25. März 2025"Weit mehr als nur ein Sammelsurium"

Das Mikrobiom – Schlüssel zu neuen diagnostischen und therapeutischen Ansätzen

Unser Mikrobiom ist ein hochkomplexes Forschungsfeld, das unser Verständnis zahlreicher Erkrankungen verändert hat. Neue Erkenntnisse zeigen, dass es nicht nur für den Darm, sondern auch für Leber, Lunge und sogar Tumorerkrankungen eine zentrale Rolle spielt. Univ.-Prof. Dr. Vanessa Stadlbauer-Köllner gab bei der Tagung Pneumo Aktuell Einblicke in die rezente Forschung.

Symbolbild: Das Lungenmikrobiom unterscheidet sich deutlich vom Darmmikrobiom.
Foto: A-TiMe/AdobeStock
Das Lungenmikrobiom unterscheidet sich deutlich vom Darmmikrobiom.

Das Darmmikrobiom besteht aus mehr als 500 Bakterienarten sowie Viren, Pilzen und Archaeen. Dominierend sind zwar die beiden Bakteriengruppen Bacteroidetes und Firmicutes, allerdings ist die Zusammensetzung des Mikrobioms äußerst individuell. Diese Diversität trägt zur Stabilität und Resilienz des Systems bei.

„Wie in anderen Ökosystemen auch sorgt die Diversität für Widerstandsfähigkeit gegenüber äußeren Einflüssen“, unterstreicht Prof. Stadlbauer-Köllner von der Klinischen Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie der Medizinischen Universität Graz.

Für die Leiterin der Forschungseinheit Translationale Mikrobiommodulation ist das Mikrobiom ihr „Lieblingsthema der Forschung“. Ihre Faszination begründet sie mit der enormen Komplexität und zentralen Bedeutung des Mikrobioms in verschiedenen medizinischen Disziplinen: „Das Mikrobiom eröffnet neue therapeutische Ansatzpunkte und könnte künftig eine bedeutende diagnostische Rolle spielen.“

Univ.-Prof. Dr. Vanessa Stadlbauer-Köllner, Medizinische Universität Graz
Foto: Ch. Jungwirth

Univ.-Prof. Dr. Vanessa Stadlbauer-Köllner, Medizinische Universität Graz

Die Funktionen des Mikrobioms sind nicht nur auf den Magen-Darm-Trakt beschränkt. So bestehen nachweisbare Effekte auch auf das Gehirn und die Lunge. Trotz individueller Unterschiede in der Zusammensetzung ähnelt sich die Funktionalität des Mikrobioms in vielen Aspekten. „Entscheidend sind nicht die einzelnen Bakterienarten, sondern ihre funktionellen Eigenschaften.“

Dysbiose – ein Risikofaktor für zahlreiche Erkrankungen

Externe Faktoren wie Ernährung, Alkohol, Nikotin, Medikamente und bestehende Erkrankungen können das Mikrobiom bzw. dessen Zusammensetzung negativ beeinflussen. Dies kann zu einer Dysbiose führen, die opportunistische Pathogene begünstigt.

Besonders problematisch sei der Verlust der Kolonisationsresistenz, wodurch die Darmbarriere geschwächt wird. „Eine geschwächte Darmbarriere ermöglicht den vermehrten Einstrom bakterieller Metabolite und Endotoxine in den Blutkreislauf. Dies belastet zuerst die Leber, wo Entzündungen und Fibrose entstehen können, hat aber auch Auswirkungen auf die Lunge“, erklärt Prof. Stadlbauer-Köllner.

Darm-Lungen-Achse: Wechselseitige Einflüsse

Die Verbindung zwischen Darm und Lunge wird durch zahlreiche Assoziationsstudien gestützt. Veränderungen des Darmmikrobioms können nicht nur die Leber, sondern auch die Lunge beeinflussen. Eine veränderte Darmflora kann inflammatorische Reaktionen auf Umweltgifte verstärken und zur Entstehung oder Verschlechterung von Lungenerkrankungen beitragen.

Zudem gibt es ein eigenständiges Lungenmikrobiom, das lange Zeit übersehen wurde. Erst moderne Sequenzierungstechniken belegten, dass selbst eine gesunde Lunge ein stabiles Mikrobiom besitzt. Es unterscheidet sich jedoch deutlich vom Darmmikrobiom. (1) „Es weist eine niedrige Dichte und dafür im gesunden Zustand eine hohe Diversität auf. Ist die Diversität reduziert und einzelne Spezies nehmen übermäßig zu, steigt die bakterielle Dichte – ein Zustand, der mit Krankheiten assoziiert wird“, erläutert Prof. Stadlbauer-Köllner.

Ein kürzlich in Nature Reviews Microbiology erschienener Überblicksartikel beschreibt die Rolle des Lungenmikrobioms bei Erkrankungen wie COPD, idiopathischer Lungenfibrose, ARDS und malignen Tumoren. (2)
Mit zunehmendem Verständnis der mikrobiellen Ökologie der Lunge wird immer deutlicher, dass bestimmte Krankheitszustände die mikrobielle Schnittstelle zwischen Wirt stören und letztendlich die Krankheitspathogenese beeinflussen können, schreiben die Autorinnen und Autoren.
Bemerkenswert sei, dass das Mikrobiom der Lunge eine geringe Biomasse aufweise und von dynamischen Flüssen der mikrobiellen Einwanderung und Clearance dominiert wird, was zu einer bakteriellen Belastung und Mikrobiomzusammensetzung führt, die von Natur aus fließend und nicht fest ist.

Mikrobiom und Tumorerkrankungen

Bakterielle Bestandteile und Metaboliten können auch in die Pathogenese von Lungentumoren involviert sein, indem sie das Tumor-Mikroenvironment und onkogene Pathways beeinflussen. „Bakterien können Stoffwechselprodukte freisetzen, die Angiogenese fördern, DNA-Schäden verursachen oder die Tumorprogression beeinflussen“, erklärt Prof. Stadlbauer-Köllner. (1) Zudem beeinflussen bakterielle Metaboliten das Immunsystem und können so die Immunabwehr gegen Tumorzellen schwächen.

Intratumorales Mikrobiom: Freund oder Feind?

Bakterien konnten nicht nur im Darm, sondern auch innerhalb von Tumorgeweben nachgewiesen werden. Besonders überraschend ist, dass bestimmte Bakterien wie E. coli im nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinom mit einem besseren Überleben assoziiert sind. Dies zeigt, dass das Mikrobiom auch potenziell schützend wirken kann.

Besonderes Interesse gilt seit einigen Jahren dem Einfluss des Darmmikrobioms auf die Immuntherapie. Die Mikrobiom-Zusammensetzung kann vor Therapiebeginn das Ansprechen auf die Behandlung vorhersagen. Wenn die Diversität des Darmmikrobioms hoch ist, wurde in Studien auch ein besseres Ansprechen auf Immun-Checkpoint-Inhibitoren (ICI) beobachtet. (3)

„Ab 2019 führte dies zu einem regelrechten Hype und zu Spekulationen über den klinischen Einsatz von Stuhltransplantationen zur Verbesserung des Therapieansprechens. Bis heute gibt es jedoch keine bahnbrechenden klinischen Durchbrüche in diesem Bereich“, gibt Prof. Stadlbauer-Köllner zu bedenken.

Auch der Einfluss von Antibiotika auf die Immuntherapie wurde untersucht. (4) Während frühere Studien auf eine verschlechterte Überlebensrate z. B. beim nicht-kleinzelligen Bronchuskarzinom bei vorheriger Antibiotikagabe hinwiesen, legen neuere Analysen nahe, dass Antibiotika eher ein Marker für fortgeschrittene Erkrankungen als eine direkte Ursache für ein schlechteres Therapieansprechen sind.

Covid-19 und das Mikrobiom

Die Pandemie hat das Interesse an der Rolle des Mikrobioms weiter angeheizt. So konnte gezeigt werden, dass eine Dysbiose mit schweren Covid-19-Verläufen assoziiert sein kann. (5) Es wurde dabei eine Abnahme von Kommensalen und eine Zunahme von Pathogenen mit funktionellen Veränderungen beobachtet, die bis zu zwei Monate nach der Infektion bestanden.

Weiters besteht ein Zusammenhang zwischen Mikrobiom und Sepsisrisiko. „Dies gilt jedoch nicht nur für Covid-19, sondern für viele intensivmedizinisch behandelte Personen“, so Prof. Stadlbauer-Köllner.

Untersuchungen an der Medizinischen Universität Graz ergaben, dass selbst leichte Covid-19-Verläufe das Mikrobiom verändern können. (6) Eine probiotische Behandlung führte zwar zu einer Veränderung des Mikrobioms, jedoch beeinflusste sie den Krankheitsverlauf nicht signifikant. Bei schweren Covid-19-Verläufen zeigte sich das Mikrobiom noch zehn Monate nach Genesung verändert. Erste Ergebnisse weisen allerdings darauf hin, dass eine gezielte Modulation des Mikrobioms positive Effekte auf Lebensqualitätsparameter wie Fatigue haben könnte. (7)

Nikotin und Umweltgifte

Nikotin beeinflusst nicht nur die Lunge, sondern auch die Leber und den Darm. „Nikotin-Metabolite können zur Fibrose und Entzündung in der Leber beitragen“, erklärt Prof. Stadlbauer-Köllner. Eine vielversprechende Entdeckung ist das Darmbakterium Bacteroides xylanisolvens, das Nikotin abbaut und möglicherweise schädliche Stoffwechselprodukte reduziert. (8)

Auch die Interaktion des Mikrobioms mit Umweltgiften sei ein spannendes Forschungsgebiet. Eine rezente Untersuchung zeigte, dass Personen mit höherer Mikrobiom-Diversität nach Inhalation von Dieselabgasen weniger inflammatorische Reaktionen zeigten – ein Effekt, der sich in Tiermodellen bestätigte. (9)

Jedenfalls, fasst Prof. Stadlbauer-Köllner zusammen, sei das Mikrobiom weit mehr als nur ein „Sammelsurium von Bakterien“, sondern ein Schlüssel zur besseren Diagnose und Therapie verschiedenster Erkrankungen.

Quelle: „Pneumo meets Gastroenterologie und Hepatologie“, Vortrag im Rahmen der 12. Pneumo Aktuell der Österreichischen Gesellschaft für Pneumologie (ÖGP), Wien, 25.1.25

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin CliniCum pneumo