Zürcher Suchtzentrum setzt auf E-Zigarette statt Tschick
E-Zigaretten für Nikotinabhängige: Am größten Suchtzentrum der Schweiz werden für den Rauchstopp auch schadensmindernde Strategien verfolgt, wenn Abhängige mehrfach rückfällig wurden.
In der Suchtmedizin gibt es verschiedene Ansätze, die von Ersatztherapien, kontrolliertem Konsum und Schadensminderung bis hin zur Abstinenz reichen. Das gilt für die Abhängigkeit von illegalen Drogen ebenso wie für die Alkoholabhängigkeit, substanzunabhängige Abhängigkeiten und das Rauchen.
In Zusammenhang mit dem Zigarettenrauchen ist kontrollierter Konsum kein Thema: „Selbst der Konsum von nur wenigen Zigaretten täglich stellt bereits ein großes Gesundheitsrisiko dar“, betont Prof. Dr. Philip Bruggmann, Co-Chefarzt Innere Medizin am Arud Zentrum für Suchtmedizin in Zürich, einem der größten ambulanten Suchtzentren Europas, an dem rund 6.000 Patienten behandelt werden. Allenfalls sei kontrollierter Konsum von Zigaretten ein Zwischenschritt zum eigentlichen Ziel: der Abstinenz. Doch diese ist für viele Nikotinabhängige nur schwer erreichbar. Die Mehrzahl der Betroffenen wird auch bei bester Beratung und Unterstützung und trotz Zuhilfenahme von Nikotinkaugummis, Lutschtabletten, Inhalatoren, Mundsprays oder Medikamenten innerhalb eines Jahres wieder rückfällig.
Harm Reduction nach mehrfachen Rückfällen
„Wenn man auf anderem Weg nicht zum Erfolg kommt, braucht es einen schadensmindernden Ansatz“, unterstrich Bruggmann in einem von der Medical Tribune Schweiz veranstalteten Fortbildungs-Webinar. Am Arud Zentrum für Suchtmedizin wird mehrfach rückfälligen Abhängigen daher im Sinne der Harm Reduction der Umstieg auf E-Zigaretten empfohlen. Die Idee dahinter: E-Zigaretten bergen zwar auch gesundheitliche Risiken – aber in deutlich geringerem Ausmaß als die Verbrennungszigarette.
Laut einer Schweizer Studie1, die im Februar 2024 im New England Journal of Medicine veröffentlicht wurde, ist die Wahrscheinlichkeit, nach einem Rauchstopp mindestens 6 Monate lang nicht zu rauchen, deutlich höher, wenn nikotinhaltige E-Zigaretten anstatt herkömmlicher Nikotinersatztherapien wie Pflaster und Kaugummis zur Unterstützung eingesetzt werden. Von jenen Probandinnen und Probanden, die E-Zigaretten als Unterstützung für den Rauchstopp nutzen, waren nach einem halben Jahr noch 28,9% abstinent. Bei der Kontrollgruppe, die eine herkömmliche Nikotinersatztherapie erhielt, waren es laut der randomisierten kontrollierten multizentrischen Studie nur 16,3%. Dieses Ergebnis geht konform mit einem laufend aktualisierten Cochrane-Review2, welcher der E-Zigarette ebenfalls eine im Vergleich bessere Erfolgsrate beim Rauchstopp attestiert.
Der Preis ist ein entscheidender Faktor
Die E-Zigarette biete aus suchtmedizinischer Sicht einen weiteren Vorteil: Sie kommt, zumindest in der Schweiz, den Konsumentinnen und Konsumenten billiger als die Verbrennungszigarette. Tabakerhitzer kosten die Konsumentinnen und Konsumenten in etwa gleich viel wie der Zigarettenkonsum. Auch Nikotinersatzprodukte kosten in etwa gleich viel wie Verbrennungszigaretten. „Gerade bei Jugendlichen ist der Preis ein entscheidender Faktor dafür, zu welchem Produkt sie greifen“, weiß Bruggmann. In den USA zum Beispiel habe die Besteuerung von E-Zigaretten dazu geführt, dass das Dampfen zurückging und die Zahl der Rauchenden wieder anstieg.
Heißes Thema Jugendschutz
In Zusammenhang mit E-Zigaretten und anderen Nikotinprodukten ist der Jugendschutz ein Riesenthema. Die Kritikerinnen und Kritiker des Einsatzes von E-Zigaretten im Sinne der Schadensminimierung führen die sogenannte „Gateway-Theorie“ ins Treffen: Demnach würden Jugendliche durch den Konsum von E-Zigaretten nikotinabhängig und steigen dann später auf Verbrennungszigaretten um. „Für diese Theorie gibt es allerdings wenig Evidenz“, bekräftigt Bruggmann. Dennoch müsse bezüglich E-Zigaretten sorgsam zwischen dem Schutz der Jugendlichen und Rauchstoppunterstützung für Erwachsene abgewogen werden. „Aus anderen Ländern wissen wir: Je mehr gedampft wird, desto weniger Zigaretten werden geraucht – auch bei Jugendlichen“, erklärt der Suchtmediziner.
Quelle: CME-Webinar „Schadensmindernde Alternativen zum Tabakrauchen“, 8. 4. 2024