Zentrale Probleme der Primärversorgung

Der Aufbau von Primärversorgungszentren schreitet nur schleppend voran. Auch in bestehenden Einheiten ist noch nicht alles Gold, was laut Politikern eigentlich glänzen sollte: In Donaustadt läuft es nicht rund, in Enns kommt es zu teils stundenlangen Wartezeiten. (Medical Tribune 49/18)

Wenn die Partner in einem PVZ nicht harmonieren, kann das auch wirtschaftlich existenzbedrohend sein.

Die Ärztekammer hatte es befürchtet, und wie es aussieht, dürfte Präsident Dr. Thomas Szekeres recht behalten: Der von der Politik forcierte Aufbau von Primärversorgungszentren (PVZ) gestaltet sich nicht so einfach wie erhofft und in bereits bestehenden Zentren läuft beileibe nicht alles rund. Bröseln gibt es unter anderem im „PHC Donaustadt“ in Wien. In diesem war, wie es scheint, von Anfang an der Wurm drin. Nach zunächst erfolgloser und dann sehr langwieriger Ausschreibungsphase hatten sich 2016 endlich potenzielle Betreiber gefunden, es folgten jedoch Differenzen mit dem Vermieter. Nachdem das Zentrum dann vor gut einem Jahr starten konnte, verlief das Patientenaufkommen laut Medienberichten enttäuschend.

In der Folge soll es zu heftigen Streitereien unter den Betreiberinnen (drei Ärztinnen sind am PVZ beteiligt, das die Ambulanzen des nahe gelegenen Donauspitals entlasten soll) gekommen sein – inklusive Klagsdrohungen. Die Ärztekammer bestätigt das: „Die Einheit wurde neu ausgeschrieben und quasi auf der grünen Wiese geplant, wodurch ein kontinuierliches Zusammenwachsen der Partner nicht gegeben war“, erklärt Niedergelassenen-Chef und ÖÄK-Vizepräsident Dr. Johannes Steinhart. Besser wäre es, wenn sich ein PVZ aus einer bestehenden Gruppenpraxis heraus entwickelt.

Szekeres zieht dazu einen drastischen Vergleich: „Das ist wie ein Blind Date und in der Folge dann schlimmer als in einer Ehe, weil man sich nicht so einfach trennen kann“, sagt er: „Das ist wirklich existenzgefährdend.“ Anfangs sei die Situation in Donaustadt „sehr schwierig“ gewesen, ergänzt Steinhart, mit niedrigen Frequenzen. Auffällig: Schon seit Längerem ist bei den Ordinationszeiten nur Dr. Regina Ewald als reguläre Ärztin eingetragen, bei den Namen Dr. Ursula Pichler-Neu und Dr. Ida Kubik steht das Wort Vertretung. Warum und wie das PVZ derzeit läuft, lesen Sie demnächst – für diese Ausgabe ging sich für Ewald eine Antwort nicht aus.

„Wütend und unbehandelt“

Genau das umgekehrte Problem hat das im Jänner 2017 eröffnete PVZ Enns in Oberösterreich: Die sechs Hausärzte waren laut Medienberichten im Sommer 2018 derart überlastet, dass nur mehr Ennser ins PVZ durften. Patienten aus anderen Gemeinden wurden abgewiesen. Doch auch diese Reißleine half offenbar nichts. Wie Medical Tribune erfuhr, hat ein Hausarzt das PVZ wieder verlassen (in OÖ ist das ohne Risiko möglich, Anm.), zudem sind die Wartezeiten nach wie vor lang. Eine Patientin schrieb sogar einen Leserbrief an die „OÖ Nachrichten“ (16.11.2018): Sie rief im PVZ wegen starker Schmerzen in der Wirbelsäule an und bekam einen Termin um 16.40 Uhr. Nach 1,5 Stunden Wartezeit verließ sie „wütend und unbehandelt“ die Ordination.

Gar nicht selten hätten ihm Patienten mitgeteilt, dass mit dem Termin „alles super“ gepasst habe, entgegnet Dr. Hubert Leutgöb, jener Arzt, der ausgestiegen ist, auf Anfrage von Medical Tribune, „leider finden solche Aussagen selten den Weg in die Zeitung“. Mit Bestellsystemen sei es eben nicht ganz einfach. „Der Terminpatient ist verärgert, weil durch Akutpatienten sein Termin nicht hält, der Akutpatient ist verärgert, weil immer wieder Terminpatienten ‚vorgereiht‘ werden“, analysiert Leutgöb. Nachsatz: „Jene Suderanten und Quertreiber, die uns aktuell am meisten beflegeln – und mich so zusätzlich motivierten, aus dem Kassenvertrag auszusteigen –, werden sehr bald am lautesten die Tatsache bejubeln, dass es in Enns eine funktionierende Medizin gibt.“ Bereits seit 2011 war der Hausarzt neben Initiator Dr. Wolfgang Hockl mit Dr. Katharina Winkler, Dr. Silke Eichner und Geschäftsführer Wolfgang Gruber intensiv mit der Entstehung des „GHZ“ (Gesundheitszentrum mit PVZ) beschäftigt. Warum er dann im Juni 2018 ausgestiegen sei? „Ich fühlte mich nicht mehr in der Lage, meine Arbeit zufriedenstellend und mit Freude weiterzuführen“, erklärte Leutgöb. Der Entschluss habe absolut nichts damit zu tun, dass er mit der Entwicklung des Zentrums nicht zufrieden gewesen wäre, sondern „dass Begehrlichkeiten der Patienten in den letzten Jahren immer mehr zunahmen – bei gleichzeitiger Abnahme der Eigenverantwortlichkeit und Selbstständigkeit“.

