25. Juni 2025Suchtprävention in Österreich

Von den Drogentoten auf der Briefmarke zu mehr Lebenskompetenz

Der Umgang mit Alkohol, Nikotin und illegalen Drogen in Österreich hat sich in den vergangenen Jahrzehnten deutlich gewandelt. Dr. Martin Busch, Leiter des Kompetenzzentrums Sucht bei der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG), gibt einen Überblick über zentrale Strategien, internationale Entwicklungen und politische Herausforderungen bei der Suchtprävention.

Hände halten Papierausschnitte von Menschen, die sich an den Händen halten.
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Die Anfänge der Suchtprävention waren in Österreich stark auf Abschreckung ausgerichtet, erinnert sich Busch. „Es gab beispielsweise Bilder von verstorbenen Drogenabhängigen oder entstellten Gesichtern – sogar auf Briefmarken.“ Wissenschaftlich haben sich diese Ansätze allerdings im Anschluss als kontraproduktiv erwiesen. „Bei manchen Personen wecken Maßnahmen wie diese sogar das Interesse an Substanzen“, sagt der Referent.

Dr. Martin Busch
fotosemrad.at/

Dr. Martin Busch, Leiter des Kompetenzzentrums Sucht bei der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG)

Diese Erkenntnisse haben einen Paradigmenwechsel eingeleitet. Die moderne Sicht der Präventionsarbeit ziele daher weniger auf Substanzen, sondern vielmehr auf Ursachen.

„Sucht ist in vielen Fällen eine Reaktion auf ungelöste Probleme oder fehlende Bewältigungsstrategien“, beschreibt Busch. Wenn Menschen etwa sehr schüchtern sind, trinken sie vielleicht Alkohol, um gesprächiger zu werden oder sich mehr zu trauen.“

Im Zuge von Lebenskompetenztrainings sollen Menschen befähigt werden, mit Stress, Unsicherheiten und psychosozialen Herausforderungen konstruktiv umzugehen, um zu vermeiden, dass sie eine Sucht entwickeln. „Das beugt dann eigentlich nicht nur einer Suchtentstehung vor, sondern kann zum Beispiel auch zur Gewalt- und Terrorismusprävention oder Suizidprävention beitragen“, so der Experte.

Lebenskompetenz statt Verbote

Das Vermitteln von Strategien zur Förderung von Resilienz, Selbstwirksamkeit und Gesundheitskompetenz ist dabei nicht nur für Personen sinnvoll, die bereits von Suchterkrankungen betroffen sind, sondern auch für gefährdete Gruppen und die Allgemeinbevölkerung. „Besonders die Lebenskompetenzförderung im Bildungsbereich ist wirksam und könnte noch weiter ausgebaut werden – hier lohnt sich jeder investierte Euro“, so Busch.

Genau diese Ebene adressieren Programme wie Gemeinsam stark werden, das österreichweit in Schulen und Kindergärten umgesetzt wird – etwa durch Rollenspiele oder das gemeinsame Bearbeiten alltäglicher Belastungssituationen. „Ein deutlicher Unterschied zu früher, als Drogenpräventionsprogramme darauf basierten, dass ein Polizist mit einem Drogenspürhund die Klasse besuchte und Kinder in Bezug auf Drogen einschüchtern sollte“, so Busch.

Aber auch in der Präventionsarbeit mit gefährdeten Gruppen wird heute eher mit Lebenskompetenz als mit Abschreckung gearbeitet – etwa im Zuge der „Drug Checking“-Angebote, bei denen Substanzen auf Verunreinigungen bzw. gefährliche Inhaltstoffe getestet werden, die aber auch genutzt werden, um mit Menschen in Kontakt zu treten und mit ihnen über ihrem Substanzkonsum zu reden.

Luft nach oben auch bei strukturellen Maßnahmen zu Alkohol und Nikotin

Sprach man früher von primärer, sekundärer und tertiärer Suchtprävention, sind Präventionsansätze heute in vier Kategorien verankert:

  1. Universelle Prävention richtet sich an alle – etwa Lebenskompetenzprogramme in Schulen.
  2. Selektive Prävention zielt auf Risikogruppen wie Lehrlinge ab, bei denen erhöhter Alkohol- oder Tabakkonsum bekannt ist.
  3. Indizierte Prävention spricht Personen an, die bereits riskant konsumieren, aber noch nicht süchtig sind, oder bei denen aus anderen Gründen die Gefahr einer Suchtentwicklung besteht.
  4. Strukturelle Prävention fokussiert auf Rahmenbedingungen – etwa darauf, gesunde Alternativen leichter verfügbar zu machen.

