Beweise statt Bauchgefühl
Beim Thema E-Zigaretten solle man bei den Fakten bleiben, sagt Cochrane-Expertin Prof. Jamie Hartmann-Boyce. Die Datenlage zeige klar, dass E-Zigaretten eine wirksame Option für den Rauchstopp sein können. Was jedoch fehle, sei der Wille, diese Evidenz auch anzuerkennen. Gleichzeitig brauche es künftig mehr belastbare Daten für Menschen, die mit dem Vapen aufhören wollen.

„Die Debatte um E-Zigaretten wird oft durch moralische Bewertungen überlagert – dabei sollten wir zuerst auf die Daten schauen“, sagt Prof. Jamie Hartmann-Boyce, Expertin für evidenzbasierte Medizin an der University of Massachusetts Amherst und leitende Autorin mehrerer Cochrane-Reviews.1
Für sie ist die Debatte über E-Zigaretten als Rauchentwöhnungshilfe derzeit emotional aufgeladen und von Werten und Meinungen durchzogen. „Diese haben auch einen Platz – aber wenn es darum geht, medizinische Empfehlungen zu entwickeln, sollte man Wissenschaft und persönliche Überzeugung sauber trennen.“ Die Kernbotschaft der Expertin: Wer aufhören will zu rauchen, sollte Zugang zu allen wirksamen Methoden haben – auch zu E-Zigaretten mit Nikotin.
Wirksamkeit wissenschaftlich belegt
Prof. Hartmann-Boyce kuratiert seit Jahren den Cochrane-Review zur Raucherentwöhnung mit E-Zigaretten. Dabei handelt es sich um ein sogenanntes Living Systematic Review – also eine systematische Übersichtsarbeit, die fortlaufend aktualisiert wird, sobald neue Studien erscheinen. Inzwischen umfasst der Review über 90 Studien mit mehr als 29.000 Teilnehmenden. Die Daten zeigen mit hoher bis sehr hoher Evidenz, dass nikotinhaltige E-Zigaretten effektiver sind als Nikotinersatzpräparate (NRT), E-Zigaretten ohne Nikotin oder keine Intervention, wenn es darum geht, mit dem Rauchen aufzuhören. Schwerwiegende unerwünschte Ereignisse traten in den meisten Studien selten oder gar nicht auf – Vergleiche mit den Kontrollinterventionen sind jedoch aufgrund methodischer Einschränkungen nur bedingt möglich.
Die häufig geäußerte Sorge um gesundheitliche Risiken sei, so Prof. Hartmann-Boyce, daher zwar wichtig und berechtigt, müsse aber im Kontext der Alternativen – insbesondere dem Tabakrauchen – bewertet werden.
Meta-Metaanalyse zur Effektivität
Um den Vorwurf zu entkräften, die positiven Ergebnisse zur E-Zigarette von der Cochrane Society seien ein Ausreißer, untersuchte Prof. Hartmann-Boyce zusammen mit ihrem Team zudem alle verfügbaren systematischen Reviews zum Thema – insgesamt 23 Metaanalysen (noch unpubliziert). Das Ergebnis: In 22 dieser Analysen schnitten nikotinhaltige E-Zigaretten bei der Rauchentwöhnung besser ab als die jeweilige Vergleichsintervention. Nur eine ältere, qualitativ niedrigere Analyse fand keinen Unterschied.
„Diese Konsistenz ist in der Forschung selten und spricht dafür, dass wir es hier mit einer tatsächlich wirksamen Methode zu tun haben“, betont Prof. Hartmann-Boyce. Das Argument, es gäbe keine klaren Belege für die Wirksamkeit, sei schlicht nicht mehr haltbar.
Beweise vs. Werte
Gerade in den USA, aber zunehmend auch international, wird übersehen, dass Gesundheitsentscheidungen nicht ausschließlich auf Zahlen beruhen. Wissenschaftliche Evidenz werde dabei immer häufiger mit politischen oder moralischen Bewertungen vermischt, warnt Prof. Hartmann-Boyce.
Für sie ist es ein politisches, aber kein wissenschaftliches Argument, E-Zigaretten nicht zu empfehlen, obwohl die Belege ihre Wirksamkeit zeigen. „Das ist dann in Ordnung – aber wir müssen es auch so benennen.“
Quit vaping?
Besorgniserregend findet Prof. Hartmann-Boyce die derzeitige Informationsflut zum Thema Vaping-Ausstieg im Internet. „In der Praxis berichten oft verzweifelte Konsumenten, dass sie versuchen, vom Vapen wegzukommen – und dabei sogar zur Zigarette oder zu Cannabis greifen.“ Teils tun sie das, weil sie glauben, damit besser aufhören zu können, teils sogar auf ärztlichen Rat hin. Für Prof. Hartmann-Boyce einerseits ein alarmierendes Zeichen dafür, dass falsche Vorstellungen über die relative Schädlichkeit der Produkte kursieren. Andererseits mutmaßt sie, dass dies auch das Ergebnis von irrläufigen Kampagnen gegen das Vapen sein könnte.
Dabei räumt die Expertin ein, dass man ausstiegswilligen Vapern derzeit noch nicht viel anbieten kann. Ein Cochrane-Review zum Thema „Interventions for quitting vaping“, den Prof. Harmann-Boyce mitverantwortet, zeigt: Erste Daten – etwa zu textnachrichtenbasierten Interventionen bei Jugendlichen oder Vareniclin – sind vielversprechend, aber noch nicht belastbar. Besorgniserregend sei dabei, dass keine der ausgewerteten Studien prüfte, ob ein Aufhören mit dem Vapen langfristig zu einem Rückfall ins Rauchen führt.
Hartmann-Boyce J. Vaping to quit smoking, not smoking to quit vaping: The importance of sticking to the facts. The E-Cigarette Summit, 19. Mai 2025, Washington, USA