21. Aug. 2023PIF 2023

Wie kann die Lungenkrebs-Früherkennung verbessert werden?

Neben der Vorbeugung ist die Früherkennung von nicht-kleinzelligem Lungenkrebs ein wichtiger Ansatz, um die nach wie vor sehr hohe Sterblichkeit aufgrund dieses Tumors zu reduzieren. Ein sinnvolles Tool dafür könnte das Lungenkarzinom-Screening von Risikogruppen sein. Auch durch die bessere Abklärung von zufällig gefundenen Rundherden könnte Lungenkrebs häufiger bereits im Frühstadium erfasst werden. Noch besser wird die Prognose, wenn es zusätzlich gelingt, die Wartezeiten für die Tumorabklärung und Therapie-Einleitung möglichst gering zu halten.

A male doctor examines a CT scan of a patient’s lungs. Treatment of bronchitis, pneumonia, coronavirus. Close-up. Selective focus.
Markoff/AdobeStock

Lungenkrebs ist der am häufigsten zum Tode führende Tumor. Eines der großen Probleme ist, dass Bronchialkarzinome in 55% der Fälle bei der Entdeckung bereits in einem fortgeschrittenen Stadium sind. Lediglich bei 19% der Patientinnen und Patienten ist die Erkrankung zu diesem Zeitpunkt noch lokalisiert. „Das Stadium, in dem der Tumor detektiert wird, hat auch direkte Auswirkungen auf das 5-Jahres-Überleben“, erklärt Assoc.-Prof. Priv.-Doz. Dr. Helmut Prosch, Klinische Abteilung für Allgemeine Radiologie und Kinderradiologie, Medizinische Universität Wien. „Haben Patientinnen und Patienten einen lokalisierten Tumor, leben nach fünf Jahren noch 61%. Liegt bereits ein fortgeschrittenes Tumorstadium vor, sinkt das 5-Jahres-Überleben auf 7%.“ Das Ziel muss daher sein, mehr lokalisierte Tumorstadien zu diagnostizieren.

Lungenkarzinom-Screening von Risikogruppen

Wenn der Tumor entsteht, ist es anfänglich noch nicht möglich, ihn radiologisch zu erkennen. Bei Lungenkarzinomen, die als Zufallsbefund in Gestalt eines Rundherdes entdeckt werden, ist meist schon viel wertvolle Zeit verstrichen. Dieses lange Intervall zwischen Entstehung und zufälliger Entdeckung versucht man mit dem Lungenkarzinom-Screening von definierten Risikogruppen zu verkürzen, das den Tumor möglichst rasch detektieren soll, sobald er nachweisbar wird.

Das erstmals in der 1950er Jahren durchgeführte Lungenkarzinom-Screening mittels Lungenröntgen war noch nicht sehr effizient. Heute wird mit Niedrigdosis-CTs gescreent. Wie gut das funktioniert, zeigen die 2011 veröffentlichten Ergebnisse des National Lung Screening Trials (NLST). In dieser prospektiven amerikanischen Studie mit mehr als 50.000 Freiwilligen wurden starke Raucherinnen und Raucher oder ehemalige starke Raucherinnen und Raucher im Alter zwischen 55 und 74 Jahren in eine Niedrigdosis-CT-Gruppe und eine Lungenröntgen-Gruppe randomisiert. Das erfreuliche Ergebnis: Die Studie musste vorzeitig abgebrochen werden, weil sich schon nach sechs Jahren der erwünschte Effekt einer Reduktion der Lungenkarzinom-Mortalität um 20% zeigte. Die Gesamtmortalität verringerte sich um 6,7% und die Number needed to screen betrug 320 (es mussten also 320 Personen gescreent werden, um ein Leben zu retten). Bemerkenswert waren Hinweise, dass Frauen möglicherweise mehr vom Screening profitieren als Männer (da unter den Studienteilnehmenden weniger Frauen waren, war der Unterschied aber statistisch nicht signifikant).

Im Unterschied zum NLST wurden die über 15.000 Teilnehmenden der niederländischen NELSON-Studie nicht gegen Lungenröntgen, sondern gegen Usual care randomisiert. Auch in dieser Untersuchung konnte nachgewiesen werden, dass das Lungenkarzinom-Screening mit Niedrigdosis-CT (LDCT) Leben retten kann. Der Effekt zeigte sich allerdings erst nach mehr als zwei Jahren, da man am Anfang vor allem fortgeschrittene Tumorstadien findet, die auch ohne Screening entdeckt werden. Bei Männern wurde die Lungenkrebsmortalität durch das LDCT-Screening um 24% reduziert, bei Frauen sogar um 33%. Auch in dieser Studie war der Geschlechterunterschied nicht signifikant, da die Zahl der weiblichen Teilnehmenden zu gering war. Noch dramatischer war der positive Effekt des Lungenkarzinom-Screenings bei Frauen in der deutschen LUSI-Studie. „Die durchgehend größere Effektivität ist auch der Grund, warum man heute versucht, Frauen extra in Screening-Studien einzuladen“, so Prosch. Dass der Effekt eines Lungenkarzinom-Screenings erst im Langzeitvergleich deutlich wird, zeigte auch die italienische MILD-Studie, in der sich die Mortalitätskurven erst nach fünf Jahren deutlich trennten.

Abklärung von Rundherden

Bei Lungenkarzinom-Screenings werden kleine Rundherde gesucht. Das Problem daran lässt sich sehr gut mit den Ergebnissen des NLST veranschaulichen: Rundherde können auch bei gesunden Menschen relativ häufig gefunden werden. In der amerikanischen Studie hatten 39% der Teilnehmerinnen und Teilnehmer einen oder mehrere Rundherde. Maligne waren aber nur 3,6% dieser Herde. „Das bedeutet, dass der allergrößte Teil der Rundherde gutartig ist“, betonte Prosch. Durch die diagnostische Abklärung mit invasiven Eingriffen kam es bei 3,3% der Teilnehmenden der LDCT-Gruppe zu schwerwiegenden Komplikationen. 0,8% der Personen verstarben innerhalb von zwei Monaten nach der diagnostischen Abklärung. „Das ist für eine diagnostische Methode eine inakzeptabel hohe Komplikationsrate. Wir müssen daher sehr vorsichtig sein mit einer invasiver Abklärung dieser Rundherde.“

Für den Screening-Alltag bedeutet das, dass nicht jeder Rundherd weiter abgeklärt wird. Da das Risiko für Lungenkrebs im Wesentlichen von der Größe des Rundherdes abhängt, erfolgt das Management von Lungenrundherden vor allem über Verlaufskontrollen. Bei sehr kleinen Rundherden, die ein extrem geringes Risiko für Malignität haben, reichen Kontrollen in der nächsten Screening-Runde aus. Sehr große Rundherde mit entsprechend höherem Risiko sollten weiter abgeklärt werden (z.B. PET/CT oder Biopsie). Patientinnen und Patienten mit Herden, deren Größe irgendwo dazwischen liegt, werden Verlaufskontrollen mittels CT empfohlen. Ist der Herd bei dieser Kontrolle stabil, werden die Betroffenen in eine weitere Screening-Runde eingeladen. Sind die Herde in der Zwischenzeit gewachsen, ist eine Abklärung angezeigt.

„Wichtig ist, dass das Management von Rundherden im Rahmen eines Screenings sich deutlich vom Management von Herden, die zufällig gefunden werden, unterscheidet“, verweist Prosch auf die speziellen Screening-Protokolle. „Deswegen sollten auch Menschen, die Angst vor einem Lungenkarzinom haben, nicht einfach zu einem grauen Screening geschickt werden, da dort das Risiko eines Fehlmanagements extrem hoch ist.“

Strahlendosis

Die Strahlenbelastung durch das Scannen sollte heute kein Thema mehr sein. Während die Patientinnen und Patienten beim traditionellen diagnostischen Lungen-CT noch einer Strahlendosis von 7mSV ausgesetzt waren, liegen die Werte bei modernen Ultra-low-dose-Scannern bei weit unter einem Millisievert. „Das entspricht ungefähr der Strahlendosis eines Lungenröntgens“, hebt Prosch hervor. Das ist auch deutlich weniger als die natürliche Strahlenbelastung, die im Schnitt 3msV pro Jahr beträgt.

Unterschiede zum Brustkrebs-Screening

Ein wichtiger Unterschied zum Brustkrebs-Screening ist, dass beim Lungenkarzinom-Screening die Risikopopulation besser definiert werden kann. Wann ein Brustkrebs-Screening bei einem Menschen Sinn macht, wird im Wesentlichen vom Alter und Geschlecht bestimmt. Beim Lungenkarzinom-Screening kann man das Risiko genauer definieren und damit die Wahrscheinlichkeit, ein Lungenkarzinom zu detektieren, deutlich verbessern. Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch, dass nicht jeder Mensch, der Angst vor einem Lungenkarzinom hat, gescreent werden sollte. „Damit würde man nur zusätzliche Kosten, unnötiges Risiko und Angst bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern verursachen“.

