23. Jän. 2025Andere Länder, andere Apotheken – Teil 7

Spanische Apotheke mit deutscher Verstärkung

Wie Apotheken in einem Land mit extrem hoher Apothekendichte ihr Auslangen finden können und dabei ein hohes Image behalten, zeigt das Beispiel auf der Iberischen Halbinsel.

Aussenansicht der Apotheke Segovia Garay in Valencia
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Die beiden Besitzerinnen, die Schwestern Desideria und Isabel Segovia Garay in ihrer Apotheke.
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Die beiden Besitzerinnen, die Schwestern Desideria (r.) und Isabel (l.) Segovia Garay, verfügen über eine orthopädische Zusatzausbildung.

Sehtest, Hörtest, Ohrlochstechen, orthopädische Einlagen anpassen: Das alles dürfen spanische Apotheken unter gewissen Bedingungen anbieten. In der Apotheke Segovia Garay in Valencia hat man sich für ein orthopädisches Zusatzangebot entschieden. Die beiden Besitzerinnen, die Schwestern Desideria und Isabel Segovia Garay, verfügen denn auch über eine orthopädische Zusatzausbildung.

Der Standort ihrer Apotheke, das Stadtviertel Cabanyal, punktet nicht zuletzt durch seinen großzügigen Stadtstrand. Die Apotheke selbst fällt, wie in Spanien üblich, klein aus. Groß ist dagegen die Konkurrenz. Denn die Apothekendichte ist außergewöhnlich hoch – dreimal so hoch wie in Österreich. Zusatzangebote, die eine Erweiterung der Kundschaft bedeuten, sind dementsprechend willkommen. Es gibt sie neben der Orthopädie auch in Ernährungslehre, Augenoptik und Hörakustik.

Hohe Akademikerquote, gutes Image

Die vierköpfige Belegschaft ist beeindruckend gut qualifiziert. Neben den Leiterinnen befinden sich eine weitere (Teilzeit-)Pharmazeutin mit zusätzlicher PTA-Ausbildung und ein PTA-Mitarbeiter an Bord. Als einziger Mann in Betrieb wird just Letzterer gerne für den Apotheker gehalten. Die Bitte: „Ich würde gerne den Apotheker sprechen“, bekommen die drei Pharmazeutinnen daher immer wieder zu hören. „Da nützt auch der Titel am Kittel nichts“, sagt die aus Deutschland stammende Pharmazeutin Esther Luhmann.

Aus Deutschland nach Spanien

Die Berlinerin stößt auf einige Neugier bei den Kunden und Kundinnen. Denn während viele spanische Akademiker und Akademikerinnen in Deutschland arbeiten, ist der umgekehrte Fall nicht zuletzt aufgrund des niedrigeren Einkommensniveaus höchst selten.

„Es gibt eben Dinge, die man mit Geld nicht kaufen kann, ein mildes Klima, wo sich viel draußen abspielt, zum Beispiel“, sagt Luhmann, die Valencia während eines Erasmus-Aufenthalts kennen und lieben gelernt hat. An ihrem Job dort schätzt sie, „dass das Apothekenwesen in Spanien weniger bürokratisch ist. So gibt es nur eine Krankenversicherung. Obendrein geht es viel entspannter und gelassener, aber trotzdem sehr professionell zu.“

Portrait der Pharmazeutin und Buchautorin Esther Luhmann aus Berlin.
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Die Pharmazeutin und Buchautorin Esther Luhmann aus Berlin hat Valencia bei einem Erasmus-Aufenthalt kennen und lieben gelernt.

Ihr gefällt, dass es in dieser Apotheke keinen Verkaufsdruck gibt. Man rät auch einmal von etwas ab, das schafft Vertrauen. „Ich bin schließlich nicht Apothekerin geworden, um an den Verkaufszahlen gemessen zu werden.“

Valenciano – eine eigene Sprache

Ihre Spanischkenntnisse sitzen, an ihrem Valenciano arbeitet sie gerade. „Es handelt sich wie bei Katalanisch um eine eigene Sprache.“ Der Stadtteil Cabanyal hat nämlich trotz der Touristen und Touristinnen und Zugezogenen aus anderen Ecken Spaniens etwas von seinem alten dörflichen Charakter bewahrt. Und gerade die Älteren, die ja verstärkt eine Apotheke brauchen, sprechen öfter Valenciano. Statt „muy bien“ (sehr gut) heißt es dann eben „molt bé“.

Speziell an diese Kundschaft richtet sich auch das orthopädische Angebot von Rollstühlen über Duscheinsätze bis zu Toilettenaufsätzen und Gehstöcken.

Drei Stunden Siesta

Außerdem schwört diese Klientel ganz besonders auf die Siesta. Das merkt man auch an den Öffnungszeiten der kleinen Apotheken. Ab 13:30 Uhr wird in der Apotheke Segovia Garay der weiße Rollbalken für drei bzw. dreieinhalb Stunden geschlossen. Wer kann, das heißt, in der Nähe der Apotheke wohnt, hält zu Hause eine ausgiebige Siesta. Danach geht es munter weiter – bis 20 Uhr.

