9. Apr. 2014

Notfall Vergiftung: Was tun?

MÜNCHEN – Wenn Sie zu einem erwachsenen Vergiftungsopfer gerufen werden, steckt meist ein Suizidversuch oder Drogenmissbrauch dahinter. Eventuell handelt es sich aber auch um eine Speisenverwechslung oder einen Unfall am Arbeitsplatz. Ein Experte informiert über die Grundregeln der Erstbehandlung.

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Die sekundäre Giftentfernung durch extrakorporale Entgiftung erfolgt nur bei schweren Intoxikationen mit gut wasserlöslichen Substanzen.

Fünf grundsätzliche Überlegungen sind anzustellen, sobald Sie mit einem Vergiftungsnotfall konfrontiert werden – und zwar unabhängig von der vorliegenden Intoxikation:

  • Wie und wohin transportieren Sie den Patienten?
  • Welche Basismaßnahmen sind vor Ort durchzuführen?
  • Müssen Substanzen asserviert werden und wenn ja wie?
  • Gibt es ein Gegengift (Antidot- Therapie)?
  • Erscheint eine primäre Entgiftung (aus dem Magen-Darm- Trakt) oder sekundäre Giftelimination (aus dem Blut) sinnvoll?

Der Transport hat auf jeden Fall die nächstmögliche Klinik mit Intensivstation zum Ziel. Unterwegs gilt es unbedingt zu verhindern, dass der Patient aspiriert, eine Begleitung durch Laien genügt auf keinen Fall. Die Entscheidung, ob ein Rettungsassistent oder ein Notarzt mitfahren muss, richtet sich nach dem Zustand des Patienten. Dazu hat Prof. Dr. Thomas Zilker, Toxikologe i.R., München, einen sechsstufigen Score entwickelt (s. Tabelle).

Auch wache Patienten müssen in die Klinik

Die Basismaßnahmen vor Ort entsprechen den üblichen lebensrettenden Sofortmaßnahmen in der Notfallmedizin. Auch wache Patienten werden in die Klinik gebracht – selbst wenn sie sich sträuben. Bei Somnolenten und Soporösen legen Sie vor Ort eine Verweilkanüle und hängen Ringer- oder Kochsalzlösung an. Komatöse Patienten (ab Stufe 3, s. Tabelle) werden für den Transport intubiert, schreibt Prof. Zilker.

Forciertes Erbrechen schadet nur

Die korrekte Asservierung hat nicht nur für die Diagnostik, sondern auch für forensische Fragen Bedeutung. 10 ml Nativ-Blut, 10 ml EDTA-Blut und 50 ml Urin – ggf. per Katheter gewonnen – gilt es sicherzustellen und bei Kühlschranktemperatur aufzubewahren. Die Probengewinnung kann jedoch auch bei Aufnahme in der Klinik erfolgen. Um keine Verwirrung zu stiften, muss der Erstversorger genau protokollieren, welche Substanzen er selbst dem Patienten noch zugeführt hat. In der modernen Toxikologie hat die primäre Giftentfernung allgemein keinen hohen Stellenwert mehr.

Für forciertes Erbrechen ist kein Nutzen nachgewiesen, dafür jedoch relevantes Schädigungspotenzial. Die Magenspülung senkt laut aktueller Datenlage weder die Mortalität noch die Morbidität von Vergiftungsopfern – zum Vergleich wurde die Gabe von Medizinalkohle oder Ipecac-Sirup (Erbrechen auslösend) herangezogen. Einzig bei Organophosphat-Vergiftungen könnte eine Magenspülung noch wirksam sein, so Prof. Zilker.

Aktivkohle hilft bei kurz zurückliegendem Intox

Ebenfalls wenig hilfreich ist die enterale Entgiftung durch Abführmittel. Eine Ausnahme bildet die orthograde Darmspülung mit Polyethylenglykol bei Intoxikation mit Eisenpräparaten, Carbamazepin oder Retardpräparaten (Quetiapin, Verapamil). Verklumpte Medikamente lassen sich ggf. in der Klinik endoskopisch entfernen, ebenso Metallverbindungen wie Arsenik. Für Medizinalkohle gibt es zwar ebenfalls keine Nutzenbelege durch kontrollierte Studien, dennoch rät Prof. Zilker zur einmaligen Gabe, wenn die Giftaufnahme nicht länger als eine Stunde zurückliegt – jedoch nur bei Patienten mit klarem Bewusstsein und erhaltenen Abwehrreflexen der Atemwege. Keinen Sinn macht die Gabe von Medizinalkohle bei Ingestion von Säuren, Laugen, Alkohol oder Metallen (u.a. Lithium).

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Mit wiederholter Applikation versucht man, Substanzen zu erwischen, die dem enterohepatischen Kreislauf unterliegen. Dazu gehören u.a. Amitriptylin, Digitalis, Disopyramid, Sotalol und NSAR wie Phenylbutazon oder Piroxicam. Auch bei Knollenblätterpilz- oder Herbstzeitlose-Vergiftungen empfiehlt Prof. Zilker die Kohlegabe (30 g Kohle alle vier Stunden über nasogastrale Sonde, bei beeinträchtigtem Bewusstsein erst nach Intubation). Die sekundäre Giftentfernung (aus dem Blut) durch extrakorporale Entgiftung erfolgt nur bei schweren Intoxikationen mit gut wasserlöslichen Substanzen, die ein kleines Verteilungsvolumen haben (keine hohen Gewebespiegel!) und überwiegend renal eliminiert werden. Dies betrifft z.B. Phenobarbital, Lithium, Salicylate, Theophyllin, Valproat und Metformin.

Auch nach Ingestion toxischer Alkohole (Methanol, Ethylenglykol) kann die Blutwäsche lebensrettend sein. Die Harnalkalisierung erfolgt nur noch vereinzelt in bestimmten Situationen, z.B. wenn Salicylate, Herbizide oder Methotrexat forciert ausgeschwemmt werden sollen. Was Antidote angeht, so unterscheidet man supportive (wie Naloxon bei Opiatvergiftung) von lebensrettenden (z.B. der Methämoglobinbildner 4-DMAP bei Zyanidvergiftung). Einige Antidote sind eventuell vor Ort vorhanden, z.B. Atropin (gegen E605), 4-DMAP oder Natriumbicarbonat (trizyklische Antidepressiva, Salicylate). Andere gehören zum normalen Klinikbedarf, etwa Vitamin K (gegen Cumarine, Rattengift) oder Dantrolen (Amphetamine, Designerdrogen).

Schnaps trinken gegen Methanolvergiftung

Als besonderes Antidot erwähnt der Experte Ethanol. Nach der Ingestion von Methanol kann normaler Alkohol – frühzeitig eingesetzt – die „Giftung“ verhindern. Zum Trinken als 40%iger Schnaps (initiale Dosis ca. 1,5 ml/kg KG, laut Dr. Helmut Hentschel, Leiter des Gemeinsamen Giftinformationszentrums GGIZ Erfurt) ist das Antidot ubiquitär verfügbar. Unter therapeutischer Ethanolkonzentration (ca. 1 Promille) wird Methanol innerhalb einiger Tage renal eliminiert.

Thomas Zilker, Dtsch Med Wochenschr 2014; 139: 31–46

Typische Vergiftungsursachen bei Erwachsenen
  • Suizidversuch (Schlafmittel, Schmerzmittel, Psychopharmaka)
  • Drogenmissbrauch
  • natürliche Toxine (Verwechslung von Champignon und Knollenblätterpilz oder von Bärlauch und Herbstzeitlose)
  • Gifttiere, am häufigsten sind Bisse durch die Kreuzotter
  • Unfall im Labor oder in der chemischen Industrie (selten aufgrund der heutigen hohen Sicherheitsstandards)

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune