7. Feb. 2024Pneumo Aktuell 2024

Lancet Commission: Gibt es COPD auch ohne Obstruktion?

Sowohl die Global Initiative for Chronic Obstructive Lung Disease (GOLD) als auch eine Lancet Commission bearbeiten derzeit Definition und Klassifikation der COPD. Dabei wurden zum Teil radikale Änderungen vorgeschlagen. Konsensfähig ist jedenfalls eine erweiterte Rolle der Bildgebung in der COPD-Diagnostik.

Copd, medizinische Fibrose oder Asthmakranker Patient
Andrey Popov/AdobeStock

Mit dem im Jahr 2022 publizierten Dokument „Towards the Elimination of Chronic Obstructive Pulmonary Disease“ fasste eine vom Journal „The Lancet“ ins Leben gerufene Kommission den Evidenzstand zum Thema COPD samt Ausblicken in die Zukunft zusammen. Als zentrale Punkte nennt Prim. Dr. Georg-Christian Funk von der 2. Medizinischen Abteilung mit Pneumologie an der Klinik Ottakring: COPD ist kein alleiniges Problem der industrialisierten Welt. In Entwicklungs- und Schwellenländern ist die COPD-Prävalenz hoch, wofür zum Teil andere Ursachen als in reicheren Ländern verantwortlich sind, und es stehen nicht dieselben diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten zur Verfügung wie in Europa. COPD wird als vermeidbare und damit eliminierbare Erkrankung eingeschätzt. Und es werden verbesserte diagnostische Methoden gefordert, die über die Spirometrie hinausgehen. Letztlich sei COPD als lebenslanger Prozess zu verstehen.1

Es wird kompliziert: 5–7 Formen von COPD

Hinter alldem steht ein neues Verständnis der Pathophysiologie der Erkrankung und ihrer vielfältigen Ursachen, zu denen heute genetische, epigenetische und frühkindliche Faktoren ebenso gezählt werden wie Lebensstil und Umweltnoxen. Alles in allem wird COPD nicht mehr als reiner Raucherschaden verstanden, auch wenn Rauchen nach wie einer der wichtigsten Risikofaktoren bleibt. Die Lancet Commission hat 5 „Etiotypes“ von COPD definiert, die Global Initiative for Chronic Obstructive Lung Disease (GOLD) kommt auf 7 COPD-Typen.2 Einig ist man sich bei COPD infolge von genetischen Ursachen, frühkindlichen Schädigungen, Infektionen, Rauchen und Vaping sowie Umweltnoxen. GOLD spricht zusätzlich noch von COPD A (COPD und Asthma) sowie von COPD U (COPD unbekannter Ursache). Bei den genetischen Ursachen müsse man, so Funk, unterscheiden zwischen seltenen monogenetischen Erkrankungen wie dem Alpha-1-Antitrypsin-Mangel und in genomweiten Assoziationsstudien identifizierten Risiko-Allelen, die jeweils in geringem Maße zum individuellen Risiko beitragen. Insgesamt sei die wesentliche Aussage sowohl bei GOLD als auch der Lancet Commission, dass man es bei COPD mit einer ganzen Gruppe von Erkrankungen zu tun habe.

Für zukünftige therapeutische Entwicklungen könnte die Erkenntnis relevant sein, dass Symptome, Atemflussobstruktion und Emphysem bei COPD nur schlecht korrelieren. Das bedeutet nicht zuletzt, dass Patientinnen und Patienten ohne messbare Obstruktion der Atemwege bereits ein ausgeprägtes Emphysem aufweisen können und auch die Symptomatik hier keine eindeutigen Hinweise liefert.3 Eine rezente CT-Studie zeigt bei einem beträchtlichen Prozentsatz von Personen mit sehr früher COPD oder Prä-COPD bereits ein mehr oder weniger ausgeprägtes Emphysem sowie eine Pathologie der distalen Atemwege.4

