Der Mensch ist Teil der Umwelt

Das globale Ökosystem ist bereits so krank, dass es sich nicht mehr regenerieren kann. Um es zu heilen, müssen wir in allen Systemen umdenken.

Menschliche Hand hält junge Pflanze mit Erde auf Naturhintergrund, Ökologie, Investition, CSR, New Life-Konzept
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Das globale Ökosystem ist die Lebensgrundlage der Menschen: Ihm entnehmen wir alles, was wir zum Leben brauchen, und in ihm lagern wir ab, was wir nicht mehr brauchen; weder als Quelle noch als Senke dürfen wir es überfordern. Zugleich sind wir auch Teil dieses Systems. Wir werden von ihm geprägt und wir prägen es in zunehmendem Maße. Wenn dieses Ökosystem krank ist, kann auch der Mensch nicht gesund sein. Auch die Gesellschaft ist krank, denn nur eine kranke Gesellschaft wird ihre eigenen Lebensgrundlagen krank machen oder gar vernichten.

Dass das globale Ökosystem krank ist, erkennt man daran, dass es in mehreren Bereichen nicht mehr in der Lage ist, die menschlichen Eingriffe zu kompensieren und sich zu regenerieren: Der Artenverlust überschreitet eindeutig die Resilienz des Systems, die freie Natur wird an den Rand gedrängt. Der Mensch und seine Nutztiere machen derzeit bereits mehr als 96% der Biomasse aller an Land lebender Wirbeltiere aus. Freilebende Wirbeltiere (vom Elefanten bis zur Eidechse) machen weniger als 4% aus. Die Eingriffe in den Stickstoff- und den Phosphorhaushalt haben diese bereits aus dem Gleichgewicht gebracht. Die Versauerung der Ozeane nähert sich der Grenze des Kompensierbaren.

Druck auf das Ökosystem ist zu hoch

Hinter den Grenzüberschreitungen stehen ein Wirtschafts- und ein Geldsystem, die Wachstum brauchen, um stabil zu sein, und daher dazu drängen, die natürlichen Ressourcen, die Lebensgrundlagen der Menschheit, bedenkenlos auszuschöpfen. In seltenen Fällen gelingt eine Umkehr: Die Zerstörung der Ozonschicht konnte auf ein naturverträgliches Maß zurückgeführt werden. Dies ist allerdings bei biologischen Systemen, wenn ein Kipppunkt überschritten ist, nicht möglich – ausgestorbene Arten stellen sich nicht wieder ein, auch wenn ihr Habitat wieder ersteht.

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Goldgruber

em. o. Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. Helga Kromp-Kolb, Universität für Bodenkultur, Wien

Eine einfache Regel besagt, dass der Druck auf das Ökosystem proportional zur Zahl der Menschen steigt, multipliziert mit ihrem Lebensstil und der Technologie, die sie einsetzen, um diesen Lebensstil zu ermöglichen. Eine Wachstumspolitik, die am Ende des Zweiten Weltkrieges vertretbar erschien, ist es nun schon lange nicht mehr. Die Weltbevölkerung hat sich seit 1970 verdoppelt. Was der Gemeinschaft gehört (Allmende) wird als Quelle und Senke über-nutzt (Luft, Wasser, Meere, Fläche, ...), weil Profit als Orientierungsmaß herangezogen wird und daher der Effizienz weit mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird als der Resilienz.

Derzeit finden weltweit mehr als 2.500 Konflikte um fossile Brennstoffe, Wasser, Nahrung und Land statt. Religion oder Ideologien sind meist nur vorgeschobene Gründe.

