14. Apr. 2020«Treat first what kills first»

Kinderleben retten mit ABCDE-Schema

Wissen Sie aus dem Stegreif, in welcher Reihenfolge bei einem kritisch kranken Kind vorzugehen ist? Falls nicht, haben wir die wichtigsten Schritte für Sie zusammengefasst. (Medical Tribune 15-16/20)

Eine erste Einschätzung des Gesundheitszustands erlaubt bereits das pädiatrische Diagnose-Dreieck. Beurteilt werden Allgemeinzustand, Atmung und Hautperfusion, wobei jede Beeinträchtigung als Alarmzeichen gilt. Finden sich Fehlfunktionen bei zwei oder drei Kriterien, handelt es sich um eine kritische Erkrankung. Betroffene müssen systematisch untersucht werden, am besten nach dem ABCDE-Schema. Dabei gilt der Leitsatz „Treat first what kills first“.

A wie Airway: Zunächst ist zu beurteilen, ob der obere Atemweg verlegt, offen und sicher oder gefährdet ist. Als Warnhinweise gelten inspiratorischer Stridor, thorakale Einziehungen und paradoxe Atmung. Auch die Bewusstseinslage ist abzuklären (s. Kasten). Kinder mit Werten ≤ 8 nach dem Glasgow Coma Score können ihre oberen Atemwege nicht mehr selbstständig freihalten.

Auf Nasenflügel und Brustkorb achten

Mitunter sorgt schon eine Veränderung der Kopflage in Neutralposition (Säugling) oder Überstreckung (Kleinkind) für eine unbehinderte Luftzufuhr. Funktioniert das nicht, kann der Esmarch-Handgriff helfen. Zur Schienung eignen sich supraglottische Atemwegshilfen wie Guedel- (nur bei Bewusstlosigkeit) und Wendl-Tubus (nicht bei V. a. Schädelbasisfraktur), schreiben Dr. Stefan Winkler vom Universitätsklinikum Dresden und Kollegen.

B wie Breathing: Als Nächstes wird die Atmung beurteilt. Eine Tachypnoe ist typisch für die respiratorische Insuffizienz, die Bradypnoe kann Zeichen einer Hirnschädigung oder Hypothermie sein. Eine vermehrte Atemarbeit hat mitunter interkostale Einziehungen, Nasenflügeln oder eine Nutzung der Atemhilfsmuskulatur zur Folge. Ein fehlendes Atemgeräusch spricht für ein gefährlich reduziertes Zugvolumen (Asthma, Bronchiolitis). Pneumothorax und Pleuraerguss imponieren mit auskultatorischen Seitendifferenzen. Kinder mit respiratorischer Insuffizienz brauchen sofort Sauerstoff, bei Bedarf mit Beutel-Masken-Beatmung. Auch Bronchospastik und Pneumothorax müssen umgehend behandelt werden.

C wie Circulation: Zur Kreislaufkontrolle werden Herzfrequenz, periphere Perfusion, Blutdruck und Puls gemessen. Die Sinustachykardie ist bei Kindern ein sensitiver, aber unspezifischer Marker für eine Kreislaufinsuffizienz. Eine neu aufgetretene Bradykardie gilt als Alarmzeichen für einen drohenden Herz-Kreislauf-Stillstand. Leicht zu erfassen ist die Hautperfusion: Kühle Akren, blasse oder marmorierte Haut und eine Kapillarfüllungszeit ≥ 3 Sekunden sprechen für eine Kreislaufinsuffizienz und ein deutlich erhöhtes Mortalitätsrisiko. Der Blutdruck kann bei Kindern in die Irre führen, denn er bleibt trotz Hypovolämie oder verminderter Ventrikelfunktion lange im Normbereich. Die Stärke des Pulses gibt Auskunft über das kardiale Schlagvolumen.

Intraossärer Zugang bei schlechten Venen

Primäres Therapieziel ist die Wiederherstellung einer adäquaten Perfusion des Gewebes. Bei Zeichen einer Minderdurchblutung ist eine Volumensubstitution mit Boli von 20 ml/kgKG einer balancierten Vollelektrolytlösung angezeigt. Bei schlechten Venen muss dies über einen intraossären Zugang erfolgen.

D wie Disability: Nach der Initialtherapie von Atmung und Kreislauf wird eine kurze neurologische Untersuchung empfohlen. Sie soll rasch interventionsbedürftige Störungen wie Krampfanfall, Meningitis, intrakranielle Blutung und Hirninfarkt aufdecken. Dazu gehört eine Untersuchung von Pupillen (Weite, Seitenvergleich, Lichtreaktion), Muskeltonus und Spontanmotorik (Seitendifferenz). Auch das Vorliegen eines Meningismus ist zu prüfen. Bei Säuglingen weist eine gespannte Fontanelle auf einen erhöhten Hirndruck hin. Bei allen Patienten mit eingeschränkter Bewusstseinslage muss eine Hypoglykämie ausgeschlossen werden. Blutzuckerwerte ≤ 2,2 mmol/l erfordern eine sofortige Gabe von 2 ml/kgKG einer 20%igen Glukose-Lösung. Bei Verdacht auf Hirnhochdruck ist auf eine ausreichende zerebrale Perfusion zu achten.

E wie Exposure: An letzter Stelle erfolgt eine vollständige körperliche Untersuchung, am besten in einer festen Reihenfolge (z.B. Schädel, Thorax, Abdomen, Rücken, Extremitäten). Dabei gilt es vor allem nach Traumafolgen, Hautblutungen und Perfusionsstörungen zu suchen. Außerdem wird die Körperkerntemperatur gemessen. Während der Notfallversorgung dürfen die Eltern dabeibleiben, ihre Anwesenheit wirkt sich günstig auf die Verarbeitung eines möglichen psychischen Traumas aus.

Bewusstseinskontrolle mit AVPU

  • Alert: normale Reaktion → wach
  • Response to verbal stimuli: Reaktion nur nach Ansprechen oder Berühren → somnolent
  • Response to pain stimuli: Reaktion nur auf Schmerzreiz (entspricht ≤ 8 Punkte im Glasgow Coma Score) → soporös
  • Unresponsive: keine Reaktion auf Schmerzreiz → komatös

Quelle: Winkler S et al. Monatsschr Kinderheilkd 2020; 168: 90–100

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune