„Enormer Wissensbedarf bei Sexualität und Familienplanung“
Die Tiroler Psychiaterin Dr. Monika Mayregger engagiert sich in der Entwicklungszusammenarbeit in Familienplanung, HIV-Prävention und Traumabewältigung. (CliniCum 4/18)
Eine Schule in Goma, in der von vielen Rebellen besiedelten Region West-Kivu in der Demokratischen Republik Kongo: Eigentlich sollte die fließend Französisch sprechende Psychiaterin im Rahmen eines Programmes unter dem Dach des Austrian Help Programm (AHP) mit Teenagern über die Gefahren von Sucht sprechen. Doch sobald der Biologielehrer die Klasse verlassen hat, wird sie mit Fragen zu noch stärker tabuisierten Themen bestürmt: Wie kann es zu einer Schwangerschaft kommen? Wie verwendet man richtig ein Kondom? „Es war für mich erschütternd, wie viel Unwissen und falsche Meinungen vorherrschten. Die Schüler hatten angeblich sogar gehört, Kondome hätten Löcher und würden daher nicht vor Schwangerschaft oder HIV schützen.“ Glücklicherweise arbeitete die Tiroler Psychiaterin zu diesem Zeitpunkt bereits auch mit der Aktion Regen zusammen und konnte daher auf die von der Gründerin der Aktion Regen, Gynäkologin Dr. Maria Hengstberger, entwickelten Aufklärungsbehelfe zurückgreifen. Dazu gehören etwa die „Geburtenkontrollkette“, mit der fruchtbare und unfruchtbare Tage im weiblichen Zyklus dargestellt werden, oder ein Stoffmodell des Uterus. „Damit ist es mir in kurzer Zeit gelungen, eine Basisaufklärung zu vermitteln“, erzählt Mayregger.
Kondome schützen vor Schwangerschaft und HIV!
Auch im Rahmen anderer Projekte des AHP bzw. der Aktion Regen, wo etwa Gesundheitszentren eingerichtet wurden, engagierte sich Mayregger bereits: „Zu meinen Aufgaben gehörte die Wissensvermittlung über Kinderkrankheiten und Möglichkeiten zur Verringerung zur Säuglingssterblichkeit, ebenso die Leitung von Workshops zur HIV-Prävention“, schildert Mayregger. Unverständlich ist ihr dabei, warum gerade in afrikanischen Ländern die Kondombenützung aus Unwissen oder Glaubensgründen abgelehnt wird: „HIV und AIDS gehören neben Malaria, Tbc und der Säuglingssterblichkeit zu den größten Killern dieser Welt, dabei wäre die Prävention bei HIV relativ einfach.“
Gerade in Glaubensfragen suchte Mayregger sogar Unterstützung bei einem Priester: „Nach meinem Verständnis lässt sich doch hier das fünfte Gebot „Du sollst nicht töten“ sehr glaubhaft anwenden. Es geht schließlich darum zu verhindern, dass eine infizierte Person eine andere mit einer potenziell tödlichen Erkrankung ansteckt“, sagt Mayregger. Vom Engagement der Aktion Regen in Sachen Basisgesundheitsvorsorge sowie Familienplanung und HIV-Prävention in den ärmsten Ländern der Erde erfuhr Mayregger übrigens durch die Bücher von Maria Hengstberger, die etwa in „Wasser an die Wurzeln“ beschreibt, wie mit einfachsten Mitteln Familienplanung möglich ist.
„Neben der Wissensvermittlung geht es bei den Projekten der Aktion Regen auch um die Förderung der Eigeninitiative und die Übernahme von Verantwortung. Dieses Empowerment- Paradigma in der Entwicklungszusammenarbeit hat damit mit jenem in der Psychiatrie sehr viel gemeinsam“, erklärt Mayregger. Wo sich Mayregger gemeinsam mit anderen Mitarbeiterinnen der Aktion Regen engagiert, werden auch lokale Multiplikatoren („Rain Workers“, siehe unten stehender Kasten) ausgebildet, die das Basiswissen über Familienplanung und HIV-Prävention weitergeben.
Hilfe zur Selbsthilfe
Schon vor diesen Einsätzen sammelte die Psychiaterin und ausgebildete Tropenmedizinerin Erfahrung bei der freiwilligen Mitarbeit in kleinen Krankenhäusern etwa in der Himalaya- Region. „Ich war auf einer Trekking-Tour im Himalaya, als ich spontan um Mithilfe in einem Zentrum für Höhenkrankheit gebeten wurde“, schildert Mayregger. Im indischen Bubaneshwar half Mayregger in einem kleinen Primary Health Care Centre etwa in der Versorgung von Schlangenbissen oder Malaria. Genauso erkannte die Psychiaterin dort viele Patienten mit psychosomatischen Symptomen: „Ich sah etwa eine junge Mutter, die über enorme Rückenschmerzen klagte, für die es keinen organischen Befund gab. Ich sah mir dann ihre Wohnsituation an: sie lebte in einer sechsköpfigen Familie in einer winzigen Hütte, es gab ein einziges Bett für Eltern und die drei Kinder, auch die Schwiegermutter schlief in der Hütte. Es gab praktisch keine Rückzugsmöglichkeit und schon gar keinen Raum für ein Eheleben“, schildert Mayregger.
