop-Shop“ zu begrüßen. Zurzeit dienen Hausapotheken aber zu oft als Einkommensersatz für unterbepreiste Honorarkataloge. Hier wünschen wir uns, dass die Einkommen der niedergelassenen Ärzte künftig wieder zu einem größeren Teil über die Honorarkataloge kommen, um Fehlanreize zu vermeiden.

JETZT  Liste Pilz

Diese haben da ihre Berechtigung, wo keine öffentlichen Apotheken in zumutbarer Entfernung sind. Die medizinische Versorgung der Bevölkerung im ländlichen und im urbanen Raum muss sichergestellt und die Erreichung (Konzept der Filialapotheke wäre hier breit wünschenswert) auch für weniger mobile, oft ältere und kranke Menschen gut gegeben sein.

Die Grünen

Grundsätzlich soll ärztliche Tätigkeit alleine zu einem ausreichenden Einkommen führen, Hausapotheken eine Ausnahme sein. In Regionen mit strukturellen Nachteilen meinen wir, dass Nachteile durch zusätzliche Mittel von Bund und Ländern auszugleichen sind und nicht primär durch zusätzliche nichtärztliche Funktionen der Ärzte. Es ist uns aber klar, dass es auch Situationen gibt, in denen hausärztliche Apotheken unerlässlich sind, um die Versorgung aufrechtzuerhalten.

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune