5. Aug. 2025Wann junge Knochen gefährdet sind

Warum kindliche Osteoporose kein Mythos ist

Vitamin D spielt eine entscheidende Rolle für Knochengesundheit, Stimmung und Immunsystem, besonders bei älteren Menschen. Doch auch Kinder und Jugendliche können unter Vitamin-D-Mangel oder Osteoporose leiden, was in der medizinischen Praxis oft übersehen wird. Kindliche Osteoporose ist kein Mythos, sondern ein ernstes Risiko mit potenziell dramatischen Folgen.

Lustige Kindergruppe beim Essen in der Kindertagesstätte
Andrey Kuzmin/stock.adobe.com
In der Schweiz wird eine Vitamin-D-Prophylaxe von Geburt an empfohlen.

Der Mensch produziert den Großteil des benötigten Vitamin D selbst: Etwa 90 Prozent entstehen in der Haut aus Provitamin D unter UVB-Einfluss. Nur 10 bis 20 Prozent stammen aus der Nahrung, vor allem aus fettreichen Lebensmitteln wie Fisch, Eiern, Milch oder Pilzen.

Nach der Synthese in der Haut oder Aufnahme im Darm wandelt die Leber Vitamin D in die Speicherform 25-Hydroxyvitamin D (25[OH]D) um. Diese zirkuliert im Blut und gelangt in die Niere, wo sie zur aktiven Form 1,25-Dihydroxyvitamin D (1,25(OH)₂D) wird. Diese Form reguliert die Kalzium- und Phosphataufnahme im Darm und beeinflusst Knochenstoffwechsel, Muskelfunktion und Immunabwehr.

Vitamin-D-Unterversorgung im Winter

Im Winter reicht selbst Sonnenschein in unseren Breitengraden nicht aus, um den Vitamin-D-Bedarf zu decken, erklärt Prof. Dr. Dagmar l’Allemand-Jander vom Kinderspital Zentralschweiz Luzern. Studien zeigen, dass über 80 Prozent der Bevölkerung in den Wintermonaten unzureichende Vitamin-D-Spiegel haben – auch Kinder.

Der Breitengrad spielt eine Rolle: Im Juli genügen zehn Minuten Sonne auf Gesicht und Hände, um 1.000 Einheiten Vitamin D zu bilden. Im Dezember wären dafür über 20 Stunden nötig. Sonnencremes mit LSF 15 blockieren die Vitamin-D-Synthese fast vollständig.

Vitamin-D-Spiegel: Was ist normal?

Viele Labors definieren eine adäquate Vitamin-D-Versorgung als 25-Hydroxyvitamin D-Spiegel von 75-110 nmol/L (30-44 ng/mL). Für Jüngere reichen laut der Expertin allerdings 50 bis 75 nmol/L (20-30 ng/mL) aus. Ein schwerer Mangel liegt vor, wenn die Spiegel unter 25 nmol/L bzw. 10 ng/mL fallen.

Mangel mit vielen Gesichtern

Ein schwerer Vitamin-D-Mangel schädigt vor allem die Knochen. Bei Erwachsenen erhöht er das Risiko für Stürze, Frakturen, Osteomalazie und Osteoporose. Studien zeigen, dass ein Mangel auch Müdigkeit, Muskelschmerzen, Infektanfälligkeit und depressive Verstimmungen verursachen kann. Ein extremer Mangel kann in jeder Altersgruppe zu Kardiomyopathie führen.

Bei Säuglingen zeigt sich ein extremer Mangel oft durch Muskelhypotonie und Hypokalzämie, die zu hypokalzämischen Krampfanfällen führen können.

Bei Kleinkindern verursacht er Rachitis mit Beinachsabweichungen ("Säbelbeine") und weichen Fontanellen. Ein Mangel ist auch mit Auftreibungen der metaphysären Wachstumsfugen verbunden, und einem Craniotabes, bei dem die Fontanellen weich tastbar sind.

Bei Kindern und Jugendlichen äußert sich ein Mangel oft in Leistungsknicks, Muskelkrämpfen oder Herzrhythmusstörungen und wird häufig erst durch Frakturen, Skoliose, Osteopenie oder allgemeine Knochenbeschwerden erkannt.

Vitamin D: Wie viel, wie lange?

In den Empfehlungen der Ernährungskommission der Österreichischen Gesellschaft für Kinderund Jugendheilkunde (ÖGKJ) wird für zusätzlich zur Muttermilch oder zur Säuglingsnahrung eine orale Supplementierung mit 400–500 IE Vitamin D3/Tag bis zum zweiten erlebten Frühsommer empfohlen (also je nach Geburtszeitpunkt für die Dauer von einem bis 1,5 Jahren) empfohlen. Ab diesem Zeitpunkt könne man davon ausgehen, dass eine höhere UV-Exposition stattfindet, wodurch die Vitamin-D-Eigensynthese verbessert werde. Außerdem sinke der Bedarf durch das geringere Körperwachstum. Danach betrage die "wünschenswerte Gesamtaufnahme an Vitamin D3" 600–800 IE/Tag. (2)

Bei Risikopatienten wird eine konsequente, oft lebenslange Prophylaxe empfohlen, wie Prof. l’Allemand-Jander berichtet. Das betrifft etwa Kinder mit

  • Zerebralparese
  • Epilepsie (Antiepileptika blockieren die Vitamin-D-Wirkung)
  • Adipositas
  • Malabsorptionssyndromen oder
  • dunkler Hautfarbe.