Auch hier setzte die Psychiaterin auf Bewusstseinsbildung und versuchte der Frau zu vermitteln, wie sie unter den gegebenen Möglichkeiten etwas Ruhe finden könne. „Es hilft den Betroffenen enorm, wenn sich jemand zu ihnen setzt und sie einmal in Ruhe über ihre Probleme sprechen können“, weiß Mayregger. Bei ihren späteren Auslandsaufenthalten im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit wurde sie zudem in Ländern wie dem Kongo auch häufig mit den Folgen seelischer Traumatisierungen konfrontiert. Die medizinischen Helfer vor Ort sind dann jedes Mal sehr froh, auf die Hilfe der Psychiaterin zählen zu können.
Psychiatrische Tätigkeit in Tirol
Mayregger absolvierte ihr Medizinstudium selbst als junge Mutter: „Dank der alten Studienordnung war es recht gut möglich, mit einem Kleinkind zu studieren. Ich habe dafür natürlich etwas länger gebraucht als andere“, erzählt Mayregger. Die Wahl des Studiums begründete sich übrigens auf der Aussage eines Kollegen, der den Arztberuf als „den einzig sinnvollen Beruf auf der Welt“ bezeichnete. Mit Ende des Studiums zog Mayregger neben der Psychiatrie auch die Pädiatrie oder Gynäkologie in Betracht. Als junge Mutter hatte sie jedoch gerade an der Kinderklinik keine Aussicht auf einen Ausbildungsplatz. Univ.-Prof. Dr. Harald Schubert, damals Ärztlicher Leiter des Psychiatrischen Krankenhauses Hall in Tirol, schätzte allerdings ihre Lebenserfahrung und stellte sie gerne ein.
Seit 1994 arbeitet Mayregger nun in Hall, wobei die Arbeit in der Allgemeinpsychiatrischen Ambulanz und in der Forensik zu ihren Aufgabengebieten gehören. Seit kurzem profitiert Mayregger von einem Altersteilzeit-Modell, zudem hat sie eine Wahlarztpraxis und arbeitet als Konsiliar-Psychiaterin in Altenheimen sowie in Wohngemeinschaften für Menschen mit Minderbegabung. „Dafür suche ich schon dringend nach einem Kollegen oder einer Kollegin, der/die diese Aufgabe nach meiner Pensionierung übernehmen könnte.“ In ihrer psychiatrischen Tätigkeit, so Mayregger, ist ihr neben dem Empowerment der Betroffenen die Entstigmatisierung ein besonderes Anliegen: „Viele Patienten zögern gerade deswegen eine stationäre Behandlung unnötig lange hinaus.
Fast immer bekommen wir bei der Entlassung von den Patienten zu hören, sie wären schon viel früher gekommen, wenn sie gewusst hätten, wie gut ihnen die psychiatrische Behandlung tut. Da heißt es, noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten.“ Mayregger glaubt übrigens auch, dass sich in der Entwicklungszusammenarbeit viele Kollegen gerne engagieren und vielleicht so wie sie selbst den Großteil ihrer Urlaube für Projekte einsetzen würden. „Die Möglichkeiten dafür sind vermutlich noch viel zu wenig bekannt. Darum ist die Idee von CliniCum sehr zu begrüßen, derartige Initiativen von uns Ärzten vorzustellen.“
Aktion Regen – Verein für Entwicklungszusammenarbeit
Seit rund 30 Jahren engagiert sich die von der niederösterreichischen Gynäkologin Dr. Maria Hengstberger gegründete „Aktion Regen“ in der Aufklärungsarbeit unter anderem betreffs sexueller und reproduktiver Gesundheit, Familienplanung, Mutter-Kind-Gesundheit oder weiblicher Genitalverstümmelung, ebenso in der HIV-Prävention in Entwicklungsländern. In eigenen Workshops oder in Zusammenarbeit mit anderen NGOs werden etwa „Rain Workers“ ausgebildet, die auf leicht verständliche Art Basiswissen vermitteln. Zu Hilfe kommen ihnen „Rain Tools“ wie die von Hengstberger entwickelte und mittlerweile als „Cycle Beads“ patentierte Geburtenkontrollkette oder das Uterusmodell „Little Mom“.
Geschult werden Männer und Frauen: Nach den Erfahrungen Hengstbergers wissen Männer oft nur, dass Frauen manchmal bluten, aber keineswegs, warum das so ist bzw. wie es überhaupt zu einer Schwangerschaft kommt. Genauso kann es enorm wirksam sein, wenn ein junger Bursche vor allen anderen erklärt, er würde niemals ohne Kondom Geschlechtsverkehr haben – schon alleine deshalb, weil er seine eigene Gesundheit schützen möchte. „Rain Workers“ setzen damit auch auf Peer-Education, indem Frauen und Männer zu Multiplikatoren geschult werden. Das Wort „Regen“ im Namen der Organisation symbolisiert übrigens die Unterstützung durch verständliche Wissensvermittlung.
www.aktionregen.at
Vorschläge für eine Ärztin/Arzt mit besonderem sozialem Engagement an die Redaktion: v.weilguni@medizinmedien. at