Aufregende Zeiten für die britische Apotheke
Der Stadtstrand und 2 prächtige Parkanlagen liegen in nächster Nähe. Und dank Golfstrom fällt das Klima milder als im restlichen England aus. Es gibt fürwahr reizlosere Plätzchen als die Adresse der Morrab-Apotheke in Penzance, Cornwall. Immerhin war das 20.000-Einwohner-Städtchen schon mehrmals Drehort für einen Rosamunde-Pilcher-Film.
Der Stadtstrand und 2 prächtige Parkanlagen liegen in nächster Nähe. Und dank Golfstrom fällt das Klima milder als im restlichen England aus. Es gibt fürwahr reizlosere Plätzchen als die Adresse der Morrab-Apotheke in Penzance, Cornwall. Immerhin war das 20.000-Einwohner-Städtchen schon mehrmals Drehort für einen Rosamunde-Pilcher-Film.
Bereits seit 100 Jahren befindet sich in dem Haus in der beschaulichen Morrab Street eine Gruppenordination, seit etlichen Jahren wird ein Teil der Räumlichkeiten an eine Apotheke vermietet – eine Win-win-Situation. Die Apotheke gehört zur Hälfte dem leitenden Pharmazeuten Anwar Mohammed, zur anderen Hälfte einem Krankenhausapotheker, der regelmäßig aushilft. Mit ihm besteht das Team aus 7 Mitarbeitenden, darunter 2 Pharmazeuten.
„Ich stamme ursprünglich aus Äthiopien und bin vor 12 Jahren zum Pharmaziestudium nach Burmingham gekommen“, erzählt Mohammed, 38, über seinen Werdegang.
Es folgte eine 7-jährige Anstellung bei der Pharmakette Boots und ein Jahr als selbstständiger Apothekenspringer („Locum-Pharmacist“). „Wöchentlich habe ich in bis zu 4 Apotheken ausgeholfen, in einem Umkreis von 60 bis 70 Meilen.“ Dann war die Zeit reif für die eigene Apotheke am Wohnort.
Wolken im Paradies
Mit welchen Herausforderungen hat es eine Apotheke in einer englischen Kleinstadt wie Penzance zu tun? Tourismus und Rosamunde-Pilcher-Kulisse hin oder her: „Wir spüren den Druck auf das Gesundheitssystem durch eine alternde Bevölkerung. So bekommen die Menschen schwer einen Arzttermin. Wir bieten kostenlose Medikamentenzustellung für diejenigen an, die nicht mobil sind. Aber die Nachfrage wächst und wächst.“
Der Bedarf an Medizin mag hoch sein, was prinzipiell eine gute Basis für eine Apotheke ist. Aber gerade Kleinstädte kämpfen auch mit der Abwanderung der Jüngeren. Die nötigen Arbeitskräfte sind daher nicht nur für Apotheken schwer zu finden. Hinzu kommt: Teile von Penzance zählen zu den sozioökonomisch benachteiligten Regionen.
Damit im Zusammenhang steht Adipositas, DAS britische Gesundheitsthema schlechthin. Mittlerweile betrifft es schon mehr als ein Viertel der über 18-Jährigen, nirgends in Europa sind es mehr. Um Folgeerkrankungen vorzubeugen, würde der Apotheker die Abnehmspritze gerne ohne Ordinationstermin anbieten. Über 700 Apotheken, die auf Gewichtsmanagement spezialisiert sind, tun dies bereits. Die ärztliche Bewilligung für die Abnehmspritze läuft in diesen Fällen über ein Online-Tool.
Immerhin darf die Morrab-Apotheke die Anti-Baby-Pille seit Dezember ohne Verschreibung abgegeben, wie 5.000 andere Apotheken auch.
