„Ganz klar kein Todesurteil“
Anlässlich des Welttages zum Triple-Negativen Brustkrebs (TNBC) haben wir bei Dr. Arik Galid, Abteilungsvorstand der Abteilung für Gynäkologie am Hanusch-Krankenhaus und Koordinator des dortigen Brustzentrums, nachgefragt, was diese Diagnose so herausfordernd macht und welche Fortschritte Ärzte und Patientinnen in den vergangenen Jahren beim TNBC erlebt haben.
Dr. Galid, gab es einen Moment in Ihrer Karriere, der Sie besonders geprägt hat, insbesondere im Umgang mit dem Triple-Negativen Brustkrebs?
Ja, den gab es. Ich sage immer, es gibt jedes Jahr ein bis zwei Patientinnen, die man mit nach Hause nimmt, weil sie einen nicht mehr loslassen. Eine Patientin bleibt mir besonders im Gedächtnis: eine junge Mutter, selber in der Pharmaindustrie tätig, die mit einer unklaren Brustveränderung kam. Die Abklärung zog sich lange hin, bis schließlich eine Biopsie ergab, dass es sich um einen Triple-Negativen Brustkrebs handelte.

„Wenn eine Patientin das Arztzimmer verlässt, nimmt sie vielleicht nur 20 bis 25 Prozent der Informationen mit“, sagt Dr. Arik Galid, Abteilungsvorstand der Abteilung für Gynäkologie am Hanusch-Krankenhaus und Koordinator des dortigen Brustzentrums
Trotz früher Operation und intensiver Chemotherapie verschlechterte sich ihr Zustand rapide. Dennoch bewahrte sie sich während der gesamten Behandlung ihren Lebensmut und ihre Positivität. Umso eindrücklicher war ein Anruf, den ich eines Morgens um 8:30 Uhr erhielt: Sie erzählte mir, dass sie auf dem Weg zur Therapie absichtlich versucht hatte, ihr Auto gegen einen Baum zu lenken. Zum Glück blieb es bei dem Versuch. Drei Monate später verstarb sie dennoch an der Erkrankung. Diese Geschichte zeigt, wie emotional belastend diese Diagnose ist, selbst für die stärksten Frauen.
Wenn Sie eine einzige Botschaft an Patienten und Fachkollegen zum TNBC senden könnten, was wäre das?
Die erste Reaktion vieler Patientinnen nach der Diagnose ist, sofort zu googeln. Leider vermittelt das Internet oft den Eindruck, dass ein TNBC gleichbedeutend mit einem Todesurteil ist. Das ist falsch. TNBC ist zwar aggressiv, aber gerade 2025 verfügen wir über exzellente Behandlungsansätze, die die Prognosen erheblich verbessert haben. Es ist essenziell, betroffenen Frauen ihre Angst zu nehmen und ihnen realistische, aber hoffnungsvolle Perspektiven aufzuzeigen.
Die Forschung hat in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht. Was waren für Sie die bedeutendsten Meilensteine?
Einer der größten Durchbrüche war die Einführung der Immuncheckpoint-Inhibitoren, besonders in der neoadjuvanten Therapie. Heutzutage erhalten die Patientinnen vor der Operation eine Kombination aus vier Chemotherapie-Substanzen und einem Immuncheckpoint-Inhibitor, mit dem Ziel, mit dem „besten am Anfang“ eine pathologische Komplettremission zu erreichen. Auch die PARP-Inhibitoren stellen für Patientinnen mit BRCA-Mutationen einen bedeutenden Fortschritt dar. Und nicht zu vergessen: Die Antikörper-Wirkstoff-Konjugate im metastasierten Stadium. Diese Therapieoptionen haben uns neue Perspektiven eröffnet, wo es vorher kaum wirksame Alternativen gab.
Gibt es neue Nebenwirkungen durch die modernen Therapien?
Ja, insbesondere durch neue Substanzklassen sehen wir Nebenwirkungen, die wir früher so nicht kannten. Dazu zählen insbesondere endokrinologische Störungen durch Immuntherapien, die sich auf die Funktion der Schilddrüse oder Nebennieren auswirken können. Außerdem beobachten wir unter bestimmten Therapien vermehrt interstitielle Lungenerkrankungen.
Die Vielfalt der Nebenwirkungen macht es für uns Gynäkologen oder Chirurgen, die natürlich weniger internistische Grundkenntnisse haben, dabei erforderlich, sensibel zu sein gegenüber neu auftretenden Symptomen. Um potenzielle Nebenwirkungen rechtzeitig zu erkennen und zu behandeln, ist aber auch eine enge Zusammenarbeit mit den klinischen Onkologen und anderen Fachrichtungen essenziell.
Trotz neuer Therapien gibt es weiterhin ungelöste medizinische Bedürfnisse. Wo sehen Sie den größten Handlungsbedarf?
Sobald der TNBC metastasiert, geht es nicht mehr um Heilung, sondern darum, eine aggressive Erkrankung in Schach zu halten. Nach Antibody-Drug-Konjugaten bleiben oft nur klassische Chemotherapien als Option übrig – und diese sind nicht immer effektiv. Anders als beim Hormonrezeptor-positiven Brustkrebs fehlt es uns beim TNBC aktuell noch an spezifischen zielgerichteten Therapien.
Welche neuen Therapieoptionen könnten in den kommenden Jahren wegweisend sein?
Besonders vielversprechend sind die Weiterentwicklungen bei Antibody-Drug-Konjugaten, den PARP-Inhibitoren und im Bereich neuer Ansätze für das metastasierte Setting, von denen wir in den kommenden Jahren noch viel hören werden.
Es gibt aber auch Ansätze, die darauf abzielen, das Risiko für TNBC bei genetisch vorbelasteten Frauen zu senken. Beispielsweise läuft derzeit eine Studie innerhalb der Austrian Breast & Colorectal Cancer Study Group (ABCSG), die untersucht, ob Denosumab, ein RANK-Ligand-Inhibitor, bei Frauen mit BRCA-Mutationen das Risiko für die Entwicklung einer Krebserkrankung senken kann.
Welche Rolle spielt die psycho-onkologische Betreuung bei TNBC-Patientinnen?
Eine sehr wichtige. Jede Patientin sollte meiner Meinung nach heute bereits im ambulanten Setting des Brustzentrums die Möglichkeit bekommen, Kontakt zu einer Psycho-Onkologin oder Breast-Care-Nurse aufzunehmen. Besonders direkt nach der Diagnose ist der emotionale Druck enorm. Die Psycho-Onkologen sind idealerweise bereits bei der Befunderteilung dabei und helfen Patientinnen im Nachgang, das Gehörte zu verarbeiten und Fragen zu klären, die diese sich nicht trauen, dem Arzt direkt zu stellen (mehr zur Bedeutung der psychoonkologischen Betreuung, siehe Kasten).
Auch Breast-Care-Nurses leisten wertvolle Aufklärungsarbeit, indem sie Frauen vor Ort durch den Therapieprozess begleiten. Zudem gibt es eine emotionale Komponente – mit der Breast-Care-Nurse haben Patientinnen eine Vertrauensperson, die sie durch die Therapiezeit begleitet.
Welche Faktoren beeinflussen die Lebensqualität der Patientinnen nach der Therapie?
Die Nachsorgeuntersuchungen sind für viele Betroffene essenziell, insbesondere in den ersten zwei bis drei Jahren nach der Therapie, in denen das Rezidivrisiko am höchsten ist.
Für viele junge Patientinnen ist außerdem der Kinderwunsch ein zentraler Aspekt ihrer Zukunftsplanung. Viele Patientinnen mit einer Genmutation und einem TNBC haben bereits ein Kind, möchten aber nach der Therapie noch ein zweites oder drittes bekommen. Sie fragen oft schon vor der Behandlung: „Wann kann ich wieder schwanger werden?“ Bei vielen Frauen in den 30ern kehrt nach Beendigung der Chemotherapie die Menstruation schnell wieder zurück, sodass sie ihren Kinderwunsch realisieren können.
Insbesondere beim Vorliegen einer BRCA-Mutation überlegen sich Frauen außerdem oft genau, wann sie eine prophylaktische Brustentfernung vornehmen lassen. Manche Patientinnen entscheiden sich bewusst, vorerst nur die betroffene Brust entfernen zu lassen, um noch einmal stillen zu können – danach fällt ihnen die prophylaktische Entfernung der anderen Brust leichter. Das ist eine Entscheidung, die nicht nur medizinisch, sondern auch emotional enorm bedeutend ist.
Welche Rolle spielen Lebensstilfaktoren in der Prävention und Nachsorge?
Ein gesunder Lebensstil kann das Risiko für Brustkrebs insgesamt senken und das Risiko eines Rückfalls minimieren. Besonders regelmäßige Bewegung – etwa im Umfang von dreimal wöchentlich 20 Minuten – hat sich als vorteilhaft erwiesen. Im Rahmen der onkologischen Rehabilitation erhalten Patientinnen beispielsweise gezielt Unterstützung, um ihren Lebensstil langfristig zu verbessern.
Neben Sport haben aber auch Ernährung, ein gesunder Schlafrhythmus, Alkohol- und Nikotinreduktion und das Vermeiden von Übergewicht sind Faktoren einen Präventionseffekt und können sich positiv auf den Verlauf einer Krebserkrankung auswirken.
Vielen Dank für das Interview!
Bessere Lebensqualität durch psychoonkologische Betreuung
In den vergangenen Jahren machten mehrere Studien deutlich, wie wichtig psychosoziale Betreuung – insbesondere durch Psychoonkologen und Breast-Care-Nurses – für das emotionale Wohlbefinden von Brustkrebspatientinnen ist.
So zeigte etwa eine systematische Übersichtsarbeit1 anhand einer Metaanalyse von 32 Studien, dass psychosoziale Interventionen signifikante Verbesserungen bei Angst, Depression, Lebensqualität und Schlafstörungen erzielen können. Dabei erwies sich besonders die kognitive Verhaltenstherapie als wirksam, um psychische Belastungen nach der Operation zu verringern.
Ähnliches ging aus einer randomisierten Studie hervor, die die Wirksamkeit psychoedukativer Interventionen während der Chemotherapie untersuchte.2 Patientinnen aus der Interventionsgruppe wiesen nach fünf Behandlungszyklen eine deutliche Reduktion von Angst und Depression auf, sowie eine verbesserte Resilienz und Lebensqualität. Dabei zeigte sich die Kombination aus Aufklärung, Selbstmanagement-Training und psychosozialer Unterstützung besonders wirksam.
1 Matthews H et al. Psychooncology. 2017; 26 (5): 593-607.
2 Wu PH et al. J Nurs Res. 2018; 26 (4): 266-279.
Das Interview wurde redaktionell im Zuge einer Veranstaltung bei Gilead Sciences, Wien, anlässlich des Triple Negative Breast Cancer Days am 3. März 2025 durchgeführt