„Unser Gesundheitswesen braucht Vergleichsdaten“
Warum wir in Österreich von einem Value Based Health Care Management profitieren könnten.
Um für eine nachhaltige Veränderung in der Struktur des Gesundheitswesens zu sorgen, stellen wir uns seit geraumer Zeit bereits die Frage: Warum ist es für Gesundheitseinrichtungen trotz bester Absichten so schwer, die Ergebnisse (Outcomes) und die Effizienz zu verbessern? Es ist wirklich ein ungelöstes Rätsel, wo wir doch viele kluge Köpfe haben, die so hart arbeiten. Wo wir doch die neuen Bedürfnisse der Patienten zu kennen glauben. Wo wir doch den Herausforderungen der Gesundheitskosten mit größter gesellschaftlicher Verantwortung begegnen. U.A. mit diesen Fragen habe ich mich bereits ausführlich in meinem Blog im Online Standard beschäftigt1-3.
Ich denke, dass mögliche Antworten in einem Ansatz liegen, der die Patienten in den Vordergrund bringt – und die altbewährten fragmentierten Strukturen aufbricht: das Value Based Health Care Management. Im Folgenden möchte ich auf die Themen Kosten, Daten und IT-Systeme eingehen, weil diese in Zeiten der Veränderung ausschlaggebend sind.
Daten- und Kostenfrage
Wenn es keine Daten darüber gibt, wie es den Patienten tatsächlich geht, ob neue Interventionen oder Praktiken die Ergebnisse verbessern oder die Kosten senken, haben Initiativen zur Leistungssteigerung keinen fruchtbaren Boden. Es fehlen uns Daten über die tatsächlichen Kosten pro Patient mit einem bestimmten Zustand – über den gesamten Versorgungszyklus hinweg. Wir haben nur wenige Vergleichsmöglichkeiten, und dadurch werden unsere Bemühungen zur Wertsteigerung für den Patienten (Verbesserung der Outcomes) deutlich gebremst.
Die meisten Kliniker haben zudem keine Möglichkeit zu wissen, was die Dinge tatsächlich kosten oder wie viel Zeit Genesungsprozesse vom Anfangs- bis zum Endzeitpunkt einer Erkrankung in Anspruch nehmen. Die Ressourcen fließen leider tendenziell in Dienstleistungen, die am profitabelsten erscheinen, also persönlichen Teil-Einschätzungen zugrunde liegen, oder in Bereiche, deren Befürworter politisch am stärksten agieren. Hier benötigen wir eine übergeordnete Denkweise, die wegführt von einem fragmentierten Denken (z.B. aus der Sicht einzelner Fachbereiche) und stattdessen hin zu einem patientenzentrierten, integrativen Ansatz, unter Einbezug der Interdisziplinarität.
IT-Systeme
Die meisten klinischen Informationssysteme wurden auf der Grundlage von Fachgebieten, Verfahren oder Pflegeeinrichtungen entwickelt und konzentrieren sich auf die Planbarkeit und Abrechnung. Nur wenige Systeme wurden entwickelt, um den Überblick für den einzelnen Patienten über einen vollständigen Versorgungszyklus hinweg zu behalten, und allen behandelnden Pflegekräften eine umfassende Patienteninformation zu bieten.
Zu wenige Kliniker, die an der Betreuung eines Patienten beteiligt sind, verfügen über vollständige Informationen. Hochrelevante Daten werden in elektronischen Akten überhaupt nicht erfasst, und viele Ergebnisinformationen werden in Freitext- oder Notizen-Feldern vergraben. Das macht es schwierig, die Informationen zu extrahieren, danach zu suchen oder sie auszuwerten.
Die Informationssysteme der Krankenkassen sind darauf ausgelegt, Rechnungen für einzelne Dienstleistungen zu erstellen, nicht aber den Gesamtpflegeprozess und den Wert für die Patienten zu erfassen und zu messen. Fragmentierte IT-Lösungen arbeiten gegen multidisziplinäre Modelle, anstatt sie zu vereinfachen. Missverständnisse über die Rentabilität aufgrund ungenauer Kalkulationen führen zu übermäßig breiten Kostenspannen – ein Problem, das durch die Tatsache verschärft wird, dass Ärzte versuchen, alle Bedürfnisse in ihrem eigenen Fachgebiet zu lösen.