Vorteile eines CT-Screenings

  • Senkung der Lungenkrebssterblichkeit
  • Reduktion fortgeschrittener Tumorstadien
  • Gewonnene Jahre

Nachteile eines CT-Screenings

  • Falsch positive Ergebnisse
  • Überdiagnose
  • Überbehandlung
  • Strahlendosis
  • Kosten

Optimiertes Rundherd-Management

Die meisten Rundherde werden nicht bei symptomatischen Patientinnen und Patienten oder im Rahmen eines Screenings, sondern zufällig gefunden. Für die Überwachung oder Abklärung solcher Rundherde gibt es eine ganze Reihe von Guidelines. Ein Beispiel dafür ist die Bewertung des Risikos mithilfe des Brock-Modells. Das Problem ist, dass das Management zufällig gefundener Rundherde in der Praxis sehr zu wünschen übriglässt: „Beinahe zwei Drittel dieser Rundherde werden nicht weiterführend abgeklärt“, kritisiert Prosch. Und in den Fällen, in denen abgeklärt wird, beträgt die mittlere Zeit von der Erstdiagnose des Rundherds bis zur ersten Aufarbeitung acht Monate. „Wir brauchen unbedingt eine bessere Abklärung! In den USA werden jährlich 1,1 Millionen Rundherde nicht angemessen weiterverfolgt. Dadurch werden 43.000 Lungenkarzinome übersehen!“ Will man Lungenkrebs möglichst früh erkennen, ist es daher wichtig, nicht nur Risikopopulationen zu screenen, sondern auch das Rundherd-Management zu optimieren.

Beschleunigte Diagnostik

Großer Handlungsbedarf besteht auch noch in den Fällen, in denen die Patientinnen und Patienten symptomatisch werden. Bis zur Abklärung und Einleitung einer Therapie vergeht noch zu viel wertvolle Zeit. In einer retrospektiven Studie dauerte es im Schnitt vom ersten CT bis zum PET/CT 26 Tage und bis zur Resektion 74 Tage. In der Zeit zwischen CT und PET/CT kam es aufgrund der Tumorprogression bei einem Drittel der Betroffenen zu einem radiologischen Upstaging, das mit einer schlechteren Prognose verbunden ist.  „Wir wissen, dass die Größe von Tumoren sich direkt in der Überlebenswahrscheinlichkeit dieser Patientinnen und Patienten widerspiegelt“, unterstreicht Prosch die Wichtigkeit einer möglichst raschen Diagnostik und Therapie. Das bestätigt auch eine Analyse der US National Cancer Database: Patientinnen und Patienten, die schneller operiert wurden (<37 Tage nach der Diagnose) hatten eine signifikant geringere 30- und 90-Tage-Mortalität als jene, bei denen es 38 oder mehr Tage dauerte, bis sie operiert wurden.

Ein Lösungsansatz für dieses Problem wären die Implementation von Pfaden, in denen genau festgelegt wird, wie Patientinnen und Patienten abgeklärt werden müssen, und das Festlegen von  beschleunigten Zugänge zur Abklärung. Dass ein solcher Patientenpfad kein Allheilmittel ist, zeigt allerdings Großbritannien: Dort gibt zwar es einen National Optimum Lung Cancer Pathway, in dem zum Beispiel aufgelistet ist, dass ein PET/CT spätestens am Tag 14 erfolgen sollte, aber die Umsetzung dieser Vorgaben scheitert in der Praxis an den Ressourcenmängeln des britischen Gesundheitssystems.

Fazit

Was kann man also tun, um die Lungenkrebs-Früherkennung zu verbessern? Ein Ansatzpunkt wäre die Einführung eines Lungenkarzinom-Screenings. „Hier müssen die Einschlusskriterien für das Screening optimiert und Rundherde nach Leitlinien abgeklärt werden“, fasst Prosch zusammen. „Außerdem muss das Screening langfristig sein.“ Ebenso wichtig wie das Screening ist ein optimiertes Rundherd-Management: Es muss sichergestellt werden, dass zufällig gefundene Rundherde auch abgeklärt werden. Hilfreich dabei wäre eine Einführung von Rundherd-Programmen. Der dritte wichtige Punkt für die Senkung der Lungenkarzinom-Mortalität ist eine Beschleunigung der Diagnostik.

Prosch, H. „I’ll be watching you – Früherkennung im NSCLC“, PIF – Pneumologie im Fokus 2023, St. Wolfgang, 22. April 2023