Dysphagie: Wenn Schlucken schwerfällt
Schluckstörungen können nicht nur die Nahrungsaufnahme und Medikamenteneinnahme erschweren, sondern auch das Wohlbefinden, die Freizeitgestaltung und die soziale Interaktionsfähigkeit massiv beeinträchtigen. Da am Schluckvorgang mehrere Organsysteme beteiligt sind, für die unterschiedliche Fachrichtungen zuständig sind, kann die Differenzialdiagnose herausfordernd sein.
Unter dem Begriff Dysphagie werden alle Störungen des Schluckvorgangs zusammengefasst, die sich irgendwo zwischen Mund und Mageneingang abspielen und zu Problemen beim Abschlucken von fester oder flüssiger Nahrung führen. Ein Frühsymptom der Schluckstörung ist sehr häufig das Globusgefühl. Dieser „Kloß im Hals“ ist es meistens auch, der die Patientinnen und Patienten zum Arzt, zur Ärztin führt. „Wer schon einmal das Gefühl, nicht schlucken zu können, oder die Angst vor weiteren Schluckvorgängen erlebt hat, weiß, wie sehr die Lebensqualität unter einer Schluckstörung leiden kann“, betont Dr. Georg Kangler, Facharzt für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Gratwein-Straßengel. Dazu kommen die sozialen Folgen: Wenn Essen und Trinken in Gesellschaft als unangenehm erlebt wird, droht durch die gefühlte Stigmatisierung eine zunehmende soziale Isolation.
Bei einer ausgeprägteren Symptomatik geht es dann im wahrsten Sinne des Wortes auch an die Substanz: Wenn die Schluckstörung eine reduzierte Nahrungs- oder Flüssigkeitszufuhr zur Folge hat, rückt schnell die Frage der Sicherstellung der Ernährung in den Vordergrund. Auch Umstellungen der Medikation müssen überlegt werden. Menschen, die Probleme beim Schlucken fester Stoffe haben, tun sich auch mit Tabletten schwer. Manche Tabletten können gemörsert werden, in anderen Fällen (z.B. bei Retard-Präparaten, die nicht gemörsert werden dürfen, da sonst zu hohe Wirkstoffspitzen drohen) müssen andere Applikationsformen gesucht werden. Zu den gefürchtetsten Komplikationen von Schluckstörungen zählt das wiederholte Verschlucken, das im Falle stiller Aspirationen oft erst bemerkt wird, wenn die Betroffenen eine Aspirationspneumonie entwickeln. Das ist ein zusätzlicher Grund dafür, dass bei einer ausgeprägten Schluckstörung, die nicht ausreichend behandelt wird oder werden kann, auch die Mortalität erhöht ist.
Neurologische Ursachen für Schluckstörungen
Es gibt zahlreiche neurologische Erkrankungen, die zu einer Dysphagie führen können. Häufig findet man Schluckstörungen etwa bei einer Chorea Huntington oder einem Morbus Parkinson. Patientinnen und Patienten mit einer Multiplen Sklerose (MS) oder einer Amyotrophen Lateralsklerose (ALS) können auch schon in jüngeren Jahren Schluckbeschwerden haben. Nach Insulten ist ebenfalls oft eine Dysphagie zu beobachten, die vor allem in der Akutphase ein Problem ist, sich aber im weiteren Verlauf mit entsprechender logopädischer Unterstützung oft wieder zurückbildet. Schluckstörungen und eine Beeinträchtigung des Schluckreflexes gehören auch zum neurologischen Bild der Demenz. „Wenn demente Patientinnen und Patienten mehrmals im Jahr wegen einer Pneumonie behandelt werden müssen, sollte man daran denken, dass die Ursache vielleicht eine Schluckstörung sein könnte“, so Kangler.
Internistische Krankheiten als Auslöser für Schluckprobleme
Einer der häufigsten Gründe für Schluckprobleme ist der gastroösophageale Reflux, bei dem es durch den Rückfluss von Magensäure zu einer gereizten und entzündeten Schleimhaut kommt. Eine vergrößerte Schilddrüse, die auf die Luftröhre und Speisewege drückt, kann das Schlucken auf mechanischem Weg beeinträchtigen. Bei unklarer Ursache einer Dysphagie sollte man auch an mögliche Nebenwirkungen von Medikamenten denken. Das bekannteste Beispiel sind trizyklische Antidepressiva, die zu Mundtrockenheit führen und dadurch den Weitertransport des Speisebreis erschweren. Bei Schluckbeschwerden aufgrund einer schmerzhaften aphthösen Stomatitis wird oft übersehen, dass Aphthen auch eine Begleiterscheinung einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung (Morbus Crohn, Colitis ulcerosa) sein können. Eine weitere mögliche Ursache von Schluckproblemen ist die Achalasie, eine meist progrediente Funktionsstörung der glatten Muskulatur des Ösophagus, bei der es durch die erschwerte Entleerung des Speiseröhreninhalts in den Magen zu Regurgitationen und Aspirationen kommt.
Orthopädische Probleme nicht selten der Grund der Schluckbeschwerden
Gar nicht so selten lassen sich Schluckbeschwerden auf Erkrankungen der Halswirbelsäule zurückführen. Der Grund dafür ist, dass die Speiseröhre direkt vor der HWS liegt und der Platz im Halsbereich begrenzt ist. Dadurch können entweder knöcherne Auswüchse oder Anbauten an der Wirbelsäule den Schluckakt direkt mechanisch behindern oder indirekt durch einen muskulären Hartspann (z.B. bei Bandscheibenvorfällen), der seinerseits Schluckstörungen zur Folge haben kann. Neben dem Diskusprolaps und degenerativen Veränderungen im Rahmen einer Osteoporose ist der Morbus Forestier, eine systemische Skeletterkrankung mit knöchernen Auswüchsen an den Wirbelkörpern, eine weitere mögliche orthopädische Ursache für Dysphagien.
