19. Okt. 2018

Neues Ärztegesetz: Anstellen, Sterben, Retten

Foto eines halb von einem Vorhang verdeckten Mannes, der, auf einem Bett sitzend, sein Gesicht in den Händen vergräbt.
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Bereits in der ersten Woche der einmonatigen Begutachtungsfrist langten vier Stellungnahmen* ein. Auffällig: Drei davon betreffen die Notärzte. Ein „modernes System“ für ihre Qualifikationen ist auch das dezidierte Hauptziel der geplanten Novelle des Ärztegesetzes (siehe Info), nebst der ärztlichen Anstellung in Ordinationen.

Kritisch sehen (Intensiv-)Mediziner vor allem den Passus, wonach nur jene Turnusärzte KH-angebundene Notarztdienste verrichten dürfen, die die Prüfung zum Arzt für Allgemeinmedizin oder die Facharztprüfung erfolgreich absolviert haben. Das sei zu streichen, kommentiert Univ.-Prof. Dr. Anton Laggner trocken, „die FA-Prüfung ist notfallmedizinisch irrelevant“. Der Leiter der Wiener Univ.-Klinik für Notfallmedizin war der Erste, der – in aller Kürze – eine Stellungnahme eingebracht hat.

Wer haftet bei Fehlern?

Er stellt sich zudem die Frage, ob der Leiter der Spitals-Organisationseinheit (OE) mit seiner Unterschrift auch für „Probleme“ des Turnusarztes im Rettungsdienst hafte. Laut Entwurf müsse der OE-Leiter bestätigen, dass der Turnusarzt über die erforderlichen notärztlichen „Kenntnisse, Fertigkeiten und Erfahrungen“ verfüge.

An der verlangten AM- oder FA-­Prüfung stoßen sich zwei weitere an vorderster Front Tätige. „Schon jetzt wird der Notärztemangel immer deutlicher – früher fuhren vor allem die ganz jungen Kollegen als Notärzte, mittlerweile sind es eher die Älteren und im Burgenland zum Teil schon die Pensionisten, die das System aufrechterhalten“, schreibt Prim. Dr. Anette Severing, EDAIC (European Diploma in Anaesthesiology and Intensive Care), Anästhesiologie & Intensivmedizin, Barmherzige Brüder Eisenstadt.

FA-Prüfungen könnten erst frühestens nach 44 Monaten postpromotioneller Ausbildung absolviert werden, sodass nur Allgemeinmediziner nach 36 Monaten als Notärzte tätig sein dürften, argumentiert Severing. Doch auch die jungen AM-Kollegen mit der „Ausbildung neu“ würden voraussichtlich nicht zur Verfügung stehen. Denn sie hätten zwar die „nötige Prüfung“, müssten aber ihre Ausbildung in einer Lehrpraxis beenden. Diese dauere jetzt sechs Monate, werde aber auf neun bzw. zwölf Monate erhöht. Severing könne auch inhaltlich eine erforderliche FA-Prüfung „absolut nicht“ nachvollziehen, da es ja keine Beschränkung klinischer Sonderfächer für den Notarztdienst gebe. Der betreffende Passus sei zudem „rechtlich irrelevant“, die notärztlichen Kompetenzen würden ja anderweitig dokumentiert.

Ganz ähnliche Gründe führt Prim. Dr. Helmut Trimmel, Abteilung für Anästhesie, Notfall- und Allgemeine Intensivmedizin, Landesklinikum Wiener Neustadt, in seiner Funktion als Vizepräsident der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI) ins Treffen: „Die fachlichen Inhalte vieler Sonderfächer qualifizieren in keiner Weise für die Notfallmedizin.“ Der Passus würde die Option notärztlicher Tätigkeit angehender Fachärzte von 36 auf frühestens 45 Monate postpromotionell verschieben, was den Notarztmangel „weiter verschärfen“ würde. Zudem sollten Ausbildungsassistenten die FA-Prüfung zu einem möglichst späten Zeitpunkt absolvieren: „Bereits jetzt ist in manchen Fächern erkennbar, dass ‚zu früh angetreten‘ wird, mit allen negativen Konsequenzen“, sagt der Leiter der ÖGARI-Sektion Notfallmedizin.

Würde für Sterbende

Positiv hingegen nimmt die Fachwelt den Paragrafen auf, wonach der Arzt Sterbenden „unter Wahrung ihrer Würde“ beizustehen habe. Insbesondere seien Maßnahmen zur „Linderung schwerster Schmerzen und Qualen“ zulässig – selbst unter dem Risiko einer Beschleunigung des Verlustes vitaler Lebensfunktionen. Damit werde eine langjährige Forderung von palliativmedizinischen Experten erfüllt, begrüßt MT-Kommentator und Palliativ­mediziner Dr. Harald Retschitzegger die Regelung. „Klar ist natürlich auch, dass bei all diesen Entscheidungen und Situationen höchste palliative und ethische Kompetenz notwendig ist – und im Gegenzug eine solche Gesetzes­änderung nie als ‚Rechtfertigung‘ für eine aktive Lebensverkürzung missverstanden werden darf!“

Es sei eine „zutiefst ärztliche Aufgabe“, Schmerzen und sonstige Leiden bestmöglich zu lindern. Und wenn Heilung nicht mehr möglich und der Versuch von Lebensverlängerung nicht mehr gewünscht oder indiziert sei, „sind das ‚Zulassen des Sterbens‘ und eine begleitende kompetente interprofessionelle palliative Behandlung und Betreuung ebenso wichtige und ethisch verantwortungsvolle Aufgaben wie andernfalls Heilung und Lebenserhalt“, betont Retschitzegger. Manchmal habe aber bisher die vorhandene „Angst vor eventuellen juristischen Konsequenzen“ sinnvolle palliativmedizinische Maßnahmen und ethisch richtige und wichtige Entscheidungen verhindert. Dies solle sich nun ändern.

*www.parlament.gv.at (Ärztegesetz), auch „Zustimmung“ zu Stellungnahmen möglich

Eckpunkte der Ärztegesetz-Novelle

Der Ministerialentwurf, mit dem das Ärztegesetz 1998 sowie das Allgemeine SV-Gesetz und das Freiberuflichen-SV-Gesetz geändert werden, kurz die „ÄrzteG-Novelle“, ist von 9.10.–8.11.2018 in Begutachtung. Die Eckpunkte: Die notärztliche Qualifikation umfasst künftig einen Lehrgang mit 80 Einheiten (bisher 60), eine Teilnahme „zumindest an 20 supervidierten und dokumentierten notärztlichen Einsätzen“ sowie eine Abschlussprüfung. Weiters ist die Anstellungsmöglichkeit für Ärzte in Ordinationen und Gruppenpraxen geplant, eine Neuregelung der Titelführung Primaria/Primarius sowie eine Regelung über den ärztlichen „Beistand für Sterbende“.

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune