Pregabalin: „Ein Verzicht bei Schmerzpatienten wäre fatal“
Pregabalin ist in der Palliativ- und Schmerzmedizin ein unverzichtbares Arzneimittel. Die Palliativgesellschaft weist die Hetze gegen das Medikament schärfstens zurück.
Take Home Messages
- Pregabalin wurde ursprünglich als Antiepileptikum zugelassen, zählt nach Indikationserweiterungen heute aber in der Therapie neuropathischer Schmerzen zu den wichtigsten und am häufigsten verordneten Medikamenten in Österreich.
- Ein Verzicht auf Pregabalin aufgrund eines einzelnen Fallberichts aus der Drogenszene wäre nicht im Sinne der Patientinnen und Patienten.
Laut einem Mitte März 2024 erschienenen Bericht der „Sunday Times“ seien 3.400 Menschen gestorben, nachdem sie das Arzneimittel Pregabalin eingenommen hatten. Dieser Anstieg der Todesfälle wird dabei mit der Opioidkrise in den USA verglichen. OA Dr. Dietmar Weixler, MSc, Präsident der Österreichischen Palliativgesellschaft (OPG), weist das darauf folgende „Bashing gegen ein in der Palliativ- und Schmerzmedizin unverzichtbares Medikament“ schärfstens zurück.
Pregabalin, ein Arzneimittel aus der Gruppe der Antikonvulsiva, das ursprünglich als Antiepileptikum zugelassen wurde, wurde schon bald in Kombination mit anderen Medikamenten als Mittel zur Behandlung des neuropathischen Schmerzes verwendet. Dabei gilt natürlich „start low, go slow, vor allem bei älteren Menschen!“, betont Prim. Univ.-Prof. Dr. Rudolf Likar, MSc, Generalsekretär der Österreichischen Schmerzgesellschaft (ÖSG).
Im weiteren Verlauf habe sich die Substanz auch in der Anästhesie, wo es aufgrund seiner angstlösenden und schmerzlindernden Wirkung als Prämedikation vor Operationen gegeben wird, und in der Palliativmedizin etabliert. „Sei es bei neuropathischen Schmerzen, verbunden mit einer Schlafstörung, bei generalisierter Angststörung, bei Juckreiz, bei Nierenversagen oder auch bei Schluckauf-Formen – dadurch, dass Pregabalin generalisiert auf die Nervenleitung wirkt, ist es wirklich ein vielseitig einsetzbares Mittel, mit dem wir sehr gute Erfahrungen haben“, führt Weixler aus.
Wechselwirkungen möglich wie bei jedem Medikament
Natürlich sind Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten, die gemeinsam eingenommen werden, möglich. Weixler nennt hier etwa Antidepressiva, Schlaf- und Beruhigungsmittel, aber auch Opioide, vor allem Methadon, das auch in der Substitutionsbehandlung eingesetzt wird. „Der Artikel in der Sunday Times handelt vom tragischen Tod eines jungen Mannes aus dem Suchtmilieu. Auch der in der Zeitung zitierte wissenschaftliche Artikel von Kalk et al. aus 2022 ist aus dem Bereich der forensischen Medizin und kann ohne detaillierte Interpretation heftig verunsichern. Die von uns bereits 2015 kritisierte Methodik, anhand von Blutspiegelmessungen an einem nicht repräsentativen Kollektiv von Leichen auf die Todesursache zu schließen, steht in krassem Konflikt mit der klinischen Praxis einer sorgfältigen Therapieplanung und -kontrolle in der Palliativ- und Schmerzmedizin“, betont der OPG-Präsident. So sei bei diesen Untersuchungen nicht hinterfragt worden, welche Grunderkrankungen die Verstorbenen hatten und welche Substanzen sie vielleicht noch eingenommen haben, die ursächlich oder beteiligt gewesen sein könnten.
Bedacht werden müsse auch, dass die Zahl der Verschreibungen deutlich gestiegen ist. „So kann es dann natürlich auch passieren, dass das Medikament in Kreise kommt, für die es nicht gedacht ist – ähnlich wie die Opioide in den USA“, klärt Weixler auf.
Risiko geht unter ärztlicher Aufsicht gegen null!
Wie immer, wenn man Arzneimittel aus mehreren Substanzgruppen verordnet, müsse genau darauf geachtet werden, ob sie zusammenpassen, so Weixler. „Aber unter kontrollierter, medizinisch indizierter Anwendung würde ich sagen, dass das Risiko, unter Pregabalin zu sterben, gegen null geht! Schließlich wird das Medikament ja nicht einfach aufgeschrieben, ohne den weiteren Verlauf zu beachten. Wir steigern die Dosis stufenweise, bis die gewünschte Wirkung eintritt und auch die weiterverordnenden Ärztinnen und Ärzte, die dann vielleicht noch ein neues Medikament dazuverschreiben, überwachen die Patientinnen und Patienten für die Dauer der Einnahme.“
Ein Verzicht auf Pregabalin aufgrund eines einzelnen Fallberichts aus der Drogenszene wäre nicht im Sinne der Patientinnen und Patienten, auch nicht von jenen Menschen, die von Abhängigkeitserkrankungen betroffen sind. „Es wäre fatal und völliger Unsinn, wenn Ärztinnen und Ärzten Abhängigkeitskranken , die unter einer Krebserkrankung leiden, kein Pregabalin mehr verschreiben. Die Abgabe muss eben unter sehr kontrollierten Bedingungen erfolgen und möglicherweise muss auch eine Rücksprache mit Expertinnen und Experten für Substitutionsbehandlung oder Psychiatrie gehalten werden. Aber man kann doch jungen Menschen, die unter sehr starken Schmerzen leiden, dieses Medikament nicht aufgrund einer mangelhaften Studie und eines reißerischen Artikels vorenthalten!“, argumentiert Weixler. „Im Gegenteil, das Medikament ist im Rahmen einer medizinisch indizierten und kontrollierten Anwendung essenzieller Bestandteil im Instrumentarium einer wirksamen Palliativ- und Schmerzmedizin.“
Nierenfunktion im Auge behalten
Weixler betont auch, dass seine Erfahrungen mit Pregabalin in der klinischen Praxis sehr gut seien. Er beschreibt das Medikament als sicher. Aufpassen müsse man jedoch, wenn sich die Nierenfunktion verschlechtert – dann müsse die Dosis angepasst werden, erklärt er. „Dass sich diese Werte verändert haben, merken wir manchmal erst nach 2 Wochen oder sogar noch später. Aber selbst da gibt es keine großen Dramen!“, beschwichtigt Weixler.
Für die niedergelassene Praxis rät er, bei Patientinnen und Patienten unter Pregabalinbehandlung besonderes Augenmerk darauf zu legen, ob sich Werte – also besonders die Nierenfunktion – verändern. Auch auf den Lebensstil der betroffenen Personen muss geachtet werden: „Ob zum Beispiel ein Alkoholmissbrauch besteht, wissen Praktikerinnen und Praktiker öfter als jemand aus der Klinik“, führt Weixler als Beispiel an. „Und natürlich muss man, wenn weitere Medikamente dazugegeben werden, auf die Wechselwirkungen achten und die Patientinnen und Patienten engmaschig kontrollieren. Aber ein Absetzen der Substanz, nur weil man den Artikel gelesen hat, ist auf gar keinen Fall ratsam!“, warnt der OPG-Präsident abschließend.
Pregabalin gehört zur Arzneimittelgruppe der Antikonvulsiva und wurde ursprünglich zur Behandlung gegen Epilepsie zugelassen. Später wurde die Indikation auf die generalisierte Angststörung und Nervenschmerzen erweitert. In der Therapie neuropathischer Schmerzen gilt Pregabalin heute als eines der wichtigsten und am häufigsten verordneten Medikamente in Österreich.