22. Juli 2014

EU-weiter Einkauf von Impfstoffen und Arzneien

BRÜSSEL – Auf dem Europäischen Rat vom 20. Juni 2014 unterzeichneten die Gesundheitsminister/ innen von 14 EU-Staaten eine Vereinbarung über die gemeinsame Beschaffung von Impfstoffen und Arzneimitteln. Davon profitieren im Falle von grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren wie Pandemien vor allem kleinere und mittlere Länder.

Die Unterzeichnung der Vereinbarung sei „ein wichtiger Fortschritt für den Schutz der Bürgerinnen und Bürger Europas vor grenzüberschreitenden Gefahren für die Gesundheit, zum Beispiel Infektionskrankheiten“, betont Paola Testori Coggi, Leiterin der Generaldirektion Gesundheit und Verbraucherschutz (GD SANCO) in der EU. Damit werde festgelegt, wie die EU-Staaten Ankäufe von Impfstoffen gegen Pandemien und andere medizinische Gegenmaßnahmen als Gruppe anstatt einzeln organisieren können.

Mehr Sicherheit …

„Alle EU-Länder werden von dieser Regelung profitieren“, fährt die Generaldirektorin fort, doch besonders jene, die beim Ankauf von Impfstoffen gegen den H1N1-Virus – besser bekannt als „Schweinegrippe“ – Probleme gehabt haben. Diese 2009 ausgebrochene Epidemie war der eigentliche Hintergrund für die jetzige Vereinbarung (siehe auch Kasten), mit der ab sofort die Mitgliedstaaten gewährleisten können, dass Impfstoffe und Arzneimittel „in ausreichender Menge und zu fairen Preisen“ im Fall des Falles bereitstehen.

Die Regelung betrifft aber nicht nur Impfstoffe, sondern auch den Ankauf von medizinischen Gegenmaßnahmen bei anderen Infektionskrankheiten, wie z.B. HIV/Aids, Hepatitis B, HPV (Humanes Papilloma- Virus), Botulismus, Milzbrand oder Polio. Das Unterzeichnen der Vereinbarung ist freiwillig. Die EU-Kommission hatte zwar das „Joint Procurement Agreement“ bereits am 10. April 2014 genehmigt, aber gleichzeitig festgelegt, dass es erst dann in Kraft tritt, wenn es von zumindest einem Drittel der 28 Mitgliedstaaten, also wenigstens zehn Ländern, unterzeichnet wird. Das ist nun per 20. Juni geschehen, 14 Länder haben schon unterschrieben, neun weitere kündigten an, es noch zu tun.

Die 14 Unterzeichner sind laut der Branchenplattform apotheke adhoc Belgien, Estland, Griechenland, Großbritannien, Kroatien, Lettland, Luxemburg, Holland, Portugal, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien und Zypern. Durch „die kritische Masse der Unterzeichner“ könne nun entsprechend gehandelt werden, falls eine grenzüberschreitende Epidemie ausbreche, freut sich GD SANCOLeiterin Testori Coggi.

… bei Ernstfällen

Bei der Genehmigung der Vereinbarung am 10. April hatte EU-Gesundheitskommissar Tonio Borg explizit alle Mitgliedstaaten gebeten, die gemeinsame Beschaffungsvereinbarung „so bald wie möglich zu unterzeichnen, damit wir die erste Beschaffung von Pandemie-Impfstoffen durchführen können“. Ähnlich wie nunmehr die Generaldirektorin hob er damals hervor, dass sich damit sowohl kleine als auch große Mitgliedstaaten besser auf künftige Gesundheitsbedrohungen vorbereiten könnten: „Sie werden in der Lage sein, ihre Bürgerinnen und Bürger mit den notwendigen Arzneimitteln zu versorgen, welche sie unter besseren Bedingungen als in der Vergangenheit erhalten können.“

Konkret sieht das Vorgehen in der Praxis folgendermaßen aus: Jedes EU-Land kann auf der Grundlage des „Joint Procurement Agreement“ den anderen EU-Ländern einen Vorschlag zur gemeinsamen Beschaffung medizinischer Gegenmaßnahmen unterbreiten. Zwei Arten von Lenkungsausschüssen leiten diesen Prozess:

  • Der Lenkungsausschuss für die gemeinsame Beschaffungsvereinbarung ist für sämtliche Aspekte hinsichtlich der Vereinbarung selbst zuständig.
  • Der Lenkungsausschuss für spezifische Vergabeverfahren kümmert sich um alle Fragen rund um bestimmte Vergabeverfahren.

Die erste Sitzung des Lenkungsausschusses für die gemeinsame Beschaffungsvereinbarung werde einberufen, so hieß es in einer Aussendung der EU-Kommission, sobald ein Drittel der EU-Mitgliedstaaten das Agreement ratifiziert haben, wobei dieses erst zwei Wochen nach der Unterzeichnung in Kraft trete (= 4. Juli 2014, nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe, Anm. der Red.). Die Unterzeichnung der Vereinbarung selbst sei für die Mitgliedstaaten „nicht mit einer unmittelbaren finanziellen Verpflichtung“ verbunden.

Diese entstehe erst, wenn sie im Anschluss an Vergabeverfahren auf Basis des Agreements Verträge abschließen. Wenige Tage vor der Ratifizierung unterstrich auch SPÖ-Europaabgeordnete Karin Kadenbach, Mitglied im Ausschuss für öffentliche Gesundheit des Europäischen Parlaments, die Kostenvorteile vor allem für kleinere und mittlere Länder. Diese würden von einer Einkaufsgemeinschaft für Arzneimittel bei grenzüberschreitenden Krankheiten profitieren. „Ein gemeinsamer Einkauf schafft Kostenvorteile, bietet aber auch eine bessere Plan- und Verfügbarkeit wichtiger Arzneimittel etwa gegen die Schweinegrippe oder bei HIV-Erkrankungen.“

Wie es zum Agreement kam

Die Forderung nach einem gemeinsamen Einkauf von Impfstoffen und Arzneimitteln kam aus den EU-Mitgliedstaaten: Als 2009 die H1N1-Influenzapandemie (Schweinegrippe) ausbrach, wurden etliche Schwachstellen in den Mechanismen der EU-Länder für die Beschaffung von Impfstoffen und Arzneimitteln festgestellt.
Die Analyse dieser Schwierigkeiten machte deutlich, dass ein gemeinsames Verfahren helfen würde, um den Mitgliedstaaten – auf freiwilliger Basis – die Verbesserung ihrer Kaufkraft und einen gleichberechtigten Zugang zu Impfstoffen und Virostatika zu ermöglichen. Im Herbst 2010 wurden entsprechende Schlussfolgerungen mit Empfehlungen vom Rat der Gesundheitsminister verabschiedet, die den Weg für ein gemeinsames Vorgehen bei der Ausverhandlung von Verträgen mit der Industrie ebneten.
Am 8. März 2011 unterstrich auch das Europäische Parlament die Notwendigkeit einer verstärkten Solidarität zwischen den EU-Ländern durch die Einrichtung eines gemeinsamen Beschaffungsmechanismus bei einer schweren Gesundheitskrise. Schließlich wurde die gemeinsame Beschaffung medizinischer Gegenmaßnahmen mit einem Artikel in den „Beschluss von 2013 zu schwerwiegenden grenzüberschreitenden Gesundheitsbedrohungen“* des Parlaments und des Rates aufgenommen, woraufhin die EU-Kommission das Verfahren zur Vorbereitung des „Joint Procurement“ von medizinischen Gegenmaßnahmen im Falle einer künftigen Pandemie einleitete. Am 10. April 2014 genehmigte die Kommission das Agreement, das kürzlich mit der Ratifizierung durch bisher 14 EUStaaten in Kraft getreten ist.

*http://ec.europa.eu/health/preparedness_response/docs/decision_serious_crossborder_threats_22102013_en.pdf

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