Österreichischer Palliativkompass erleichtert allen Akteuren die Orientierung
Sowohl für Ärzt:innen als auch für Betroffene und deren An- und Zugehörige ist es zunehmend schwierig, sich in einem undurchsichtigen Netz aus Formularen, Richtlinien und verstreuten Informationen zurechtzufinden. Der digitale österreichische Palliativkompass soll eine klar strukturierte Anlaufstelle bieten, die Orientierung schafft – etwa mit praxisnahen Handlungsmöglichkeiten bei belastenden Symptomen und Erklärungen dazu.

Die Palliativmedizin hat sich in den vergangenen Jahren weg von der reinen Sterbebegleitung entwickelt, berichtet Sarah Jessica Heller, Gründerin des neu gestarteten Palliativkompasses und diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin im mobilen Palliativteam Graz/Graz-Umgebung.
„Unser Ziel ist es, Lebensqualität zu erhalten – und zwar so lange wie möglich.“ Frühzeitige palliativmedizinische Mitbetreuung gilt inzwischen als Teil einer qualitativ hochwertigen Versorgung. Internationale Studien zeigen etwa, dass Patienten mit früh integrierter Palliative Care nicht nur weniger belastende Symptome haben, sondern oft auch länger leben. „Gerade in der Onkologie ist es wichtig, den Übergang zwischen kurativer und palliativer Phase fließend zu gestalten“, betont Heller.
Patienten und Angehörigen Selbstwirksamkeit geben
Wie tabuisiert die Thematik in der Gesellschaft immer noch ist, zeigt, dass Patienten manchmal nicht wollen, dass das Auto des Palliativteams vor dem Haus steht, so Heller. „Manchmal ist sogar das Wort ‚Todesengel‘ gefallen. Dabei geht es in unserer Arbeit um das Leben und nicht nur um den Tod und das Sterben.
Zur modernen Palliativversorgung gehört heute, Symptome zu kontrollieren, Angst zu nehmen, die Selbstwirksamkeit zu fördern und den Menschen ganzheitlich zu betrachten. Sowohl bei Patient:innen als auch bei An- und Zugehörigen. „Viele Angehörige wollen helfen, wissen aber nicht, wie. „Nur“ da zu sein, wird oft unterschätzt und als nicht wertvoll erachtet. Der Kompass zeigt, dass ‚Dasein‘ schon unbezahlbar ist – und gibt zusätzlich einfache Hilfen an die Hand“, so Heller.
Wie kann ich jemanden unterstützen der Atemnot hat? Wie werden „meine“ Symptome in der Palliativmedizin behandelt?
Betroffenen bietet der Palliativkompass praxisnahe Informationen, die Sicherheit und Handlungsoptionen aufzeigen sollen. Das unterscheide ihn von anderen Informationsangeboten, so Heller. „Viele Seiten liefern zwar Informationen, aber wenig Konkretes für den Alltag. Bei uns finden Angehörige leicht auffindbare Schritt-für-Schritt-Anleitungen – zum Beispiel, wie man einen Salzwickel durchführt oder wie man sich bei Atemnot verhält oder unterstützen kann“.
Auch typische Symptome wie Übelkeit und Erbrechen, Fatigue, Schmerzen oder Verstopfung werden erklärt, mit Hinweisen zur Linderung. Zusätzlich werden Maßnahmen aufgeführt, die An- und Zugehöirge selbst umsetzen können – etwa kleine pflegerische Handgriffe, Wickel oder Lagerungshilfen.
Besonders leicht aufzufinden sind auf der Webseite Informationen zu finanziellen Unterstützungsleistungen wie Pflegegeld oder auch zum Angehörigenbonus und wichtigen Informationen zu Vorausverfügungen, Hospizdiensten und mobilen Palliativteams. Der Kompass verlinkt direkt zu den zuständigen Stellen und bietet in der Steiermark bereits eine Postleitzahlsuche an, die zeigt, welches mobile Palliativteam oder welche Hauskrankenpflege im jeweiligen Gebiet zuständig ist. Diese Funktion soll künftig auf ganz Österreich ausgeweitet werden, erklärt Heller.
Ein Werkzeug auch für Ärzte
Der Palliativkompass ist aber kein reines Patientenportal, sondern auch für Hausärzt:innen und Onkolog:innen konzipiert. „Hausärzt:innen haben in der Regel ein ausgezeichnetes Basiswissen in Palliative Care, aber oft fehlt Zeit oder die Routine mit den Palliativpatient:innen und belastenden Symptomen oder auch um schwierige Gespräche über Therapieziele oder Pflegegeld zu führen“, sagt Heller. „Über die Webseite können sie ihren Patient:innen seriöse Informationen mitgeben – oder selbst nachschlagen, wie wir in den mobilen Teams palliatives Symptommanagement durchführen.“
Auch Onkolog:innen können den Kompass als Ergänzung in der Patientenkommunikation nutzen. „Viele Onkolog:innen kennen die medizinischen Aspekte der Palliativversorgung sehr genau“, so Heller. „Der Kompass bietet ihnen als praxisnahes Werkzeug, dass sie Patient:innen und An- und Zugehörigen einfach an die Hand geben können.“
Alle medizinischen Beiträge auf dem Kompass – etwa zur medikamentösen Symptomkontrolle – stammen von Palliativmediziner:innen und orientieren sich an den gültigen S3-Leitlinien. Die Beiträge zu pflegerischen Maßnahmen wurden von Palliative Care Nurses verfasst.
Herzensprojekt mit Zukunftsplänen
Entstanden ist die Plattform aus Hellers jahrelanger Erfahrung im mobilen Palliativteam und ihrer Bachelorarbeit an der FH Kärnten in Klagenfurt, die sich um die Bedürfnisse von An- und Zugehörigen drehte. Die Webseite ist ehrenamtlich aufgebaut – mit Unterstützung ärztlicher Kolleg:innen.
„Ich wollte etwas schaffen, das An- und Zugehörige entlastet und ihnen Sicherheit gibt“, sagt Heller. Die Resonanz war bereits am ersten Tag nach dem Livegang beeindruckend: Rückmeldungen kamen nicht nur vonseiten der steirischen Palliativkoordination, sondern auch von Kolleg:innen aus anderen Bundesländern.
Für die Zukunft benötigt Hellers Projekt Partnerschaften, die ihr die Weiterentwicklung des Kompasses ermöglichen – etwa mit Video-Tutorials („Wie ziehe ich eine Vendalampulle auf?“), interaktiven Schulungsmodulen für Pflegekräfte oder auch Angebote für die An- und Zugehörigen um die Pflege zu Hause zu unterstützen.
Das Ziel der Krankenpflegerin bleibt es, den Palliativkompass zu einem echten Begleiter im Versorgungsalltag zu machen – als Ergänzung, nicht als Ersatz der professionellen Arbeit in der Palliativmedizin und Pflege. „Wenn dadurch auch nur ein paar Patient:innen weniger in der Notaufnahme landen, weil An- und Zugehörige wissen, was eine Rasselatmung bedeutet, dann hat es sich schon gelohnt“, sagt sie. Gerade mit Blick auf die demografische Entwicklung und die wachsende Bedeutung von An- und Zugehörigen in der häuslichen Versorgung sei es entscheidend, sie mit verlässlichen Informationen zu unterstützen und zu stärken.
Palliativkompass Österreich
- Medizinische, pflegerische und sozialrechtliche Informationen
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Kontakt:
- Sarah Jessica Heller, DGKP, Mobiles Palliativteam Graz
- E-Mail: info@palliativkompass.at