Die Erde als Patientin betrachtet

Wäre die Erde ein Mensch, eine Patientin oder ein Patient, wäre der Befund klar: Steigende Temperatur, die sich gefährlich der Grenze von +1,5°C gegenüber vorindustriellem Niveau nähert, damit einhergehend Hitze, Dürre, Überschwemmungen, steigender Meeresspiegel und vieles mehr. Auch die Diagnose gilt als gesichert: Überhöhte und weiter steigende Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre, die das Strahlungsgleichgewicht des Planeten Erde gestört haben und zunehmend stören. Werden weiterhin durch industrielles und landwirtschaftliches Tun Treibhausgase in die Atmosphäre eingebracht, in Mengen, die die Aufnahmekapazität von Ozeanen, Böden und Pflanzen übersteigen, so ergibt sich eine düstere Prognose: Die Situation wird sich verschärfen, immer mehr Menschen werden existentiell betroffen sein und im schlimmsten Fall es kann zum Zusammenbruch der Zivilisation kommen.

Akutversorgung bedeutet im Fall des Klimas Anpassung zum Schutz vor den bereits eingetretenen und den nicht mehr vermeidbaren Änderungen und Extremereignissen. Hier sind vor allem die Gemeinden gefragt, da sie vor Ort Wesentliches zum Hitzeschutz und zum Hochwasserschutz beitragen können. In Jahren mit ausgeprägten Hitzeperioden sterben in Österreich mehr Menschen an der Hitze als im Straßenverkehr. Verschattung und ein vernünftige Lüftungsverfahren können im einzelnen Gebäude helfen. Hitzeschutzmaßnahmen mit grüner und blauer Infrastruktur (Schwammstraßen mit Bäumen, Parks, Teichen, Bächen) können Ortschaften, insbesondere Ortskerne, zugleich attraktiver gemacht werden.

Die Therapie liegt auf der Hand, aber die Medizin erscheint zunächst bitter: Emissionen drastisch und sehr schnell reduzieren – global auf 50% bis 2030 und auf Netto-Null bis 2050. Für Industrienationen gilt ein früheres Datum, um Entwicklungsländern mehr Spielraum zu schaffen, jene Infrastruktur auszubauen, die allen Menschen Zugang zu sauberem Wasser und zu Strom sicherstellen. In der Praxis bedeutet diese Reduktion das Auskommen mit etwa halb so viel Energie wie bisher. Das hat Folgen auch für die Verfügbarkeit anderer Ressourcen, da viele Metalle, seltene Erden, aber auch Lithium und Düngemittel mit hohem Energieaufwand gewonnen werden. Auch der medizinische Bereich wird betroffen sein, denn in Österreich gehen z.B. 7% der Treibhausgasemissionen auf den Gesundheitssektor zurück; davon ist etwa ein Drittel den Spitälern zuzurechnen und etwa ein Fünftel den Medikamenten, die überwiegend im Einzelhandel abgegeben werden.

Heilung erfordert aber mehr als CO2-Reduktion und Anpassungsmaßnahmen. Angela Merkel sprach anlässlich der Hochwasserkatastrophe im Ahrtal 2021 von einer „Volltransformation unserer Art des Wirtschaftens“. Das bedeutet auch ein Umdenken, ein Neudenken unseres Verhältnisses zur Natur, aber auch zur Gemeinschaft. Nach einer Phase der Individualisierung, in der es hieß, dass es allen am besten gehe, wenn jeder das Leben oder die Situation für sich selbst optimiere, muss nun die Bedachtnahme auf das Gemeinsame und unsere Lebensgrundlagen in den Vordergrund rücken. Von der Volltransformation sind alle Systeme betroffen: das Energiesystem, die Industrie, die Mobilität, die Landwirtschaft, das Bildungs-, das Wirtschafts- und das Finanzsystem und natürlich auch das Gesundheitssystem.

Umdenken in allen Systemen

Das Gesundheitssystem darf nicht mehr von anhaltenden, langen Krankheiten profitieren, sondern sein Erfolg muss daran gemessen werden, ob Menschen gesund werden und bleiben. Das bedeutet, dass finanzieller Gewinn nicht der einzige Maßstab sein kann. Zu Fuß gehen, Rad fahren und die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel machen die Städte und Siedlungen sauberer, leiser und sicherer und uns selbst fitter und gesünder. Kinder müssen nicht mehr zur Schule und zu Freizeitaktivitäten chauffiert werden. Die Menschen kennen einander wieder, weil sie einander unterwegs begegnen und reden. Geld und Zeit kann gespart werden, weil das Auto nicht besessen wird, sondern ausgeborgt: Die Gemeinde stellt E-Fahrzeuge gegen geringes Entgelt zur Verfügung und kümmert sich um Pickerl, Reifenwechsel, Kratzer und Blechschaden. Sie kann sich das leisten, weil das Geld, das bisher für Energie ins Ausland geflossen ist, dank Windkraft-, PV- und thermischer Solaranlagen im Ort bleibt. Öffentliche „Bibliotheken“ für Werkzeuge, Tauschgeschäfte und Leihläden helfen Geld und Ressourcen sparen. Die Werkzeuge und die Kleidung sind haltbar und können repariert bzw. geflickt werden. Die Jobs sind attraktiver, weil man auf die Produkte, die hergestellt werden, wieder stolz sein kann. Die bessere Qualität kann man sich leisten, weil weniger gebraucht wird. Lokales, saisonales und biologisches Gemüse und Obst, weniger Fleisch und Milchprodukte dominieren die neue Diät. Es werden keine Pestizidrückstände, unerwünschte Hormone oder Antibiotika mehr mit der Nahrung aufgenommen. Die Aufzählung lässt sich fortsetzen, und die Vision ist ausbaufähig.

Lebensqualität hängt erfreulicherweise nicht von materiellen Gütern ab – sieht man von Menschen in Armut ab. In der Familie und im Freundeskreis eingebettet sein, über eigene Zeit bestimmen, intakte Natur, Kultur und Bildung genießen – das alles erfordert wenig Ressourcen. Intrinsische Werte wie Kooperation, Empathie, Selbstwertgefühl machen nachweislich glücklicher – statt extrinsischer wie Konkurrenz, Prestige, Macht und Geld. Ein nachhaltiger Lebensstil erfordert Gewohnheitsänderungen und der Lebensstandard in den Industrienationen wird sinken, aber was gewonnen wird, ist so viel mehr als aufgegeben werden muss.

Der Weg in eine bessere Gesellschaft

Im Sinne der Agenda 2030 der UNO und den nachhaltigen Entwicklungszielen geht es um ein „gutes Leben für alle“ unter Einhaltung der ökologischen Grenzen. Dabei darf nicht übersehen werden, dass die Agenda auch besagt: „Wir sind entschlossen, friedliche, gerechte und inklusive Gesellschaften zu fördern, die frei von Furcht und Gewalt sind. Ohne Frieden kann es keine nachhaltige Entwicklung geben und ohne nachhaltige Entwicklung keinen Frieden.“ Konflikt zerstört nicht nur Infrastruktur, Menschenleben, Familien, Kultur und Natur, er zerstört vor allem Vertrauen. Ohne Vertrauen kann aber keine globale Politik, wie z.B. Klimapolitik, betrieben werden. Die weltweit über 2.500 Konflikte müssen beigelegt werden, einschließlich jener, auf denen in Europa derzeit das Hauptaugenmerk liegt. Dass man sich nicht für Frieden einsetzen darf, ohne dass unterstellt wird, dass man Position in den Konflikten bezieht oder Gewalt entschuldigt, ist ein weiteres Zeichen einer heilungsbedürftigen Gesellschaft. 

Soll Heilung gelingen, sollten wir uns 3 Fragen stellen und gemeinsam in Diskussionen und Aushandlungsprozessen beantworten:

  • Was ist uns wirklich wichtig, was wollen wir jedenfalls beibehalten?
  • Was müssen wir loslassen, damit das gute Leben für alle innerhalb der ökologischen Grenzen ermöglicht wird?
  • Was können wir wiederherstellen, das früher schon hilfreich war? Was können wir von anderen Kulturen übernehmen?

Wenn wir solcherart eine gemeinsame, attraktive Vision für 2040 oder 2050 entwickelt haben, dann finden wir auch Wege, dorthin zu gelangen. Es sind alle aufgefordert, von einer besseren Gesellschaft im ökologischen Rahmen des Planeten zu träumen und an der Realisierung ihres Traumes mitzuwirken.