20. Dez. 2023Projekt zieht positive Zwischenbilanz

„Gesund aus der Krise“: Hilfe für 8.000 Kinder und Jugendliche

Ängste, schlechter Schlaf, Sorgen in der Schule – „Gesund aus der Krise“ – ein Projekt des Gesundheitsministeriums mit den Berufsverbänden BÖP und ÖBVP – konnte bereits über 8.000 Kids kostenlos helfen. Mit sehr guten Erfolgen. Projekt-Gesamtleiterin Prof. Dr. Beate Wimmer-Puchinger appelliert, das Angebot mit mittlerweile fast 900 Fachkräften zu nutzen.

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Dorfegger/BMSGPK

„Wenn du dich einsam und nicht verstanden fühlst, keine Sorge, mir ging’s genauso, aber es gibt Leute, die dir zuhören wollen“, wendet sich Juliana, 14 Jahre, in einem Betroffenenvideo* an ihre Generation. Mit „Leuten“ meint sie speziell ausgebildete Kinder- und Jugendpsychologinnen und -psychologen sowie Psychotherapeutinnen und -therapeuten, die im Rahmen des Projekts „Gesund aus der Krise“ psychisch belasteten Kindern und Jugendlichen bis zu einem Alter von 21 Jahren helfen.

Die Hilfe erfolgt in Form von bis zu 15 kostenlosen Beratungen und Behandlungen im Einzel- oder Gruppensetting. Das vom Gesundheitsministerium (BMSGPK) mit 13 Mio. Euro geförderte Projekt zog kürzlich eine erfreuliche Bilanz über den ersten Projektzeitraum: Von Anfang April 2022 bis Ende Juni 2023 erhielten 8.041 Kinder und Jugendliche Beratungs- und Behandlungseinheiten im Einzelsetting, 62% davon waren weiblich, heißt es im aktuell erschienenen Projektbericht. Dazu kamen 378 Personen im Gruppensetting.

Einzigartiges Best-Practice-Konzept

Es handle sich um ein „europaweit einzigartiges Best-Practice-Konzept“ mit sehr guten Erfolgen, resümiert ao. Univ.-Prof. Dr. Beate Wimmer-Puchinger, Präsidentin des Berufsverbandes Österreichischer PsychologInnen (BÖP) und Gesamtleiterin des Projekts, das in enger Kooperation mit dem Österreichischen Bundesverband für Psychotherapie (ÖBVP) abgewickelt wird. Projektleiterin Fabienne Patek, MSc (WU), spricht ebenfalls von einem „Leuchtturmprojekt für ganz Europa“.

Einzigartig sei auch die durchschnittliche Vermittlungszeit von nur 11 Tagen. „Unsere Zielgruppe sind Kinder und Jugendliche, die aufgrund der multiplen Krisen psychisch belastet sind“, erklärt ÖBVP-Präsidentin Mag. Barbara Haid. Um einer Verschlechterung oder gar Chronifizierung der Belastungen entgegenzuwirken, sei der niederschwellige, wohnortnahe und eben sehr rasche Zugang von zentraler Bedeutung.

Ergebnis: Über 92% Erfolgsquote

„Unser Projektziel einer möglichst frühzeitlichen Behandlung haben wir so erreicht. Dadurch haben wir eine Erfolgsquote von über 92%, die sich in eine deutlich verbesserte psychosoziale Situation und damit Lebensqualität übersetzen lässt“, freut sich Haid. Die psychischen Belastungen der Kinder und Jugendlichen reichten von depressiven Verstimmungen und Angsterkrankungen über Probleme im Ess- oder Schlafverhalten bis hin zu exzessivem Konsum digitaler Medien, Schulverweigerungen und Suizidgedanken.

Die „dringend“ benötigte und vor allem „niederschwellige, verlässliche Anlaufstelle für psychische Gesundheitsdienstleistungen in Österreich hat zahlreiche Verbesserungen für tausende Kinder und Jugendliche gebracht“, betont auch Wimmer-Puchinger. Zudem sei eine Plattform geschaffen worden, die Behandlerinnen und Behandler, zuweisende Stellen, Betroffene und viele relevante Stakeholder sowie Multiplikatoren „erfolgreich in engem Austausch“ verbindet.

Entstanden ist das Projekt aus den „notwendigen, aber einschneidenden Maßnahmen“ zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie, die besonders auf die Psyche von Kindern und Jugendlichen schwerwiegende Auswirkungen haben, betonen die Projektverantwortlichen im Bericht. Die von der gesetzlichen Krankenversicherung finanzierten Psychotherapiekontingente würden „weder von der Anzahl noch von den Rahmen- und Zugangsbedingungen“ ausreichen, klinisch-psychologische Behandlungen nur Selbstzahlern zur Verfügung stehen.

Zuweisende Stellen als sekundäre Zielgruppe

Von Beginn an stand und steht nicht nur die möglichst rasche, sondern auch treffsichere Vermittlung des Angebots – einerseits an die primäre Zielgruppe wie betroffene Kinder und Jugendliche bzw. deren Eltern oder Obsorgeberechtigte, andererseits auch an die sekundäre Zielgruppe wie zuweisende Stellen – im Mittelpunkt. Dazu zählen ärztliche Stellen (u.a. Kinderärzte/-ärztinnen und Spitäler), amtliche Stellen (wie etwa die MA11 in Wien), schulische Stellen (Schulpsychologen/-psychologinnen, Schulärzte/-ärztinnen, Lehrpersonal), der außerschulische Bereich (offene Jugendarbeit) und NGOs/Netzwerke.

Und so funktioniert es: Nach der Anmeldung auf der Website https://gesundausderkrise.at/ (oder per Telefon/Mail, siehe Kasten) kommt es zum Clearing (Prüfung der Formalkriterien wie z.B. das Alter) und Matching: Die Klientinnen und Klienten können an Behandlerinnen und Behandler in ganz Österreich vermittelt werden. Dabei wird auf Anreisemöglichkeit geachtet (öffentlich vs. Auto, weniger als 30 Minuten), weiters auf Sprache, Altersgruppe, Präferenz des Behandler-Geschlechts und wenn möglich gewünschte Spezialisierungen.

Der Behandler-Pool bestand in der ersten Projektphase aus 875 Personen. Davon waren 389 klinische Psychologinnen und Psychologen und/oder Gesundheitspsychologinnen und -psychologen sowie 418 Psychotherapeutinnen und -therapeuten, die ihre Leistungen in insgesamt 17 verschiedenen Sprachen anbieten konnten. Neben Deutsch waren Türkisch, Englisch, Rumänisch, BKS, Russisch und Ukrainisch besonders nachgefragt, wie der Projektbericht informiert.

Mittlerweile Leistungen in 25 Sprachen

Im Folgeprojekt „Gesund aus der Krise II“, das wegen der großen Nachfrage schon am 01.06.2023 startete – noch vor Abschluss des ersten Projekts am 30.06.2023 – stehen sogar 25 Sprachen zur Verfügung. Denn auch das Interesse seitens der Behandelnden war von Anfang an groß: Bereits innerhalb des allerersten Projektmonats konnte die erforderliche Mindestanzahl von 500 Behandlerinnen und Behandlern erfolgreich in den Pool aufgenommen werden.

Und das, obwohl für die Aufnahme in den Behandler-Pool dem Projektbericht zufolge der BÖP und der ÖBVP Prüfer nominierten, die die entsprechende fachliche Qualifikation der Behandler überprüften. Auch vorhandene Fremdsprachenkenntnisse oder die Möglichkeit von Online-Beratung bzw. Barrierefreiheit der Praxis wurden berücksichtigt. Rund 10% der Interessenten erhielten mangels fehlender Expertise eine Absage.

Negatives Feedback: Übergang in Regelversorgung

Die Klientinnen und Klienten sowie die Obsorgeberechtigten hoben dem Projektbericht zufolge besonders die rasche, unkomplizierte Anmeldung und Vermittlung hervor. Positives Feedback gab es weiters zur Erreichbarkeit der Servicestelle besonders zu Randzeiten (etwa Freitag später Nachmittag), die qualitativ hochwertigen Beratungen und Behandlungen „durch fachlich geeignetes Personal“ sowie die für die Stabilisierung in vielen Fällen ausreichende Anzahl an Beratungs- und Behandlungseinheiten.