Lancet Commission: COPD-Diagnose anhand des CT

Angesichts dieser Daten wertet die Lancet Commission die Bildgebung in der Diagnostik der COPD auf. Sind im CT Airtrapping, Emphysem oder andere Atemwegspathologien nachweisbar, so kann auch ohne Obstruktion eine COPD-Diagnose gestellt werden. Auch eine eingeschränkte Diffusionskapazität kann zu einer COPD-Diagnose führen. Daneben gilt selbstverständlich auch noch das alte Kriterium, das besagt, dass bei einem Verhältnis Einsekundenkapazität zu forcierter Vitalkapazität (FEV1/FVC) unter 0,7 eine COPD vorliegt. Funk: „Das ist radikal, da ja der Name COPD eigentlich die Obstruktion inkludiert. Und das ist so auch noch nicht in den Guidelines enthalten.“ Es werde schwierig, von einer obstruktiven Atemwegserkrankung zu sprechen, die gar nicht obstruktiv sein muss. Für die Praxis bedeute dies, dass man neben der Anamnese einerseits die klassische Lungenfunktionsdiagnostik über die Spirometrie hinaus benötige, zusätzlich aber auch von jedem Patienten, jeder Patientin mit COPD-Verdacht auch ein CT, um beispielsweise zwischen Emphysem und Bronchiektasen unterscheiden zu können.

Auch GOLD stellt mit den neuen Empfehlungen die gängige Praxis der COPD-Diagnose infrage und bezweifelt die Notwendigkeit der Broncholyse. Diese Einschätzung basiert auf Studiendaten, die nahelegen, dass die Reversibilitätstestung bei der Differenzierung von Asthma und COPD nicht entscheidend ist. Die Prä-Broncholyse-Spirometrie ist gut reproduzierbar und Atemflussobstruktion nur nach Broncholyse sehr selten.5–7 Funk: „Zeigt die Prä-Broncholyse-Spirometrie keine Atemflussobstruktion, so kann – außer bei sehr hoher Wahrscheinlichkeit einer COPD – auf die Post-Broncholyse-Spirometrie verzichtet werden.“ Dies sei vor allem für Allgemeinmedizinerinnen und Allgemeinmediziner, die eine Spirometrie durchführen, eine relevante Aussage.

Bei PRISm zunächst die Qualität der Spirometrie hinterfragen

Auf zunehmendes Forschungsinteresse stößt aktuell ein Zustand namens PRISm (preserved ratio but impaired spirometry), definiert durch ein normales FEV1/FVC-Verhältnis (Tiffeneau-Index) bei gleichzeitig einem FEV1 von weniger als 80% vom Soll – also eine reduzierte Vitalkapazität ohne Obstruktion. PRISm kann ein Artefakt infolge mangelnder Mitarbeit bei der Spirometrie sein, oder aber assoziiert mit einer Vielzahl unterschiedlicher Erkrankungen oder Risiken. Funk nennt beispielsweise Adipositas, eine kleine Lunge, aber auch interstitielle Lungenerkrankungen, neuromuskuläre Erkrankungen, Herzinsuffizienz oder Asthma. Die Betroffenen können symptomatisch sein, die Mortalität ist erhöht. Im Langzeitverlauf entwickeln nach 5–9 Jahren 20% der Betroffenen eine COPD, bei 25% normalisiert sich die Lungenfunktion und bei 55% besteht weiter PRISm.8,9 PRISm ist insgesamt häufig, die Prävalenz wird auf bis 10% der Bevölkerung geschätzt. Für die Praxis empfiehlt Funk im Falle eines PRISm-Befundes, zunächst die Qualität der Spirometrie zu hinterfragen und die Konstitution des Patienten bzw. der Patientin in die Überlegungen einzubeziehen. Weitere Untersuchungen (Bildgebung!) und ein Follow-up sind angezeigt.

