13. Sep. 2023Rauchentwöhnung

(K)Ein Platz für Harm Reduction

Der Nutzen von E-Zigaretten & Co bei der Rauchentwöhnung wurde in einem Vortrag auf der Harm Reduction D.A.CH Konferenz in Wien besprochen. Anders als im Rest Europas wird der Weg der Schadensminimierung in Großbritannien von der Gesundheitspolitik aktiv verfolgt.

Man Holding Vape And Tobacco Cigarette Over Desk
iStock/AndreyPopov

Nicht weniger als 72% der Raucherinnen und Raucher wollen mit dem Rauchen aufhören. Das geht aus einer Auswertung der aktuellen deutschen Rauchstopp-Studie (RauS) hervor.1 „Die Motivation, mit dem Rauchen aufzuhören, ist also sehr groß“, erklärt Prof. Dr. Heino Stöver, Vorsitzender des Bundesverbandes für akzeptierende Drogenarbeit und humane Drogenpolitik Deutschland (akzept) sowie einer der Studienautoren: „Allerdings wird ohne Not auf einige Pfeile im Köcher verzichtet, um das größte vermeidbare Gesundheitsrisiko in Deutschland zu bekämpfen“, kritisierte Stöver auf der ersten Harm Reduction D.A.CH Konferenz, die im Juni in Wien stattfand.

94% versuchten einen Rauchstopp über E-Zigaretten

Die in den entsprechenden S3-Leitlinien empfohlenen Hilfsmittel für den Rauchausstieg werden nicht wirklich angenommen: Nur 5% der zum Rauchstopp entschlossenen Raucherinnen und Raucher haben sich schon einmal einer Verhaltenstherapie unterzogen; Medikamente zur Rauchentwöhnung haben ebenfalls nur 5% schon einmal probiert; immerhin 27% haben es schon einmal mit einer Nikotinersatztherapie (z.B. Nikotinpflaster oder Nikotinkaugummi) versucht. Allerdings haben satte 94% bereits den Versuch unternommen, die Verbrennungszigarette durch die deutlich weniger gesundheitsschädliche E-Zigarette zu ersetzen.

Angesichts einiger rezenter wissenschaftlicher Erkenntnisse dürften die aufhörwilligen Raucherinnen und Raucher damit eine richtige Wahl getroffen haben. „Es liegen viele Daten darüber vor, dass die Rauchentwöhnung mit E-Zigaretten in etwa doppelt so erfolgreich ist wie der Einsatz herkömmlicher Nikotinersatzpräparate“, bekräftigt Stöver. Ein im November des Vorjahres veröffentlichter Cochrane-Review2 kommt zu dem Schluss, dass die Wahrscheinlichkeit, mindestens sechs Monate lang nicht zu rauchen, deutlich höher sei, wenn man nikotinhaltige E-Zigaretten anstatt herkömmlicher Nikotinersatztherapien wie Pflaster und Kaugummi zur Unterstützung nutzt. Dies sei „mit Evidenz von hoher Vertrauenswürdigkeit“ belegt, heißt es in der Metaanalyse.

Der britische Weg

Doch die Möglichkeit, E-Zigaretten, Tabakerhitzer oder Nikotinbeutel als Ausstiegshilfe zu verwenden, wird in Deutschland von den zuständigen Stellen – das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in Deutschland (BZgA) – nicht empfohlen. Die Situation in Österreich ist damit vergleichbar. „Es gibt viele alternative Formen der Nikotinaufnahme, über die aufgeklärt werden müsste. Diese Einrichtungen aber beharren weiterhin auf dem Prinzip der totalen Abstinenz“, sagt Stöver: „Nikotinabstinenz ist ein frommer Wunsch, aber leider völlig unrealistisch.“ Jene, die das Abstinenzprinzip hochhalten, unterschätzten die „Wucht der Abhängigkeitsdynamik“, wie der deutsche Suchtmediziner formuliert. Und er liefert einen erschreckenden Anhaltspunkt für die Intensität der Nikotinabhängigkeit: Über zwei Drittel der Patientinnen und Patienten, die aufgrund von rauchbedingten Gesundheitsschäden operiert werden mussten, rauchen danach weiter – obwohl ihnen die gesundheitliche Gefahr des Rauchens in dieser Situation wohl eindeutig klar ist.

Das einzige Land Europas (geographisch betrachtet), in dem die Gesundheitsbehörden Raucherinnen und Rauchern aktiv den Umstieg auf Ersatzprodukte empfehlen, ist Großbritannien. Seit zehn Jahren wird im Vereinigten Königreich versucht, sie dazu zu bringen, von der Verbrennungszigarette auf E-Zigaretten umzusteigen. Die Zahlen scheinen dieser Politik recht zu geben: In Deutschland liegt die Raucherprävalenz laut der regelmäßig durchgeführten DEBRA-Studie (Deutsche Befragung zum Rauchverhalten)bei aktuell 32%. In Großbritannien liegt sie bei 13%. Um das Land bis 2030 rauchfrei zu machen – damit ist eine Raucherprävalenz von unter 5% gemeint – sollen demnächst E-Zigaretten kostenlos an eine Million Raucherinnen und Raucher abgegeben werden. Diese im Vereinigten Königreich praktizierte Politik beruht auf dem Prinzip der „Harm Reduction“ (Schadensminimierung). Der Begriff bezieht sich auf Maßnahmen, Programme und Projekte, die darauf abzielen, die gesundheitlichen, sozialen und wirtschaftlichen Schäden im Zusammenhang mit dem Konsum psychoaktiver Substanzen zu verringern. In Zusammenhang mit Heroin etwa ist dieses Prinzip – nach langem Ringen – mittlerweile überall etabliert und reicht vom freien Zugang zu sterilem Spritzbesteck bis zur Drogenersatztherapie. Stöver wünscht sich, dass „Harm Reduction“ in Deutschland und anderen Ländern wie Österreich auch in Zusammenhang mit dem Kampf gegen das Zigarettenrauchen zum Tragen kommt, muss aber zur Kenntnis nehmen: „Die eindimensionale Fixierung auf Abstinenz lässt keinen Platz für Harm Reduction.“ Veranstaltungen wie die Harm Reduction D.A.CH Konferenz sollen dies künftig ändern.

Harm Reduction D.A.CH Konferenz, Wien, 23.06.2023