25. Jän. 2024Wie bekommen Medikamente ihren Namen?

Namenswahl und Look in der Pharmawelt

Wie kommen Arzneimittel eigentlich zu Markennamen und Farbe? Jedenfalls nicht so leicht, wie es den Anschein hat. Dahinter verbirgt sich eine eigene Wissenschaft, die mit der Anzahl der bereits vorhandenen Arzneimittel und der gewonnenen Erfahrung immer herausfordernder wird.

Nahaufnahme mit verschiedenen bunten Pillen und Medikamenten. Flacher DOF.
Soho A studio/AdobeStock

Die Tennis-Performance einer gewissen Marguerite „Rita“ Panizzon ist der Grund, warum der Blockbuster Ritalin heute so und nicht anders heißt. Ritas Ehemann Leandro Panizzon hat den Wirkstoff Methylphenidat entwickelt und, wie damals üblich, an sich und seiner Frau getestet. Rita spielte daraufhin so fokussiert wie nie zuvor Tennis.

Wie das Beispiel des seit 1954 erhältlichen Arzneimittels zeigt, kommen Medikamente mitunter auf kuriose Weise zu ihren Namen. Bei Voltaren war wohl gar der Blick aus dem Fenster entscheidend. Die Marketingabteilung der betreffenden Pharmafirma kombinierte hier schlicht den Standort (Voltaplatz) mit der Umgebung (Rhein, lateinisch ren).

Fallstricke bei der Namenswahl

Ritalin und Voltaren sind Fantasienamen, wie sie auch bei neuen Arzneimitteln überwiegen. Vorweg müssen sie allerdings den Sanktus der Behörden bekommen, und das wird immer schwieriger. Ob etwa Nirvanal, der Name eines nicht mehr auf dem Markt befindlichen lokalen Betäubungsmittels, heute noch abgenickt würde, ist daher fraglich.

Wer ein neues Medikament herausbringen will, braucht eine behördliche Zulassung. Und die gibt es ohne klinische Studien oder eine Beschreibung der Herstellung genauso wenig wie ohne Markennamen. Soll das Arzneimittel EU-weit vertrieben werden, gilt der gleiche Name für alle 27 Mitgliedsländer. In diesem Fall ist die EMA (European Medicines Agency) das zuständige Prüforgan, das US-amerikanische Pendant heißt FDA (Food and Drug Administration). Soll das Arzneimittel nur in einzelnen Ländern verkauft werden, sind die nationalen Behörden am Zug, in Österreich ist dies das BASG (Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen).

Sicherheit ist Trumpf

Die Zulassungsbehörden haben bezüglich Brandnamen ausgefeilte Regelwerke erstellt. Höchste Priorität hat die Sicherheit. „Verwechslungen müssen unbedingt ausgeschlossen werden“, sagt Linda Krempl, die bei der Pharmig (Verband der pharmazeutischen Industrie Österreichs) für Regulatory Affairs zuständig ist. Das geht so weit, dass sogar die Verwechslungsgefahr für die handschriftliche Version und den Klang des vorgeschlagenen Markennamens geprüft wird. Als Faustregel für einen Fantasienamen gilt zudem, dass er sich in zumindest 3 Buchstaben von einem bereits vorhandenen Namen unterscheiden muss. Endungen und Wortteile wie anserin, nal, kef und prost dürfen erst gar nicht vorkommen, weil sie der Unterteilung in Wirkstoffgruppen dienen. „Man unterschätzt auch, wie viele Doppeldeutigkeiten es in 27 verschiedenen Ländern geben kann. Was für ein Land passt, kann anderswo eine Verballhornung oder ein Schimpfwort bedeuten“, ergänzt Krempl. Letztendlich sind auch Irreführungen bezüglich Indikation bzw. falsche Versprechungen auszuschließen.

Das alles führt dazu, dass die bei der EMA eingebrachten Vorschläge in der Mehrzahl zurückgewiesen werden. Die Pharmafirmen müssen daher mehrere Namensvorschläge einreichen, die vorweg natürlich markenrechtlich zu schützen sind.

