28. Feb. 2025Die unterschätzte psychische Belastung von Kindern mit Übergewicht und Adipositas

„Iss weniger“ hilft nicht

Kinder mit Übergewicht oder Adipositas haben nicht nur gesundheitliche Herausforderungen, sondern leiden oft auch unter erheblichen psychischen und gesellschaftlichen Belastungen. Mobbing, Ausgrenzung und Schuldzuweisungen verstärken die Problematik zusätzlich. Die pauschale Empfehlung „Iss weniger“ ist dabei nicht nur wenig hilfreich, sondern kann sogar kontraproduktiv sein. Stattdessen braucht es einen differenzierten und empathischen Umgang mit betroffenen Kindern sowie Maßnahmen auf verschiedenen Ebenen. Die neue Adipositas-Klassifikation bietet hier nur bedingt eine Lösung.

Konzept Adipositas.
Abbildung: alisseja/AdobeStock

In den letzten Jahrzehnten haben Übergewicht und Adipositas dramatisch zugenommen. Besonders bei Kindern und Jugendlichen beobachten wir Ärzte hier einen alarmierenden Trend, der wohl langfristige gesundheitliche und gesellschaftliche Folge haben wird.

Um dem entgegenzuwirken, ist vor allem Prävention entscheidend. Denn wir wissen mittlerweile zwar, dass einer übermäßigen Gewichtszunahme im Kindesalter mit rechtzeitiger Ernährungsanpassung und Bewegung noch gut entgegengewirkt werden kann. Mit Abschluss der Pubertät gestaltet sich dies allerdings erheblich schwieriger.

Psychische Bedeutung unterschätzt

Adipositas ist für Kinder und Jugendliche weit mehr als ein ästhetisches Problem. Sie kann nicht nur zu schweren Stoffwechselerkrankungen und orthopädischen Belastungen führen, sondern auch gravierende Auswirkungen auf die psychische Gesundheit haben.

Denn gerade in der Phase der sozialen Integration spielt das Gewicht eine entscheidende Rolle. Kinder mit Adipositas erleben dabei häufig Ausgrenzung und Hänseleien, was ihr Selbstwertgefühl erheblich beeinträchtigen und langfristig zu ernsthaften psychischen Problemen führen kann. Auch schulische Leistungen können darunter leiden.

Enttäuschend ist in diesem Zusammenhang, dass psychosoziale Faktoren in der aktuellen Neuklassifikation der Adipositas bei Kindern und Jugendlichen kaum berücksichtigt werden.

Die neue Klassifikation unterscheidet erstmals zwischen „gesunder Adipositas“ – also einem hohen BMI, der auf Muskelmasse zurückzuführen ist (ohne metabolische Komplikationen) – und „klinischer Adipositas“, die durch vermehrte Fettansammlungen, insbesondere im Bauchbereich, gekennzeichnet ist. Behandlungsbedarf besteht laut der Publikation jedoch nur bei Vorliegen körperlicher Symptome. Dabei wäre es essenziell, Adipositas nicht isoliert als medizinisches Problem zu betrachten, sondern auch psychosoziale Aspekte angemessen zu berücksichtigen – insbesondere bei Kindern und Jugendlichen.

Warum „Iss weniger“ wenig zielführend ist

Heute wissen wir, dass Adipositas das Ergebnis eines komplexen Zusammenspiels aus genetischen, sozialen und psychischen Faktoren ist, die in Diagnostik und Behandlung einbezogen werden müssen. Dennoch hören betroffene Kinder und Jugendliche oft den wenig hilfreichen Rat, „einfach weniger zu essen“. Diese Empfehlung ist nicht nur ineffektiv, sondern weist auch dem betroffenen Kind die alleinige Schuld zu und kann bestehende psychische Probleme noch verstärken.

Stattdessen sind Maßnahmen zur Früherkennung notwendig. Neben der Erfassung von Größe, Gewicht und BMI sollten regelmäßig Untersuchungen zur Körperzusammensetzung erfolgen, um das Verhältnis von Fett- zu Muskelmasse zu bestimmen. Ergänzende Tests wie Blutdruckmessungen und metabolische Screenings, etwa ein oraler Glukosetoleranztest, helfen, Risiken frühzeitig zu identifizieren.

Ebenso wichtig ist eine enge Zusammenarbeit von Ärzten, medizinischem Fachpersonal, Eltern und Lehrkräften, um problematische Entwicklungen rechtzeitig zu erkennen. Dabei sollten Behandelnde stets empathisch auf die Lebenssituation der Kinder eingehen und gemeinsam mit den Eltern individuelle Lösungen erarbeiten. Diese sollten neben einer bewussten Ernährungsanpassung auch die Stärkung des Selbstwertgefühls, eine unterstützende Familienstruktur und passende Bewegungsangebote umfassen.

Die Rolle der Schulärzte

Eine entscheidende Rolle in der Adipositasprävention kommt dabei den Schulärzten zu, die Kinder regelmäßig untersuchen. Besonders sinnvoll wäre es, wenn schulärztliche Daten anonymisiert publiziert würden, um ein besseres Bild der tatsächlichen Prävalenz von Übergewicht und Adipositas an österreichischen Schulen zu erhalten. Derzeit fehlen, wie in vielen anderen Ländern, verlässliche und flächendeckende Daten, die gezielte Präventionsmaßnahmen ermöglichen und deren Wirksamkeit evaluierbar machen würden.

Empfehlung: Diplom für Ernährungsmedizin der österreichischen Ärztekammer

Das Österreichische Akademische Institut für Ernährungsmedizin bietet Ärztinnen und Ärzten die Möglichkeit einer Zusatzausbildung in Ernährungsmedizin.

Die Ausbildung vermittelt fundiertes Wissen über die Zusammenhänge zwischen Ernährung, Krankheitsentstehung, Behandlung und Prävention. Dazu gehören unter anderem:

  • Diagnostik ernährungsbedingter Erkrankungen
  • Therapie auf Basis ernährungsmedizinischer Erkenntnisse
  • Prophylaxe ernährungsabhängiger Erkrankungen