Gesundheitsinformatik als Motor für Erneuerung
Mit der zunehmenden Digitalisierung im Gesundheitswesen wird sich die Situation in wenigen Jahren verbessern. Ich bin überzeugt, dass wir eine einmalige Gelegenheit haben, das VBHC zu standardisieren und sinnvoll einzusetzen. Der Grund für meinen Optimismus: die kontinuierliche Integration von anspruchsvoller Informatik im Gesundheitswesen: Sie verbindet klinische Prozesse und Workflows durchgängig, ermöglicht es Ärzten, Informationen aus verschiedenen Quellen zu interpretieren und Entscheidungen in Echtzeit zu treffen.
Die drei positiven Effekte eines wertorientierten Ansatzes sind:
- Die Gesundheitsinformatik unterstützt das medizinische Personal bei der Entscheidungsfindung, Teamarbeit und Kommunikation und hebt die klinische Exzellenz auf neue Höhen.
- Die Gesundheitsinformatik hilft betriebliche Prozesse zu vernetzen – Systemadministratoren können fast jeden betrieblichen Aspekt des Gesundheitssystems optimieren.
- Bei wertorientierten Zahlungen kann die Gesundheitsinformatik die systematische Messung der vom Patienten berichteten Ergebnisse unterstützen. Dies ist entscheidend, um die leistungsabhängigen Zahlungen voranzutreiben und die dringend benötigten Gewinne in Bezug auf Qualität, Sicherheit und Patientenorientierung zu erzielen.
Die Verbreitung der VBHC verlangt Offenheit, Vertrauen und eine starke Zusammenarbeit zwischen allen Interessensgruppen im Gesundheitswesen. Technologie- und IT-Implementierungen, rechtliche und regulatorische Rahmenbedingungen, klinische Fähigkeiten, Ausbildung und Zahlungsreform müssen jeweils in einem umfassenden und fortschrittlichen Ansatz zur Gesundheitsreform verwaltet werden. Es ist ein anspruchsvoller und langer Weg, aber es ist wichtig, dass wir die Gelegenheit nutzen.
Die Übergangsphase wird einige Zeit in Anspruch nehmen, und sie wird schwierig sein. Der Übergang von einer Vergütungsform der Einzeldienstleistung zur neuen wertzentrierten Vergütungsform ist die beste Methode, um die Gesundheitskosten zu senken und gleichzeitig für eine Steigerung der Versorgungsqualität für ein gesünderes Leben der Menschen zu sorgen.
Dieser Kommentar ist der zweite von zwei Teilen zum Thema „Veränderungen in der Struktur sind unvermeidlich“ (Siehe Teil 1: „Unser Gesundheitswesen braucht einen Neustart“)
Literaturverzeichnis
- Shariat, Shahrokh. 2015: Qualitätsmessung im Gesundheitswesen hilft Patienten – und senkt Kosten. Blog „Gedanken zur Medizin“, derStandard, 04.05.2015 https://www.derstandard.at/story/2000015131160/qualitaetsmessung-im-gesundheitswesen-hilft-patienten-und-senkt-kosten
- Shariat, Shahrokh. 2016: Wert und Nutzen statt blindes Leistungsdenken. Blog „Gedanken zur Medizin“, derStandard, 11.03.2016
https://www.derstandard.at/story/2000032465689/wert-und-nutzen-statt-blindes-leistungsdenken - Shariat, Shahrokh. 2016: Warum sich das Gesundheitswesen auf Behandlungsergebnisse ausrichten muss. Blog „Gedanken zur Medizin“, derStandard, 22.07.2016 https://www.derstandard.at/story/2000040373621/warum-sich-das-gesundheitswesen-auf-behandlungsergebnisse-ausrichten-muss
Weiterlesen