29. Sep. 2025Gehirnkarte bleibt nach Amputation stabil

Neue Sicht auf Phantomschmerz

Eine neue Studie stellt die bisherige Annahme infrage, dass sich nach einer Amputation die kortikale Karte im Gehirn umstrukturiert, die für die Erkennung von Körperteilen zuständig ist. Dies könnte auch die Erklärung für Phantomschmerzen verändern und neue Therapien ermöglichen.

Spiegeltherapie, Schmerzlinderung nach Amputation
Köpenicker/stock.adobe.com

Die Untersuchung in Nature Neuroscience (1) weist darauf hin, dass das Netzwerk des somatosensorischen Kortex auch Jahre nach einer Amputation intakt bleibt.

Bisher nahm die Neurowissenschaft an, dass sich die somatosensorische Hirnrinde (S1) nach einer Amputation, etwa einer Hand, neu organisiert. Man ging davon aus, dass benachbarte Körperrepräsentationen, wie die Lippen, in die Handregion übergehen. Diese Theorie basierte auf Tierstudien und Querschnittserhebungen und erklärte lange den Phantomschmerz.

Man vermutete, dass die Schmerzen, die 80 bis 90 Prozent der Amputierten erleben, durch das fehlerhafte Feuern der Neurone im reorganisierten Areal entstehen.

Kortikale Muster auch nach Amputation stabil

Ein britisches Forscherteam untersuchte drei Personen, die aus verschiedenen Gründen einen Arm verloren, in einer Längsschnittstudie. Sie erhielten funktionelle MRT-Scans vor und bis zu fünf Jahre nach der Amputation. Zusätzlich wurden fMRTs von 16 Kontrollpersonen aufgenommen.

Die Teilnehmer führten vor und nach der Operation gezielte Bewegungen aus: Zuerst mit dem echten Arm, dann mit dem Phantomarm. Die Forscher registrierten auch Lippenbewegungen.

Überraschenderweise zeigten die Versuche, den Phantomarm zu bewegen, reale kortikale Aktivierungen im Gehirn. Diese gingen teilweise mit Muskelkontraktionen im Stumpf einher.

Zudem blieben Hand-, Finger- und Lippenkarten im somatosensorischen Kortex über die fünfjährige Nachbeobachtungszeit nahezu unverändert. Klassifikatoren im MRT, die mit prächirurgischen Daten trainiert wurden, unterschieden nach der Amputation zuverlässig zwischen Bewegungen in Phantomfingern.

Diese Daten wurden durch eine Querschnittsanalyse von drei Studien bestätigt. Sie verglichen Menschen mit lang zurückliegender Amputation (im Schnitt 23,5 Jahre) mit Kontrollen und zeigten ebenfalls stabile kortikale Muster.

Neues Behandlungskonzept für Phantomschmerzen

Damit geraten nicht nur die klassischen Modelle einer neuronalen Umorganisation ins Wanken, sondern auch die gängige Erklärung für Phantomschmerzen. Die Vorstellung, dass kortikale Karten einem kompetitiven Prinzip folgen und stärkere Netzwerke input-arme Regionen übernehmen, wird widerlegt.

"Wir gehen davon aus, dass im Gehirn Erwachsener die S1-Repräsentationen auch durch Top-Down-Einflüsse (z.B. efferente Signale) stabil erhalten bleiben können", schreiben die Autoren.

Phantomschmerzen entstehen demnach nicht durch eine Verdrängung der Handrepräsentation im Cortex, sondern sind möglicherweise stärker mit zentralen Top-down-Mechanismen oder maladaptiver Erregbarkeit verbunden.

Damit könnte sich auch die Therapie des Phantomschmerzes neu ausrichten. Klassische Konzepte wie die Spiegeltherapie basieren auf der Annahme einer Reorganisation. Statt diese rückgängig zu machen, könnten neuromuskuläre, nervale oder spinale Interventionen in den Fokus rücken.

Eine weitere interessante Anwendung betrifft Gehirn-Computer-Schnittstellen (BCI). Die stabile Repräsentation der Hand bietet eine verlässliche Basis, Phantomarm-Signale zur Steuerung einer Prothese zu nutzen.