Frohbotschaft: „Pharmacy first“ bei 7 Krankheitsbildern
Eine weitere für die Bevölkerung und die Apotheken interessante Neuerung hat der Nationale Gesundheitsdienst (NHS) im Februar bekannt gegeben: Unter dem Schlagwort „Pharmacy first“ (Apotheke zuerst) ist nunmehr bei 7 definierten Krankheitsbildern die Apotheke die empfohlene Anlaufstelle – inklusive Antibiotikaverschreibung. Es sind dies: Nebenhöhlenentzündung, Hals- und Ohrenschmerzen, infizierte Insektenstiche, Gürtelrose, Hautausschlag sowie Harnwegsinfekte bei Frauen unter 65 Jahren. Die durch stetig fallende Margen gebeutelten Apotheken werden dadurch wieder wichtiger. Ausschlaggebend für diesen Vorstoß war freilich der immense Ärztemangel in Großbritannien, der jenen an pharmazeutischen Kräften noch weit übertrifft. Obendrein gibt es schon jahrelange gute Erfahrungen mit „Pharmacy first“ in Nordirland, Schottland und Wales.
Die einzelne teilnehmende Apotheke bekommt für das Service vom NHS 2.000
Pfund (2.370 Euro) Pro Beratungsgespräch können 15 Pfund (18 Euro) verrechnet werden, ab einer bestimmten Mindestanzahl zahlt das NHS 1.000 Pfund (1.185 Euro) monatlich. Die Rezeptgebühr liegt bei 9,90 Pfund. (11,70 Euro)
Künftig wird der kleine, holzvertäfelte Besprechungsraum, wo auch das Interview mit medonline-Mitarbeiterin Andrea Krieger stattfindet, immer häufiger Verwendung finden.
Unabhängig davon bietet Mohammed Dienstleistungen an, für die er selbst den Preis für die Kundinnen und Kunden festsetzen kann. 40 Pfund veranschlagt die Apotheke etwa für das Entfernen von Ohrenschmalzpropfen, 75 Pfund sind es im Falle der Gelbfieberimpfung für den Urlaub nach Mittel- und Südamerika bzw. Äquatorialafrika.
Kleine Apotheke bietet Flexibilität
Es tut sich also etwas in der Morrab-Apotheke, die durch die Praxis im gleichen Haus natürlich besonders viele Rezepte einlöst. Generell ist der britische Apothekenmarkt derzeit stark in Bewegung. Boots, das in Großbritannien und Irland Apotheken genauso wie Gesundheits- und Schönheitsshops in den besten Lagen betreibt, soll bis Ende 2024 nur mehr 1.900 statt 2.200 Filialen führen. Jene Boots-Filiale, in der Mohammed dereinst angestellt war, hat bereits ein Jahr nach seinem Weggang zugesperrt. Und auch andere große Apothekenketten reduzieren ihr Filalnetz. Die kleinen unabhängigen Apotheken gewinnen damit wieder an Bedeutung. „Wir kleinen Apotheken sind flexibler, wenn es darum geht, was wir auf Lager nehmen. Weil die Entscheidungen schnell fallen und nicht von mehreren Instanzen abgenickt werden müssen“, so der Pharmazeut. Immer wieder würden Kundinnen und Kunden kommen, weil die Ketten sie wegen eines bestimmten Medikaments weiterverwiesen haben. „Wenn wir das Mittel dann auch nicht haben, dann bestellen wir es eben.“
Vorausgesetzt das Medikament ist nicht vergriffen, was derzeit häufiger passiert. Der Brexit dürfte die Lage zusätzlich verschärfen. „Weil mehr Formalitäten zu erledigen sind, brauchen Lieferungen nach Großbritannien eben länger als in die EU“, sagt Mohammed. Und führt die medonline-Mitarbeiterin zum Abschluss noch durch seine kleine Apotheke. Ein raumforderndes Gerät zur Bewertung des Services fällt auf. Aber schließlich wird die sprichwörtliche Freundlichkeit im Vereinigten Königreich größer geschrieben als anderswo.