Innenansicht der Apotheke Segovia Garay in Valencia
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Innenansicht der Apotheke Segovia Garay in Valencia
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„Pillenparadies“

Typisch für die spanische Mentalität ist auch die überaus pragmatische Einstellung zur Medikamenteneinnahme. „Die Bereitschaft, Arzneimittel zu schlucken, ist sehr groß, viel größer, als das Leben zu ändern. Was von der Pharmaindustrie leider massiv befördert wird“, sagt Luhmann und verweist speziell auf die Abnehmspritze. Alternativ- und Kräutermedizin werden demgegenüber in spanischen Apotheken kaum nachgefragt und werden zudem hauptsächlich in Reformhäusern angeboten.
Die Rezepte stellen die in Gesundheitszentren tätigen Ärzte und Ärztinnen aus. Allerdings werden Kranke in Spanien mangels freier Arztwahl zugeordnet.

Was an der Tara für ein verschreibungspflichtiges Medikament kassiert wird, hängt vom Einkommen ab und ist auf der Versicherungskarte digital notiert. Der Anteil liegt zwischen 0 und 50% der Arzneimittelkosten, das aber nur bis zu einem monatlichen Limit.

Was für die Berlinerin ebenfalls neu war: „Die Packungen fallen hier kleiner aus.“ Selbst bei einem 3-Monats-Rezept für ein Blutdruckmittel wird in spanischen Apotheken nur eine Monatsdosis abgegeben. Die nächste Packung schaltet das System frühestens vier Wochen später frei.

Im Kampf gegen Lieferengpässe wissen die Apotheken „Farmahelp“, ein preisgekröntes digitales Tool gegen Arzneimittelmangel, zu schätzen. Die Apotheken können nach verlangten Arzneimitteln, die sie selbst gerade nicht lagernd haben, einfach bei anderen Apotheken in der Umgebung anfragen.

Preisgestaltung und Generika in Spanien

Prinzipiell kosten Originalmedikamente und Generika in Spanien in etwa gleich viel. Dahinter steckt eine gesetzlich geregelte Preisbildung. Generika abzugeben ist dennoch im Interesse der Apotheken: Denn bedingt durch entsprechende Einkaufskonditionen schaut dabei eine höhere Marge heraus. Die vergleichsweise günstigeren Medikamentenpreise, die nicht nur auf das Konto der auf 4% reduzierten Mehrwertsteuer gehen, treiben auch einige Landsleute von Luhmann in die spanischen Apotheken.

Altmedikamentenbox

Den Reisenden aus dem Ausland fällt darin auch die Altmedikamentenbox auf, die in allen spanischen Apotheken gleich aussieht. „Da kommen Verpackungen genauso hinein wie abgelaufene Tabletten. Die Apotheken haben damit nichts mehr zu tun. Regelmäßig wird die Box vom Großhandel entleert, der Inhalt abgeholt und dann getrennt. Arzneimittel werden verbrannt und unschädlich gemacht und Wiederverwertbares recycled“, erzählt Luhmann. „Das ist ein Positivbeispiel zum Thema Nachhaltigkeit.“
Es gäbe freilich noch Luft nach oben. Luhmann weiß, wovon sie spricht, sie hat über das Thema Nachhaltigkeit im Apothekenwesen schon ein Buch herausgegeben: „Die nachhaltige Apotheke“ (2022, Deutscher Apothekerverlag, ISBN 978-3-7692-7809-5).

Meldestelle für aggressive Kunden

Ein dringlicheres Problem ist derzeit für die Apotheken etwas anderes, nämlich Kunden und Kundinnen mit Aggressionen körperlicher und verbaler Natur. Die Beschäftigten sind daher froh über eine eigens dafür eingerichtete digitale Melde- und Beobachtungsstelle.

Spanische Apotheken in Zahlen

In Spanien gibt es 22.000 Apotheken für eine Bevölkerung von 47 Millionen. Mit 47 Apotheken pro 100.000 Einwohnern – im EU-Schnitt sind es 32 – belegt das Land hinter Griechenland und Zypern den dritten Platz bei der Apothekendichte.

Die kommunalen Apotheken in Spanien befinden sich durchwegs im Privatbesitz. Ketten sind ebenso verboten wie der Besitz mehrerer Apotheken, lediglich Zusammenschlüsse gibt es. Ärztliche Hausapotheken sind nicht erlaubt.

Eine weitere Besonderheit: Man kann Pharmazie als Einfachstudium oder als Doppelstudium kombiniert mit Ernährungslehre, Augenoptik oder Orthopädie studieren.

Der Antibiotikaverbrauch ist in Spanien überdurchschnittlich hoch, mehr als doppelt so hoch wie in Österreich, wird aber gerade stark kontrolliert und eingedämmt. Auch Antidepressiva und angstlösende Beruhigungsmittel werden besonders von Frauen wesentlich öfter verlangt als in den meisten anderen Ländern.

2021 hat Spanien erstmals die Zahl von einer Milliarde Verschreibungen geknackt, 21 Rezepte pro Person. Dies spiegelt die alternde Gesellschaft Spaniens, aber auch deren Mentalität wider.