Ein relevantes Problem bei COPD ist die im CT sichtbare Sekretobstruktion. Auch hier besteht, so Funk, keine verlässliche Korrelation mit der Klinik, und Studiendaten zeigen, dass nur rund ein Drittel der Betroffenen eine bronchitische Symptomatik aufweist.10 Dennoch hat sich Sekretobstruktion in der prospektiven COPDGene-Kohorte als unabhängiger Risikofaktor für Mortalität erwiesen. Die Daten waren hinsichtlich der bekannten Mortalitätsrisiken bei COPD adjustiert.11 Funk: „Dieser Befund ist ein weiterer Grund, bei COPD grundsätzlich auch eine CT-Untersuchung durchzuführen.“ Eine Behandlung ist mit oszillierenden PEP (positive expiratory pressure)-Systemen möglich. Studiendaten zeigen bei 3-mal täglicher Anwendung über 3 Monate nach Einschulung über die Physiotherapie Verbesserungen von allgemeiner und Husten-bezogener Lebensqualität und Fatigue sowie eine Reduktion der Hustenfrequenz.11. Funk: „Diese Therapie ist billig, leicht durchführbar und sicherlich eine Option für Patientinnen und Patienten mit Sekretobstruktion.“

Therapie: Bei hoher Eosinophilenzahl bereits initial ICS einsetzen

Hinsichtlich der pharmakologischen Therapie der COPD gab es in letzter Zeit keine relevanten Änderungen. Nach wie vor definiert GOLD die COPD-Gruppen A, B und E, wobei für Gruppe A (wenige Symptome, wenige Exazerbationen) „ein Bronchodilatator“ empfohlen wird. Die anderen beiden Gruppen sollen eine kombinierte Therapie mit einem langwirksamen Muskarinantagonisten (LAMA) und einem langwirksamen Beta-2-Agonisten (LABA) erhalten. Bei häufig exazerbierenden Patientinnen und Patienten (Gruppe E) wird zusätzlich ein inhalatives Glukokortikoid (ICS) empfohlen, wenn die Eosinophilenzahl im Blut erhöht ist. Hier besteht allerdings eine Evidenzlücke, da es keine Studien gibt, die die Wirksamkeit einer Dreifachtherapie (LAMA/LABA/ICS) bei therapienaiven Patientinnen und Patienten der Gruppe E untersuchten. Diese Lücke wurde nun mit einer britischen Registerstudie zumindest teilweise geschlossen. Die Auswertung zeigte, dass eine Upfront-Triple-Therapie bei therapienaiver COPD E wirkt, sofern die Eosinophilenzahl über 300/ml liegt. Bei niedriger Eosinophilenzahl erhöhen ICS auch das Pneumonie-Risiko signifikant.12 Funk: „Diese Daten bestätigen die GOLD-Empfehlungen perfekt und zeigen, dass wir geeigneten Personen bereits initial eine Dreifachtherapie geben können.“ Mittlerweile konnte gezeigt werden, dass die Dreifachtherapie auch bei aktiven Zigarettenrauchern wirksam ist.13 Für den gegen Interleukin-4 gerichteten Antikörper Dupilumab konnte in der BOREAS-Studie in einer Population häufig exazerbierender COPD-Patientinnen und -Patienten, die bereits unter Triple-Therapie standen, eine Reduktion der Exazerbationsrate sowie eine Verbesserung der Lungenfunktion gezeigt werden.14 Dupilumab könnte eine Option für einige wenige ausgewählte, viel exazerbierende Patienten werden, so Funk.

Ein offenes Problem stellen venöse Thromboembolien bei stationär aufgenommenen COPD-Exazerbationen dar. Diese Ereignisse sind nicht selten, eine rezente chinesische Studie fand sogar bei 25% der untersuchten Patientinnen und Patienten Thromboembolien, in 17% handelte es sich um Pulmonalembolien. Selbst bei einem niedrigen Wells-Score (geringes Risiko) lag die Inzidenz von Pulmonalembolien noch bei 7%.15 Die Konsequenzen sind unklar, Wachsamkeit ist jedoch in jedem Fall angeraten.

„COPD/Asthma“, Vortrag im Rahmen der 11. Pneumo Aktuell-Tagung, Österreichische Gesellschaft für Pneumologie (ÖGP), Wien und online, 27.1.2024