Plan B: Das „Strickmuster“

Immerhin besteht neben den Fantasienamen noch die Möglichkeit, einen Markennamen aus Wirkstoffbezeichnung plus Zulassungsinhaber oder Warenzeichen zu bilden. Diese Variante wird zumindest auf nationaler Ebene selten beeinsprucht. Die meisten Generika kommen übrigens so zu ihrem Namen, etwa der Cholesterinsenker Simvastatin. Pharmazeuten und Pharmazeutinnen lesen aus der Endung -vastatin obendrein heraus, dass es sich um die Wirkstoffgruppe der HMG-CoA-Reduktase-Hemmer handelt.

Markennamen aus Wirkstoffbezeichnung plus Zulassungsinhaber oder Warenzeichen machen bei rezeptpflichtigen Medikamenten etwa die Hälfte und bei rezeptfreien eine Minderheit aus.

Assoziationen durch Namen wecken

Je verbreiteter ein Leiden, desto wichtiger ist ein klingender Name, also ein Fantasiename. Insbesondere bei rezeptfreien Arzneimitteln lohnt sich ein Markenname, den sich auch Laien und Laiinnen einfach merken können. Etwa, weil dadurch Assoziationen geweckt werden.

So bekam Prozac, eines der ersten SSRI in den USA, seinen Namen mithilfe einer führenden US-Brandagentur, die nach einem positiv und animierend klingenden Kunstwort suchte. In Europa gibt es für dasselbe Produkt neben Prozac allerdings noch 3 andere Namen, in Österreich ist es Fluctine. Brancheninsider verweisen darauf, dass Prozac deutsch ausgesprochen etwas unpassend klingt, vor allem, wenn man das „z“ wie „s“ ausspricht.

Eine spezielle Bedeutung in einer Sprache kann ein Problem, aber auch ein Glücksfall sein. So bedeutet Viagra Tiger – zumindest im altindischen Sanskrit. Eigentlich entstand das Potenzmittel aus einer Wortkreation aus vis, lateinisch für Kraft, und Niagara wie Niagara-Fälle.

Wird ein Markenname häufig als Gattungsbegriff verwendet, bedeutet das ebenfalls einen Glücksfall für den Hersteller. So sagen viele Laien Aspirin, wenn sie ein (rezeptfreies) Schmerzmittel meinen. Hinter Aspirin steckt eine Wortkombination aus Acetyl- und Spire. Letztere ist ein anderes Wort für Mädesüß, einen Strauch mit natürlicher Salicylsäure.

Bei Frauen über 70 Jahren klingelt es vielleicht bei Anovlar. So hieß die erste Anti-Baby-Pille. Fachleute lasen den Wirkmechanismus „der Ovulation entgegenwirkend“ heraus. Mittlerweile tragen Kontrazeptiva äußerst gerne Frauennamen.

Paxlovid reimt sich sicher nicht zufällig auf Covid, was in den USA für den Werbeslogan genützt wurde.

Glaubt man Ferras Agency, einer Wiener Agentur, die sich auf Brandnaming spezialisiert hat, gibt es auch bei Arzneimittelnamen Trends. So wurden in den 1990ern seltene Buchstaben wie X, Y und Z modern, weil Wörter mit diesen Buchstaben sich leichter einprägen. X wird obendrein mit Hi-Tech assoziiert. Außerdem verringerte sich die Gefahr, dass es schon ähnlich Klingendes gibt.

Auch die Wahl der Farbe ist durchdacht

Wie beim „x“ im Namen stecken auch hinter der Farbwahl von Tabletten strategische Überlegungen. Hier geht es etwa um die psychologische Wirkung. So wird Hellblau als beruhigend empfunden. Viagra wiederum hat ein kräftiges Blau, weil es Männer ansprechen soll. Schmerztabletten strahlen in Rot eine durchaus gewollte Aggressivität aus. Abgesehen davon sind farbliche Unterschiede ein Sicherheitsfaktor für Menschen, die viele Pillen täglich einnehmen. Wobei insgesamt nur 5 Farben und deren Mischungen infrage kommen, weil andere Farben mit dem Wirkstoff interagieren bzw. schädlich sind.