Auch bei der strukturellen Prävention ist laut Busch noch Luft nach oben. Ein Beispiel für gelungene strukturelle Prävention wäre für Busch etwa „wenn im Wirtshaus alkoholfreie Getränke gut sichtbar und breit verfügbar sind. Das fördert die Entscheidung für bewussten und genussvollen Konsum alkoholfreier Alternativen.“ Problematisch – insbesondere für Menschen mit Suchtproblemen – sei es umgekehrt, wenn Alkohol in Supermärkten an vielen Stellen präsent ist und zuletzt dann noch bei der Kassa in kleinen Fläschchen.

Ein zentrales strukturelles Instrument, das in Österreich teils konsequent – etwa beim Tabak – umgesetzt wird, sind Werbebeschränkungen. Besonders bei neuen Nikotinprodukten besteht hier großer Handlungsbedarf. „Man muss ja nicht alles verbieten – aber eine Zurückhaltung bei Werbung und Verfügbarkeit würde schon helfen“ so Buschs Fazit.

Rauchentwöhnung: Programme vorhanden, aber wenig bekannt

Nachholbedarf besteht für den Experten auch bei der Rauchentwöhnung. „Wir haben diverse bestehende Angebote wie das Rauchfrei Telefon (0800 810 013) oder stationäre Entwöhnungsprogramme. Diese sind in Österreich allerdings nur wenig bekannt. „Über die Hälfte der Raucherinnen und Raucher kennt das Rauchfrei Telefon nicht – obwohl die Nummer auf jeder Zigarettenpackung steht.“

Produkte wie E-Zigaretten oder Nikotinbeutel werden in manchen Ländern im Sinne der Schadensminimierung (Harm Reduction) eingesetzt – als Ersatz für die klassische Zigarette. In Österreich sieht Busch das Konzept allerdings kritisch: „In der Realität werden viele dieser Produkte hierzulande nicht als Ausstiegshilfen genutzt, sondern oft als Lifestyle-Produkte.“ Sie werden auch als solche mit Zielgruppe Jugendliche vermarktet.  Das Resultat: Viele junge Menschen beginnen direkt mit Nikotinbeuteln – und nicht etwa, um vom Tabakkonsum loszukommen.

Dabei wäre es ein großer Gewinn – sowohl individuell als auch gesellschaftlich –, wenn mehr Menschen einen Rauchstopp schaffen würden, so Busch: „Eine halbe Million Österreichinnen und Österreicher will eigentlich aufhören.“ Angesichts der Tatsache, dass Raucherinnen und Raucher im Schnitt zehn Jahre früher sterben und das Gesundheitssystem mit erheblichen Folgekosten belasten, sind professionelle Unterstützungsmaßnahmen sowohl für die individuelle als auch für die gesellschaftliche Ebene höchst sinnvoll. Als wichtigen Baustein der Rauchprävention nennt Busch Fortbildungen für Gesundheitspersonal wie z. B. das Programm Switch, das sich an Hausärztinnen und Hausärzte richtet. In einem eintägigen Kurs lernen sie, wie sie Tabakkonsum im Gespräch mit Patientinnen und Patienten ansprechen und wohin sie Betroffene weitervermitteln können. So könnten bestehende Angebote auch tatsächlich bei den Menschen ankommen.

Wenn Sie Fragen haben oder ein Beratungsangebot in Anspruch nehmen möchten, dann finden Sie bei den folgenden Anlaufstellen Hilfe:

Rauchfrei Telefon: 0800 810 013, kostenfrei, Mo–Fr 10–18 Uhr
info@rauchfrei.at
www.rauchfrei.at
www.rauchfreiapp.at
ÖGK – Nikotinfrei leben
Österreichischer Suchthilfekompass der Gesundheit Österreich GmbH