Er werde auch, nach einem „Übergangsjahr“ als HÄND-Arzt (hausärztlicher Notdienst, 141, Anm.) und Arbeitsmediziner, im Juli 2019 wieder „in unserem GHZ“ tätig sein. Allerdings als Wahlarzt, nicht als praktischer Arzt und somit „Mädchen für alles“, sondern als Schmerztherapeut. Das Tür-an-Tür-Arbeiten mit Kollegen bezeichnet Leutgöb als „bereichernd“. Auch das enge Zusammenarbeiten mit anderen Berufsgruppen sei für ihn eine „positive Erfahrung“ gewesen, „es brachte mir Entlastung und den Patienten ein Mehr an Therapieangebot“. Er möchte aber auch nichts schönreden. Natürlich gebe es auch Spannungen. Daher sollte man Aufrichtigkeit, Handschlagqualitäten, klare Definition von Aufgaben und Pflichten (Entscheidendes am besten schriftlich), Toleranz, Respekt und v.a. Zwischenmenschlichkeit nie aus den Augen verlieren. Was ihm aber am meisten am Herzen liegt: „Die immense Arbeit, die für das Zustandekommen dieses Projekts notwendig war, hat sich ausgezahlt und wir sind stolz darauf – allen Unkenrufern zum Trotz hat das GHZ Enns eine gute Zukunft!“

Warten auf Gesamtvertrag

Bundesweit verläuft der Aufbau von PVZ teilweise schleppend. In manchen Regionen und sogar Bundesländern fand sich bis dato niemand dafür. „Ja, es entwickelt sich langsamer als von der Politik gedacht“, bestätigt Szekeres gegenüber Medical Tribune. Die zu Beginn verhaltene Nachfrage hat freilich auch einen simplen Grund, der bald wegfallen sollte: Es gibt noch keinen PV-Gesamtvertrag. „Darauf warten doch noch einige Kollegen, um danach ihre Entscheidung zu treffen“, sagt Steinhart. Ein solcher Vertrag sollte jedoch noch heuer von Ärztekammer und Hauptverband abgesegnet werden.

Die Zwischenbilanz der Primärversorgungseinheiten: 9 von 75

Auch wenn es da und dort offensichtlich noch Probleme gibt, so schreitet die Ausrollung der Primärversorgung insgesamt sehr wohl voran. In Niederösterreich wurde wie berichtet mit 1. Oktober 2018 die erste Primärversorgungseinheit (PVE) des Landes gestartet, nämlich in Böheimkirchen. Mit Anfang Jänner 2019 werden zwei weitere PVE in St. Pölten und Schwechat aufsperren. Dann wird es elf Primärversorgungseinheiten in ganz Österreich geben: Wien: 2, NÖ: 3, Steiermark: 2, OÖ: 4. Bis zum Jahr 2021 sollen es 75 sein. Der Hauptverband der Sozialversicherungsträger hat indes eine eigene PVE-Webseite erstellt: Unter www.sv-primaerversorgung.at finden Ärzte und Patienten alles über das Angebot in Österreich. In der Böheimkirchner PVE stehen den Patienten fünf praktische Ärzte mit sieben Ordinationsassistenzen und mindestens einem Krankenpfleger zur Verfügung.

Das sind insgesamt 110 ärztliche Wochenstunden. Ergänzt wird das Team u.a. durch mindestens vier Physiotherapeuten sowie je einem Psychotherapeuten, Diätologen, Sozialarbeiter und einem PVE-Manager. Die Öffnungszeiten: 7–19 Uhr (mit einer Stunde Mittagspause), es gibt keine (Urlaubs-)Schließtage. Auch in der Steiermark tut sich einiges. So soll ein PVZ in Admont, Bezirk Liezen, im Oktober 2019 seine Pforten öffnen. Das Besondere dabei: Projektträger ist das dortige Benediktinerstift. Die Ausschreibungen für das rund 3,5 Millionen schwere Bauprojekt seien abgeschlossen, eine Million trage die öffentliche Hand bei, hieß es kürzlich. Das PVZ soll zwei bis drei Ordinationen für Allgemeinmediziner und weitere vier Praxen für Wahlärzte bieten. Detaillierte Gespräche mit interessierten Ärzten und Angehörigen anderer Gesundheitsberufe werden bereits geführt.

„Durch die interne Vernetzung im Haus zwischen Hausärzten und beispielsweise einem Kinderarzt, einem Internisten und einem Gynäkologen wird eine breitere Abstimmung möglich sein“, betont Franz Pichler vom Stift Admont, wobei „unsere Türen für alle medizinischen Themen weit offen stehen“. Und das ganz ohne Eigenmittel. Denn das Stift habe sich verpflichtet, die gesamten Errichtungskosten vorzufinanzieren und auch das Risiko bei Mietausfällen zu tragen. Doch selbst bei Vermietung aller Räume werde man die Kosten nicht decken können. Warum das Stift dennoch als PVZ-Betreiber fungiert, erklärt Abt Gerhard Hafner OSB – nicht ohne Bezug auf Evangelium und Ordensregel – wie folgt: Seit 944 Jahren sei das Stift „maßgeblich“ in die Entwicklung der örtlichen Infrastruktur involviert. Die 5000-Seelen-Gemeinde kann sich freuen: Denn in rund fünf Jahren gehen auch die zwei letzten Hausärzte in Pension, Nachfolger waren nicht in Sicht.

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune