Wenn Sport Lebensfreude (zurück)bringt
Erfolgreiche Spitzensportler sind Vorbilder und Role Models zugleich: Sie leben vor, wie Sport und Bewegung Lebensfreude vermitteln und zugleich eine exzellente Lebensschule sind, bringt es Schwimm-Ass und Moderator Andreas Onea auf den Punkt. Beim Talent Day des Österreichischen Paralympischen Committees (ÖPC) konnten Kinder und Jugendliche mit Behinderungen unter fachkompetenter Anleitung verschiedene Sportarten ausprobieren.
Montagvormittags in der Schwimmhalle des Bundessport- und Freizeit-Zentrums (BSFZ) Südstadt: Auf Bahn eins werden junge Menschen mit Beeinträchtigung von Mitarbeitern des Österreichischen Behindertensportverbandes (ÖBSV) mit Feinheiten der Schwimmtechnik vertraut gemacht. Auf der Bahn daneben trainiert Andreas Ernhofer, der soeben bei der Para-Schwimm-WM auf Madeira Silber geholt hat, gemeinsam mit der WM- und EM-Medaillengewinnerin sowie mehrfachen Paralympics-Teilnehmerin Sabine Weber-Treiber. Auch auf den weiteren Bahnen spulen routinierte Athletinnen und Athleten ihre Trainingslängen ab. Ernhofer und Weber-Treiber standen dann beim Talent Day mit Rat, Tat und Tipps ebenso zur Seite wie Andreas Onea.
„Ich habe selbst jahrelang gemeinsam mit Nicht-Behinderten trainiert und alle meine Trainingspartner haben gesehen, was ich zu leisten vermag. Ich bin sicher, kein einziger von ihnen hat Berührungsängste gegenüber Menschen mit Behinderungen“, sagt der erfolgreiche Schwimmer und bekannte Sport-Moderator Onea im Gespräch mit medonline.at. Allerdings mangelt es im Breitensport noch immer an entsprechenden Angeboten: „Wir müssen es schaffen, dass Menschen mit Behinderung nicht ewig suchen müssen, bis sie einen Verein finden, in dem sie aufgenommen werden.“ Oft stünden der Partizipation und Teilhabe nicht nur bauliche Barrieren, sondern auch Barrieren im Kopf im Weg, meint Onea.
Barrierefreie Sportvereine
Ob es darüber hinaus nicht vom Gesundheitswesen her mehr Impulse geben sollte, um Bewegung und Sport für Menschen mit Behinderung leichter möglich zu machen? „Ich denke, das Gesundheitssystem ist bereits ausgelastet damit, die Menschen fit zu bekommen. In der Langzeitbetreuung brauchen wir mehr Angebote im Sport und es muss möglich sein, dass die vorhandenen Strukturen den Parasport gewissermaßen mitnehmen und Berührungspunkte schaffen.“
Genau diese Berührungspunkte bot der Talent Day des Österreichischen Paralympischen Committees (ÖPC) für 140 Kinder, 70 davon mit Behinderungen oder Beeinträchtigungen. In Zusammenarbeit mit zehn Sport-Fachverbänden, unterstützt von zahlreichen Volunteers und Sponsoren, konnten die Kinder einen Tag lang neun verschiedene Sportarten – von Badminton über Bogenschießen, Schwimmen und Tennis bis zum Segeln – ausprobieren. Dazu gab es Impulse von heimischen Größen aus dem Parasport wie Andreas Onea: „Ich hoffe, die Kinder und Jugendlichen haben genauso viel Spaß im Wasser wie ich – das Bewegen im Wasser ist für mich einfach sehr inspirierend und macht Dinge möglich, die an Land so nicht möglich sind“, erzählt der Spitzensportler weiter. „Dabei wünsche ich ihnen, dass möglichst viele solche Erfolgsmomente erleben werden, wie ich sie bisher schon erleben durfte.“ Der Sport, so Onea, habe ihm nicht nur Lebensfreude gebracht, sondern war für ihn zugleich Lebensschule. Bei einem schweren Autounfall im Kindesalter verlor er seinen linken Arm und das Schwimmtraining war Teil der Rehabilitation am AUVA-Rehabilitationszentrum Weißer Hof. „Ich musste lernen, wieder Muskeln aufzubauen, auch um meine Wirbelsäule zu stabilisieren. Bald hat man gemerkt, dass ich mich geschickt anstelle, und mich im Alter von neun Jahren an meinem ersten Wettkampf teilnehmen lassen. Obwohl ich damals Letzter wurde, hat es mich sehr motiviert – auch weil ich einen Pokal bekommen habe.“ Mit zwölf war Andreas „Andi“ Onea erstmals Staatsmeister und mit 16 ging er bei seinen ersten Paralympics an den Start. Mittlerweile schwamm er zu zwölf Medaillen bei Großereignissen, zuletzt gewann er Anfang Juni Bronze bei der WM auf Madeira.
Eigene Motivation und Role Model
Onea trainiert zweimal täglich an sechs Tagen pro Woche, meistens im Wasser, aber auch Kraft- bzw. Ausdauereinheiten stehen auf dem Programm. Ob er da nicht manchmal Schwierigkeiten habe, sich zu motivieren? „Ganz ehrlich: jeden Tag. Doch dann wieder auf dem Podium zu stehen, gibt mir genügend Energie für die nächsten drei Jahre“, sagt der 30-jährige Athlet mit einem verschmitzten Lächeln.
Und wie er sich in seiner Rolle als Vorbild für den Nachwuchs fühlt? „Ganz klar sind wir Spitzensportler Role Models und das ist eine große Ehre für mich. Auch ich hatte damals schon Vorbilder, selbst wenn der Parasport medial noch nicht so präsent war wie heute. Aber ich sah bald nach meinem Unfall, wie sich Thomas Rosenberger auf die Paralympics in Sydney 2000 vorbereitete: Ich trainierte neben einem Sportler mit Querschnittlähmung, der Familie und einen super Job hat – das hat mich sehr inspiriert.“ Rosenberger gewann bei den Paralympics in Sydney Silber über 50 Meter Brust.
Bewegung mit Behinderung
„Ich bin mir auch durchaus im Klaren darüber, dass wir heute mit unserer Reichweite noch viel mehr erreichen können, und es muss nicht Spitzensport sein. Aber es gibt viele Menschen in Österreich mit Behinderungen, die sich nicht genügend bewegen und im Sport nicht inkludiert sind – genau da müssen wir ansetzen“, betont Onea. Immerhin stärken Bewegung und Sport den gesamten Menschen im Sinne des bio-psycho-sozialen Modells, da sie nicht zuletzt soziale Kontakte erleichtern.
Aus eigener Erfahrung weiß Onea zudem, wie wichtig das familiäre Umfeld ist: „Meine beiden Brüder waren beim Unfall dabei, blieben aber unverletzt. Meine Eltern haben jedoch nie Unterschiede zwischen uns gemacht, sondern mir vielmehr vermittelt, dass ich zwar eine besondere Herausforderung mit nur einem Arm habe, aber dennoch lernen muss, im Alltag selbstständig zu sein.“
Mehr Aufmerksamkeit bitte!
Auch der heute 25-jährige Nico Langmann begann schon im Alter von sieben Jahren mit dem Rollstuhltennis: Ein Autounfall im Alter von zwei Jahren verursachte eine Querschnittlähmung. „Ich war damals der Einzige in meiner Altersklasse – umso cooler finde ich es, dass hier beim Talent Day Kinder zusammenkommen, um verschiedene Sportarten auszuprobieren, und dabei noch Einblicke in das Leben paralympischer Athleten bekommen.“ Langmann würde am liebsten jedes Kind für den Tennissport begeistern und zeigt selbst auf dem Platz vor, wie es geht. „Was wir brauchen, ist mehr Aufmerksamkeit und Wissen darüber, welche Möglichkeiten es im Sport gibt – das Interesse ist jedenfalls da!“ Mit seiner gemeinnützigen Organisation „Nico Langmann Foundation“ verfolgt er das Ziel, einen großen Pool an Sportrollstühlen aufzubauen und diese nach Bedarf an Kinder und Jugendliche zu verteilen.
Begeistert vom Angebot des Talent Day zeigt sich auch Margarethe Renkin, Lehrerin an der Allgemeinen Sonderschule (ASO) in Hollabrunn, die gemeinsam mit ihrer Kollegin Nicole Zenaty und fünf Kindern in die Südstadt gekommen ist. „Die Kinder haben sich unglaublich darauf gefreut und es ist ein ganz großes Erlebnis für sie“, sagt Renkin. An der Schule haben die Kinder neben dem Angebot der Turnstunden einmal pro Woche die Möglichkeit, mit Bewegungscoaches zu üben. „Sie fühlen sich einfach gut danach und es ist spürbar, wie Spannungen abfallen.“
Restfunktionen nützen
An einer der Stationen gab es die Möglichkeit, den Radsport zu erproben und im Stadion einige Runden zu drehen – etwa im Handybike auf dem Tandem. Kräftig angefeuert wurden sie dabei von den Paralympics-Medaillengewinnern Tom Frühwirth, Alex Gritsch und Walter Ablinger: „Den Jugendlichen hier zuzusehen erinnert mich sehr an meine Anfänge im Sport“, sagt der 53-jährige mehrfache Paralympics-, WM- und EM-Medaillengewinner Ablinger. „Mein Arbeitsunfall war ein schwerer Schicksalsschlag. Doch in der Rehabilitation kam ich in Kontakt mit dem Behinderten-Radsport und mein Sportlehrer hat mir gezeigt, wie ich meine Restfunktionen voll einsetzen kann. Das macht nicht nur Spaß, sondern gerade in der Phase der Neuorientierung ist es enorm wichtig auszuloten, welche Möglichkeiten man im Leben hat“, erzählt Ablinger. Es gebe ihm eine Art Freiheitsgefühl, im hohen Tempo in der Natur unterwegs zu sein. Doch den eigentlichen Ausschlag für den Einstieg in den Radsport gab die Aussicht, gemeinsam mit der Familie Rad fahren zu können. „Der Sport bringt uns Lebensqualität und je besser wir unsere Restfunktionen nutzen, umso besser kommen wir im Alltag zurecht“, ergänzt Ablinger.
Aktuell bereitet sich Ablinger gemeinsam mit seinen Teamkollegen auf die Paracycling-WM im August in Baie-Comeau in Kanada vor: Das bedeutet, bis zu 20 Stunden pro Woche mit dem Rad zu trainieren, dazu kommen Krafttraining und Regenerations-Einheiten. „Jetzt, mitten in der Wettkampf-Saison, müssen die Grundlagen schon gelegt sein.“
Genau wie Ablinger könnte auch Alex Gritsch seinen Sport nicht ausüben, gäbe es nicht eine Reihe von Sponsoren und Unterstützern: „Nach meinem Unfall hat mich ein Freund motiviert, Sport zu machen, und spontan ein Steakessen organisiert, um Spenden für mein erstes renntaugliches Handybike zu sammeln“, erzählt der 40-jährige Radsportler, der bei seinen ersten Paralympics in Tokio im vergangenen Jahr zwei Bronzemedaillen für Österreich gewann.
Was für ihn der Talent Day bedeutet? „Ich selbst habe durch den Sport wieder Lebensfreude gefunden und möchte den Kindern viel Positives mitgeben – es ist einfach schön zu sehen, wie begeistert sie hier in den Rädern kurbeln und durch den Sport die Möglichkeit bekommen, andere kennenzulernen.“ Genau wie die Präsidentin des ÖPC BM a.D. Maria Rauch-Kallat bei der Eröffnung des Talent Day betonte: „Jeder hat zumindest ein Talent und das ist wie ein Schatz, nachdem man manchmal erst ein bisschen suchen muss.“ Gemeinsam u.a. mit Sportminister Werner Kogler und ÖPC-Generalsekretärin Mag. Petra Huber überreichte Rauch-Kallat schließlich jedem Kind eine Medaille: als Motivation und Ansporn, am Sport dranzubleiben.
Vision Integration: Gemeinsame Regatten für Nicht-Behinderte und Para-Segler
Mehr als 30 Kinder haben es ausprobiert, manche zunächst noch zögerlich, doch am Ende stiegen alle mit einem strahlenden Gesicht aus dem Boot und so mancher wollte gleich noch eine Extra-Runde drehen. Mitglieder des Österreichischen Segelverbandes (OeSV) und des Vereins Vision Integration kamen mit zwei Booten an den See beim Bundessport- und Freizeitzentrum Südstadt, wo der Wind am Talent Day des Österreichischen Paralympischen Committees (ÖPC) mehr als günstig war.
Ing. Mag. Stefan Glanz-Michaelis, Leiter des Bundesleistungszentrums Segeln & Surfen Neusiedl am See des OeSV, segelte mit den Kindern, nicht ohne sie zuvor mit dem Boot und seinen Sicherheitseinrichtungen vertraut zu machen. So mancher steuerte dann das Boot unter seiner Anleitung beinahe selbstständig an die Landestelle zurück. Der Vorteil des Segelsports ist, dass die Boote so aufgerüstet werden können, damit sie den jeweiligen Handicaps gerecht werden, erklärt dazu Kurt Badstöber, selbst erfolgreicher Segler trotz Amputation des rechten Arms und linken Beins sowie Paralympics-Teilnehmer (London 2012). „Aktuell ist Segeln leider nicht paralympisch, wir hoffen aber, 2028 wieder dabei sein zu können“, ergänzt Alfred Sulek, Teammanager und Initiator von Vision Integration. „Auf dem Wasser ist es völlig unerheblich, wer welche Beeinträchtigung hat – es gewinnt der beste Segler.“ Die verschiedenen Bootsklassen machen es zudem möglich, dass Behinderte und Menschen ohne Beeinträchtigung gemeinsam ein Boot steuern. Vision Integration ermöglicht es Menschen mit eingeschränkten körperlichen Voraussetzungen, sich mit Nicht-Paraseglern zu messen. „Gemeinsam bei Veranstaltungen segeln zu können, bringt das Feeling, das wir alle lieben: Keine Ausnahme darzustellen, sondern gleichberechtigter Teil eines Ganzen zu sein“, heißt es auf der Website des Vereins. Die Bewerbe sollen „easy und lustig sowie für alle leicht zugänglich“ sein und jeder hat in der gleichen Wertung die Chance zu gewinnen.
Ohne Sehvermögen auf der Bahn bleiben
Beim Talent Day des ÖPC hatten Kinder und Jugendliche mit Sehbehinderung erstmals die Möglichkeit, auf der Laufbahn den WAIBROBelt auszuprobieren. Dieser von Katerina Sedlackova und ihrem Team des Grazer Start-up WAIBROSports entwickelte Gurt mit integrierter Kamera erkennt die Linien auf Sportlaufbahnen und zugleich die Position der Läufer in der Spur. Über Vibrationsimpulse werden die sehbehinderten Sportler in der Laufrichtung korrigiert und im Streckenverlauf navigiert. Künftig soll der WAIBROBelt sogar Laufen im Gelände möglich machen.