Europäische Zusammenarbeit in Medikamentenfragen
BENELUXA – Nicht nur Pharmakonzerne agieren international, auf Länderebene setzt man ebenfalls verstärkt auf Zusammenarbeit. Möglich ist auch ein gemeinsamer Arzneimitteleinkauf. (Pharmaceutical Tribune 17/2017)
Als im Jahr 2014 Sofosbuvir (Sovaldi ®) auf den Markt kam, waren viele Menschen überrascht – weniger von der Tatsache, dass eine sehr wirksame Therapie gegen Hepatitis C auf den Markt gekommen war, sondern mehr davon, was für einen Preis der Hersteller Gilead dafür verlangte. Als „1.000-Dollar-Pille“ sorgte Sovaldi® fortan rund um die Welt für Schlagzeilen. „Den europäischen Gesundheitsministern wurde bewusst, dass Sovaldi® nur die Spitze des Eisberges war und dass viele weitere Produkte aus verschiedenen Therapiegebieten mit gleich hohen oder höheren Preisschildern als Sovaldi® dabei waren auf den Markt zu kommen“, zieht Yannis Natsis von der Europäischen Public Health Alliance Bilanz.1 Daraufhin begannen erste Gespräche zwischen Belgien und den Niederlanden, um ihre Zusammenarbeit in puncto Medikamentenfragen künftig zu verstärken.
2015 unterzeichneten die Gesundheitsminister der beiden Länder schließlich eine Vereinbarung, in der festgehalten wurde, für ausgewählte Produkte in Zukunft gemeinsame Verhandlungen mit der Pharmaindustrie zu führen. Noch im selben Jahr stieg Luxemburg ein, im Juni 2016 schließlich Österreich. „Es handelt sich hier um Länder, die von der Versorgung mit Arzneimitteln her ähnlich sind und die auch in der Arzneimittelpolitik mit ähnlichen Problemen konfrontiert sind“, erzählt Vinzent Rest, MSc, stv. Abteilungsleiter in Angelegenheiten der Pharmaökonomie im Bundesministerium für Gesundheit und Frauen. Alle vier Länder weisen eine ähnliche Sozialversicherungsstruktur auf und sind sich von der Kaufkraftstärke her ähnlich. „Es geht uns auch darum, die Zusammenarbeit zwischen den Ländern zu verstärken“, betont Rest, „weil wir auch sehen, dass die Unternehmen grundsätzlich global ausgerichtet sind und es daher auf staatlicher Seite eine stärkere Zusammenarbeit braucht.“
Vier Bereiche
Die Kooperation ist in vier Bereiche gegliedert, die sich am Life Cycle eines Arzneimittels orientieren:
- Horizon Scanning: Abschätzung – gemeinsam mit den Herstellern –, welche (budgetrelevanten) Produkte in nächster Zeit auf den Markt kommen werden.
- Health Technology Assessment: Gemeinsame Durchführung von HTAs bzw. Nutzung von HTAs, die von anderen Ländern, die ähnliche Voraussetzungen haben wie das eigene Land.
- Pricing and Reimbursement: Gemeinsame Preisverhandlungen für ausgewählte Produkte (v.a. für sehr teure Arzneimittel bzw. für Orphan Drugs).
- Information Sharing and Policy Exchange: Best-Practice-Beispiele in den verschiedensten Bereichen in den einzelnen Ländern lose miteinander teilen und Schaffung neuer Kommunikationskanäle, wenn jemand etwas benötigt.
„Konkret darf man sich das Ganze aber nicht wie einen internationalen Vertrag vorstellen“, erklärt Rest. Die Länder können beispielsweise auswählen, bei welchen Projekten sie dabei sein wollen und wo nicht. Vieles passiert auch auf informeller Ebene aufgrund der verbesserten Kommunikation zwischen den Beamten in den vier Ministerien bzw. bei den vier Erstattungsträgern. „Derzeit wird im Rahmen der Kooperation vor allem im Bereich des Horizon Scanning gearbeitet und wir sind gerade dabei, eine europäische Datenbank dafür zu erstellen“, so Rest. Beim Horizon Scanning geht es darum, schon vor Zulassung (drei Monate bis zwei Jahre) – in Abgleichung mit den Datenbanken der EMA und der Herstellerfirmen – zu sehen, welche Produkte auf den Markt kommen werden, und herauszufiltern, ob ein Produkt eine hohe Budgetwirksamkeit haben wird, da es entweder für eine große Patientenpopulation in Frage kommt oder aus anderen Gründen eine große Nachfrage gegeben sein wird, wie das z.B. bei Sovaldi® der Fall war.
„Horizon Scanning soll vorab systematisch aufbereiten, was auf die Erstattungssysteme zukommt“, so Rest, „im Idealfall können anschließend auch die Budgetplanungen danach ausgerichtet werden.“ Während dieses Vorgehen in Österreich noch relatives Neuland ist, ist man in Belgien, den Niederlanden oder UK viel stärker danach ausgerichtet. Rest: „Natürlich soll die Kooperation auch Vorteile für die Preisbildung haben.“ So erwartet man sich auch, dass man nicht mehr „nur“ für die 8,7 Millionen Österreicher an den Verhandlungstisch tritt, sondern mit einem Verhandlungsmandat für fast 40 Millionen Menschen aus dem gesamten BeNeLuxA-Raum. Auch andere Länder haben sich zusammengeschlossen und versuchen in Zukunft in puncto Arzneimittelpolitik gemeinsame Wege zu gehen. So unterzeichneten im Mai 2017 Malta, Zypern, Griechenland, Italien, Spanien, Portugal und Irland die „Valetta Declaration“, ein Abkommen, verstärkt kooperieren und gemeinsame Preisverhandlungen mit der Pharmaindustrie führen zu wollen.
Auch die BeNeLuxA-Kooperation ist offen für neue Partner. Medienberichten zufolge soll der französische Gesundheitsminister im Sommer signalisiert haben, dass Frankreich erwägt, sich der Initiative anzuschließen. Ein Handlungsmaxime der Be- NeLuxA-Kooperation ist Transparenz. So wurde vor Kurzem die Homepage gelauncht, die aktuelle Informationen über den aktuellen Stand der Dinge gibt: www.beneluxa.org
Pro Patient und Jahr 170.000 Euro1
Im Mai dieses Jahres brachen Belgien und die Niederlande die Preisverhandlungen mit dem US-Hersteller Vertex zu Orkambi® (Lumacaftor/Ivacaftor), einem Medikament zur Behandlung der cystischen Fibrose, ab. Die Begründung der beiden Regierungen war, dass der zusätzliche Nutzen für die Patienten im Vergleich zur Standardtherapie die überhöhte Preisforderung von Vertex nicht rechtfertigen würde. Der von Vertex geforderte Preis wurde von beiden Ländern als unhaltbar und inakzeptabel bezeichnet. Gemäß dem niederländischen HTA-Gremium wäre das Arzneimittel 82 Prozent weniger wert als vom Hersteller gefordert. Daher entschieden sich die beiden Länder, das Medikament vorerst nicht zu erstatten. Der exakte von Vertex geforderte Preis wurde nicht genannt, aber in einer Mitteilung an das niederländische Parlament erklärte der zuständige Gesundheitsminister, dass die Auswirkungen auf das Budget, um 750 betroffene Patienten in den Niederlanden (500 in Belgien) zu therapieren, zwischen 84 und 125 Millionen Euro betragen hätte (pro Patient und Jahr 170.000 Euro). Die beiden Gesundheitsminister teilten Vertex daher mit, erst mit einem angemessenen Preisangebot wieder an den Verhandlungstisch zurückzukehren.
1 https://epha.org/wp-content/uploads/2017/10/EPHA-Reflection-Paper-Beneluxa-A2M.pdf