Dysphagie bei onkologischen Patientinnen und Patienten
Auswirkungen auf den Schluckvorgang sind auch durch raumfordernde Tumoren oder Metastasen im Halsbereich möglich. Postoperativ kann es durch Verwachsungen ebenfalls zu Schluckproblemen kommen. Traumatisch bedingte Schmerzen beim Schlucken können außerdem nach Intubationen auftreten. Eine andere häufige Ursache von Schluckbeschwerden bei onkologischen Patientinnen und Patienten ist die Strahlentherapie: Bei jeder Bestrahlung im Bereich des Halses muss davon ausgegangen werden, dass auch die umgebenden Weichteile in Mitleidenschaft gezogen werden. Besonders empfindlich auf eine Strahlenbelastung reagieren Drüsen (z.B. Speicheldrüsen) und die Schleimhaut. Für eine persistierende Xerostomie (Mundtrockenheit) nach Bestrahlungen gibt es Speichelersatzlösungen, die ein besseres Funktionieren des Schluckens ermöglichen.
Last but not least: HNO
Erste Anlaufstelle bei Schluckbeschwerden sind in vielen Fällen Hals-Nasen-Ohren-Ärztinnen und -Ärzte. Hier reicht das Spektrum von Erkrankungen, die mit Schluckstörungen assoziiert sein können über Verletzungen in der Mundhöhle oder verschiedenste Infektionen bis zu Entzündungen unterschiedlicher Ursache im Bereich der Zunge, des Zungengrunds, der Mandeln, des Hypopharynx oder der Speiseröhre. Nicht zu vergessen Nebenhöhlenentzündungen, bei denen die Patientinnen und Patienten oft das Gefühl einer hartnäckigen Verschleimung haben und sich beim Abschlucken schwertun. Fehlbildungen – insbesondere zystische Veränderungen – können ebenfalls Probleme beim Schlucken verursachen. Ein Beispiel dafür sind Ösophagusdivertikel: Füllen sich die Ausstülpungen oder Erweiterungen der Speiseröhre mit Speisebrei, geht das auf Kosten des für den Schluckvorgang benötigten Platzes.
Wie wird die Dysphagie diagnostiziert?
Zunächst gilt es, die große Bandbreite möglicher Ursachen für Schluckbeschwerden durch eine gezielte Anamnese auf wahrscheinliche Erkrankungen einzuengen. Bei der klinischen Untersuchung des Mundrachenraums und der Nebenhöhlen muss vor allem geschaut werden, ob entzündliche Veränderungen vorhanden sind. Ist die Schilddrüse vergrößert? Wie steht es um die Beweglichkeit der Wirbelsäule und die Beschaffenheit der Halsmuskulatur? Veränderungen des Nasenrachenraums und des Kehlkopfs können endoskopisch nachgewiesen werden. Die indirekte Laryngoskopie mit flexibler Optik ermöglicht auch eine gezielte Schluckdiagnostik (FEES, fiberoptische endoskopische Evaluation des Schluckens). Bei entsprechender Indikation kann außerdem eine Gastroskopie zur Diagnosesicherung beitragen. Schließlich stehen noch verschiedene bildgebende Verfahren zur Verfügung (Ultraschall, Röntgen inklusive Funktionsaufnahme, CT, MRT), mit denen die Weichteile und knöchernen Strukturen im Halsbereich beurteilt werden können.
Welche Therapiemöglichkeiten gibt es bei Dysphagie?
Bei der Therapie von Schluckstörungen sollte zuerst einmal geschaut werden, ob eine Behandlung der Ursachen möglich ist. Wenn die Probleme beispielsweise durch einen Reflux verursacht werden, kann die Verschreibung eines PPIs zielführend sein, bei einer Helicobacter-Infektion eine Eradikationstherapie. Stehen die Beschwerden mit der Halswirbelsäule in Zusammenhang, sollte der Versuch einer physiotherapeutischen Mobilisierung unternommen werden. Bei neurologischen und degenerativen Erkrankungen können unter Umständen mit logopädischen Übungen und einem Schlucktraining Verbesserungen erreicht werden. „Bei Demenzpatienten funktioniert das natürlich nur sehr eingeschränkt“, räumt Kangler ein, „in anderen Fällen aber oft sehr gut.“ Sind die Schluckprobleme auf eine medikamentös bedingte Mundtrockenheit zurückzuführen (z.B. bei der Einnahme von trizyklischen Antidepressiva) macht es Sinn, eine Medikamentenumstellung zu überlegen. In vielen Fällen ist es notwendig und sinnvoll, die Kost anzupassen. Die International Dysphagia Diet Standardisation Initiative (IDDSI) hat versucht, Textur-modifizierte Speisen und Getränke in der Behandlung von Patientinnen und Patienten mit Schluckstörungen zu etablieren. Zu diesem Zweck wurde ein Stufenplan mit 8 ineinander übergehenden Stufen erarbeitet, mit dessen Hilfe die Nahrung verflüssigt oder eingedickt und an die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten angepasst werden kann.
Quelle: „Wenn Schlucken schwerfällt und die Stimme nachlässt“, 53. Kongress für Allgemeinmedizin, Graz, 24.11.2023