Response- oder risikoadaptiert beim Multiplen Myelom?
Mit der zunehmenden Einführung moderner Substanzen stehen Onkologen mehr und mehr vor der Frage nach individuellen und zielgerichteten Therapien. Beim Multiplen Myelom basiert die Patientenstratifikation dabei auf der response- und der risikoadaptierten Strategie. Zwei Experten – Priv.-Doz. Dr. Niklas Zojer und Priv.-Doz. Dr. Normann Steiner – fassten auf der OeGHO-Frühjahrstagung 2025 alles Wissenswerte zusammen.

„Ein vielbeachtetes Konzept, aber im Prinzip ein alter Hut“, nennt Priv.-Doz. Dr. Niklas Zojer, Landeskrankenhaus Feldkirch, die response-adaptierte Therapie beim Multiplen Myelom.
Dass Patienten mit tiefer Remissionstiefe – insbesondere bei negativer minimaler Resterkrankung (MRD) – unter Therapie ein längeres progressionsfreies Überleben (PFS) haben als ohne wisse man seit Einführung der autologen Transplantation in den 1990er Jahren.
MRD-Negativität ist keine Heilung
Die Definitionen von kompletter oder stringenter kompletter Remission haben zwar prognostische Relevanz, sind aber willkürliche Festlegungen und „spiegeln keine tiefere biologische Wahrheit wider“, schränkt Zojer gleich zu Beginn ein. Auch wenn immer wieder suggeriert werde, dass MRD-Negativität einer Heilung gleichkomme – de facto markiere sie lediglich die derzeitige Nachweisgrenze der jeweils verwendeten Methode.
So erfassen einzelne Knochenmarksamples nur einen Bruchteil des systemischen Geschehens. Und auch die Labornachweise stoßen an ihre Grenzen – so liegt die Sensitivität der multiparametrischen Durchflusszytometrie bei etwa 1:106, molekulargenetische Verfahren wie das Next Generation Sequencing (NGS) erreichen sogar 1:107. Noch sensitivere Verfahren wie die Liquid Biopsy oder massenspektrometrische Nachweise sind derzeit noch in Entwicklung, könnten aber künftig ein vollständigeres Bild der Krankheitslast abbilden.
MRD als Entscheidungshilfe? Zwei zentrale Fragen
Die zentrale klinische Frage lautet nun, ob der MRD-Status als Grundlage für Therapieentscheidungen beim Multiplen Myelom genutzt werden kann. Hierbei stehen zwei Szenarien im Raum:
- Sollte bei persistierender MRD-Positivität die Therapie intensiviert werden?
- Sollte bei früher MRD-Negativität die Therapie deeskaliert werden?
MRD in der Praxis: Intensivieren ja
Für die erste Frage gibt es inzwischen ausreichende Evidenz, so Zojer. So kann eine Konsolidierungstherapie bei MRD-Positivität die Remissionstiefe deutlich verbessern – speziell im Hochrisikosetting.
Daten zeigen, dass Patienten mit schlechter Prognose (z.B. R-ISS III), die unter einer Behandlung MRD-negativ werden, ein vergleichbares PFS aufweisen wie Patienten mit Standardrisiko. „Umgekehrt trennten sich die Kurven bei fortbestehender MRD-Positivität deutlich – und Hochrisikopatienten rezidivieren früher.“
Auch zytogenetische Hochrisiko-Patienten können heute die MRD-Negativität mit modernen Quadruplet-Therapien erreichen. So zeigte etwa die IsKia-Studie, dass selbst bei Vorliegen von zwei Hochrisikofaktoren noch 80 Prozent der Patienten eine MRD-Negativität erreichten.
Deeskalation? Datenlage derzeit noch limitiert
Mit Vorsicht zu genießen sei allerdings die Deeskalation bei MRD-Negativität, so Zojer. „Die bisherige Datenlage deutet nicht eindeutig darauf hin, dass MRD-negative Patienten auf eine Erhaltungstherapie verzichten können. Im Gegenteil: Auch nach erfolgreicher autologer Transplantation und Konsolidierung profitieren sie von einer Lenalidomid- oder Daratumumab-Erhaltungstherapie.“ Randomisierte Studien zur Deeskalation sind allerdings bereits im Gange (siehe Infokasten).
Ein weiteres Problem: MRD-negative Patienten können wieder MRD-positiv werden („MRD-Resurgence“). Dieses Phänomen tritt bevorzugt bei Hochrisikopatienten auf. Zunehmend etabliert sich daher das Konzept der „sustained MRD negativity“, die eine stabile MRD-Negativität über einen Zeitraum von 12 oder 18 Monaten verlangt. „Die PERSEUS-Studie zeigte, dass dieser Zustand mit modernen Therapien erreicht werden kann – auch bei Patienten mit ungünstiger Zytogenetik.“
Deeskalation im randomisierten Setting
Die kürzlich publizierte pragmatische Studie MRD2STOP zeigte, dass Patienten, die über drei Jahre hinweg MRD-negativ blieben, ihre Erhaltungstherapie beenden konnten, ohne dass sie ihre MRD-Negativität verloren. Weitere Studien wie die MASTER-2 und die MRD-STOP-Studie untersuchen nun im randomisierten Setting, ob eine sichere Behandlungsverkürzung bei stabiler MRD-Negativität möglich ist.
Risikoadaptierte therapeutische Strategien
Die Hochrisikodefinition beim Multiplen Myelom wurde kürzlich im IMF-IMWG-Konsensus 2024 aktualisiert, erinnert Priv.-Doz. Dr. Normann Steiner, PhD, Medizinische Universität Innsbruck.
Ein Patient gilt nun als Hochrisikopatient, wenn mindestens einer der folgenden molekularen oder zytogenetischen Marker vorliegen:
- Deletion 17p oder TP53-Mutation
- 1q-Gain oder Amplifikation
- Translokationen: t(4;14), t(14;16), t(14;20)
- Deletion 1p
- Erhöhtes Beta-2-Mikroglobulin bei normaler Nierenfunktion
Je nach Anzahl und Kombination der Merkmale teilt man Patienten ins Standard-, Hoch- oder Ultrahochrisiko ein.
Auf deren Basis ergeben sich unterschiedliche Therapieansätze, die durch mehrere große randomisierte Studien untermauert sind, z.B.
- PERSEUS (Phase III) zeigte, dass besonders Standardrisikopatienten hohe PFS-Raten mit DARA-VRd hatten.
- GMMG-CONCEPT (Phase II) dokumentierte, dass auch Hochrisikopatienten von Isa-KRd profitierten, auch in der Transplant-ungeeigneten Kohorte.
- IKEMA (Phase III) bestätigte den Nutzen von Isa-KRd im rezidivierten Setting, sowohl im Standard- als auch im Hochrisiko (insbesondere mit 1q-Amplifikation profitierten). Ausgenommen sind Ultra-High-Risk-Patienten.
Empfehlungen für die Praxis (nach Steiner)
Transplant-geeignete Patienten mit neu diagnostiziertem Myelom
- Standardrisiko: DARA-VRd-Induktion, autologe Transplantation, Erhaltung mit DARA-LEN (PERSEUS-Studie)
- Hochrisiko: Isa-KRd (4×), autologe Transplantation, Isa-KRd (4× Konsolidierung), Erhaltung mit ISA-LEN (IsKia-Studie)
- Ultrahochrisiko: Isa-KRd (6×) mit früher Mobilisierung, autologe Transplantation, Isa-KRd (4× Konsolidierung), Erhaltung mit Isa-KRd über 2 Jahre (GMMG-CONCEPT)
Transplant-ungeeignete Patienten (<80 Jahre)
- Bei gutem Allgemeinzustand Therapie mit CD38-Antikörper + LEN (z.B. ISA-LEN), bei fragilen Patienten nur Dubletten (INPUTS-Studie).
Relapsiertes, refraktäres Setting
- Bei fehlender Vorbehandlung mit CD38-Antikörper: Isa-KRd – insbesondere bei 1q-Amplifikation.
- Sonst: CAR-T-Zelltherapie oder weitere moderne Optionen abhängig von Alter, Fitness und Vortherapien.
Steiner N, Zojer N. Pro & Con. Risk vs. Response adapted therapeutic strategies in Multiple Myeloma. ÖGHO Frühjahrstagung 2025, 24. - 26. April 2025, Salzburg