Negatives Feedback betraf in einigen Fällen die Anzahl der Einheiten und den schwierigen Übergang in die Regelversorgung, da eine privat bezahlte, weiterführende Beratung bzw. Behandlung bei dem vermittelten Behandlerinnen und Behandler für die meisten Familien finanziell nicht möglich war. Zwar seien die 15 Einheiten „in vielen Fällen“ ausreichend, aber für einige sollte es mehr Einheiten nach dem Projektkonzept geben. Außerdem sei eine Zusammenarbeit mit weiteren Professionisten (z.B. Kinderpsychiatrie) dringend notwendig.

„Meine Angst war so groß wie ein Riese“

Insgesamt ist das Projekt jedoch eine Erfolgsgeschichte, wie auch die zahlreichen positiven Rückmeldungen der Betroffenen zeigen. Ein 7-jähriges Mädchen schildert ihre Erfahrungen nach ihren 15 Behandlungseinheiten so: „Meine Angst war so groß wie ein Riese, als ich zu dir gekommen bin. Jetzt ist sie so klein wie ein Zwerg, nein, so klein wie ein ganz kleines Fuzerl Papier!“

Die eingangs erwähnte Juliana war übrigens eine der ersten in ihrer Familie, ihrem Kulturkreis und ihrer Freundesgruppe, die sich professionelle Unterstützung gesucht hat. „Jetzt ermutige ich auch Freundinnen und Freunde um mich herum, das zu wagen. Weil ich finde das schon einen wichtigen Schritt für einen selbst“, erzählte sie bei einem Gespräch mit den Projektverantwortlichen und Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne), der sich persönlich vom Projekterfolg überzeugt hat.

„Ich würd’ dir raten, warte nicht zu lang!“

„Es war so etwas Schönes, es einfach jemanden erzählen zu können, wo du merkst, die hört dir wirklich zu und interessiert sich dafür“, lautet das Feedback von Michelle, 17 Jahre alt. Gemeinsam mit der Therapeutin habe sie dann andere Wege gefunden, mit ihrer schwierigen Situation besser umgehen zu können. „Ich würd’ dir raten, warte nicht zu lang, weil je früher du dir die Hilfe suchst, umso schneller wirds dir besser gehen“, empfiehlt sie in dem Betroffenenvideo.

In diesem ermutigt auch BÖP-Präsidentin Wimmer-Puchinger: „Wenn du unter 21 bist und das Gefühl hast, es geht dir nicht gut, du bist ängstlich, du fühlst dich in der Schule nicht wohl, du kannst nicht schlafen oder du isst zu viel oder zu wenig, deine Eltern haben Sorgen und das belastet dich auch, dann sind wir für dich da.“ ÖBVP-Präsidentin Haid ergänzt, dass „Gesund aus der Krise“ gerade für jene da ist, die sich nicht über ihre Sorgen reden trauen, weil man sich irgendwie ein bisschen dafür schäme.

Budget für weitere 10.000 Kinder und Jugendliche

In einem Expertenvideo* appelliert Wimmer-Puchinger auch an die zuweisenden Stellen: „Wenn Sie mit Kindern arbeiten und wissen, dass Ihr Kind oder Ihre Kinder und Jugendlichen speziell belastet sind, Sorgen haben und Sie einfach das Gefühl haben, Sie haben jetzt die Ressourcen nicht, die das Kind bräuchte, dann haben wir das ‚Gesund aus der Krise‘-Angebot für Sie.“

Der BÖP fungiert auch bei der Fortführung des Projekts als die vom BMSGPK beauftragte Abwicklungsstelle. Für „Gesund aus der Krise II“ haben Rauch und Jugendstaatssekretärin Claudia Plakolm (ÖVP) schon im Oktober 2022 weitere Fördermittel in Höhe von 19 Mio. Euro in Aussicht gestellt. Damit werden laut Projektbericht Kapazitäten für weitere rund 10.000 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene bis 21 Jahre finanziert. Eine Evaluierung ist beauftragt, deren Endbericht soll bis Juni 2024 vorliegen.

*Betroffenenvideo und Expertenvideo sowie Folder etc. unter https://gesundausderkrise.at/infomaterial/

Anmeldung für „Gesund aus der Krise“

Anmeldungen unter https://gesundausderkrise.at/anmeldung/ (Kontaktformular) oder unter der Service-Nummer 0800 800 122 (Montag bis Freitag von 8:00–18:00 Uhr) oder per Mail unter info@gesundausderkrise.at

Anmeldungen für Behandlerinnen und Behandler: https://gesundausderkrise.at/behandlerinnen/