Gerade bei dunkelhäutigen oder verschleierten Kindern besteht eine besonders hohe Gefährdung, da die Melanin-bedingte Schutzwirkung bzw. Verdeckung der Haut die Vitamin-D-Synthese zusätzlich hemmt.

Bei Ausgleich eines Mangels gilt:

  • maximal 1.000 I.E. täglich bis zum Alter von 6 Monaten
  • maximal 1.500 I.E. täglich bis 12 Monate
  • maximal 2.500 I.E. im 2. und 3. Lebensjahr
  • maximal 3.000 I.E. bis zum 8. Lebensjahr
  • maximal 4.000 Einheiten über 8 Jahren.

Die Gabe sollte mit ausreichender Kalziumzufuhr (z.B. mindestens 3 Milchprodukte pro Tag oder kalziumreiches Mineralwasser) kombiniert werden, um Hypokalzämien und tetanische Krisen zu vermeiden.

Was tun bei einer Überdosierung?

Eine Überdosierung ist ebenfalls gefährlich. Ein Fall aus der Praxis von Prof. l’Allemand-Jander zeigt, dass eine versehentliche Aufnahme von 5.000 Einheiten täglich bei einem Säugling zu Hyperkalzämie und Gedeihstörung führte. Eine stationäre Behandlung inklusive Gabe von Zoledronat war notwendig. Eltern müssen daher geschult und (internetbasierte) Selbstmedikation kritisch hinterfragt werden.

Wann messen?

Indiziert ist die Analyse nur bei konkretem Verdacht oder hohem Risiko – etwa bei Muskelschwäche, Hypokalzämie, auffälligen Frakturen oder chronischen Erkrankungen. Die Diagnose erfolgt insbesondere über den Spiegel der Speicherform als 25-Hydroxyvitamin D, nicht über das aktive 1,25-Dihydroxy-Vitamin D, das labortechnisch schwieriger zu interpretieren ist.

Osteoporose kommt auch im Kindesalter vor

In seltenen Fällen kommt es auch bei Kindern zu einer Osteoporose. Prof. l’Allemand-Jander berichtet von einem Fall eines zehnjährigen Mädchens mit stark eingeschränkter motorischer Funktion aufgrund eines Rett-Syndroms. Unklare Schmerzen und Anfälle führten hier zur Diagnose einer hypokalzämischen Rachitis. Kinderosteoporose ist durch verminderte Knochendichte und Frakturen definiert. Besonders kritisch sind Phasen nach dem pubertären Wachstumsschub.

Eine Ostoporose im Kindesalter ist definiert durch eine verminderte Knochendichte und eine signifikante Frakturanamnese. Als das gelten mehr als zwei Frakturen der Röhrenknochen vor dem zehnten, oder mehr als drei vor dem 19. Lebensjahr. Auch atraumatische Wirbelkörperfrakturen gelten als Hinweis.

Besonders kritisch sind Phasen kurz nach dem pubertären Wachstumsschub, in denen die Mineralisation der rasch wachsenden Knochen hinterherhinkt.

Die Knochendichtemessung erfolgt meist durch die Dual-Energy-X-ray Absorptiometrie (DEXA). Ergebnisse müssen bei Kindern nach Körpergröße korrigiert werden. Dabei helfen Tools wie der "Pediatric Bone Density Calculator". Aber auch die radiologische Bestimmung der Höhe der Wirbelkörper (Genant-Score) ist möglich.

Zur Basisdiagnostik gehören auch Laborparameter wie Kalzium, Phosphat, Magnesium und die alkalische Phosphatase, ergänzt durch die Calcium-Kreatinin-Ratio im zweiten Nüchtern-Morgenurin.

Therapie: Muskelaufbau, Milch und (manchmal) Medikamente

Die Therapie der pädiatrischen Osteoporose hängt von der Ursache ab. Bei primärer Osteoporose, etwa durch eine Osteogenesis imperfecta, ist die genetische Diagnostik entscheidend.

Sekundäre Fragilitätsfrakturen können hingegen durch Immobilität, Medikamente (z.B. Kortikosteroide) oder Mangelernährung verursacht werden. Sie lassen sich oft mit Supplementation und Physiotherapie verbessern. Muskelaufbau ist essenziell, da er das Knochengewebe unterstützt.

Bei schweren Verläufen kommen Bisphosphonate wie Zoledronat zum Einsatz. Diese binden Calcium im Knochen, reduzieren Schmerzen, verbessern die Knochendichte, senken die Frakturrate, und verbessern die Beweglichkeit der Patienten. Auch hier ist Vorsicht geboten. Denn eine Übertherapie kann zu steifen, brüchigen Knochen führen. Ein individuelles, langfristiges Monitoring – mindestens bis zum Erreichen der "peak bone mass" mit rund 20 Jahren – bleibt wichtig.