Genderaspekte bei sexuell übertragbaren Infektionen
Die Symptomatik, der Krankheitsverlauf und das Risiko für Komplikationen unterscheiden sich bei sexuell übertragbaren Infektionen (STIs, STDs) zwischen Männern und Frauen oft deutlich, was sowohl diagnostische als auch therapeutische Herausforderungen mit sich bringt.
Während Männer bei vielen STIs häufiger und stärkere Symptome verspüren, bleiben Frauen oft asymptomatisch. Das erschwert die Diagnose und das Risiko für schwerwiegende Komplikationen steigt, insbesondere auch in der Schwangerschaft.
Eine angepasste und geschlechtsspezifische Diagnostik und Therapie seien daher essenziell, betont Dr. Claudia Heller-Vitouch, Pilzambulatorium Hietzing, Wien, und Vizepräsidentin der Österreichischen Gesellschaft für STD und dermatologische Mikrobiologie (ÖGSTD). In ihrem Vortrag verdeutlicht die Vorsitzende der International Union against Sexually Transmitted Infections (IUSTI) Europe die Relevanz von Genderaspekten bei STIs.
Trichomoniasis
Trichomonas vaginalis ist die weltweit häufigste nicht-virale STI. Laut WHO übertrifft ihre Prävalenz sogar Chlamydien, Gonorrhoe und Syphilis zusammen. „Wir sehen es in unseren Ordinationen allerdings recht selten, da die Prävalenz sehr unterschiedlich ist“, berichtet Heller-Vitouch. Die Symptomatik unterscheidet sich zwischen den Geschlechtern deutlich:
- Bei Männern bleibt die Infektion oft unbemerkt. Symptome wie Ausfluss aus der Harnröhre oder Beschwerden beim Wasserlassen sind selten und mild. Männer über 30 sind häufiger betroffen. Durch den verstärkten Einsatz der PCR-Diagnostik wird die Infektion inzwischen allerdings häufiger diagnostiziert. „Wir finden die Trichomaden jetzt bei Männern, auch wenn sie asymptomatisch sind.“
- Bei Frauen äußert sich die Infektion typischerweise durch starken Pruritus, Erytheme und einen charakteristischen, putrid-schaumigen Ausfluss. Die Diagnose erfolgt meist aufgrund der auffälligeren Symptomatik.
Metronidazol oder Tinidazol sind die Mittel der Wahl. Die österreichischen Richtlinien empfehlen, auch asymptomatische Partner:innen zu behandeln. „Die Trichomonias ist tatsächlich bzgl. Symptomen auf der Seite der Frauen. Männer sind eher nur Überträger.“
Postexpositionsprophylaxe mit Doxycyclin (Doxy PEP)
Die Doxy PEP ist ein relativ neuer Ansatz zur Prävention von STIs. Studien bei MSM und Transgender-Frauen (TGW) haben gezeigt, dass die einmalige Einnahme von 200 mg Doxycyclin innerhalb von 24–72 Stunden nach einem Risikokontakt zu einer signifikanten Reduktion der Inzidenz für Chlamydien (70–89 % Reduktion) und Syphilis (73–87 % Reduktion) führt. Auch eine Reduktion der Inzidenz von Gonorrhoe wurde beobachtet, sofern in der Population die Tetracyclin-Resistenz niedrig war.
Risiken: Trotz der Wirksamkeit bestehen Bedenken hinsichtlich der Entstehung von Antibiotikaresistenzen und der Auswirkungen auf das Mikrobiom. Daher wird eine generelle Anwendung derzeit nicht empfohlen. In Einzelfällen, insbesondere bei Hochrisikogruppen, kann Doxy PEP erwogen werden.
Gonorrhoe
Das gramnegative Bakterium Neisseria gonorrhoeae (Gonococcus neisseri, Micrococcus gonorrhoeae) verursacht besonders starke geschlechtsspezifische Unterschiede in der Symptomatik:
- Bei Männern sind in 90% der Fälle Symptome wie eitriger Ausfluss aus der Harnröhre oder Schmerzen beim Wasserlassen zu beobachten. Die Infektion wird somit oft früh erkannt und behandelt.
- Bei Frauen verläuft die Infektion in >50% der Fälle asymptomatisch oder mit unspezifischen Symptomen wie vaginalem Ausfluss, Dysurie oder leichten Unterbauchschmerzen. „In der Regel wird die Gonokokken Zervizitis von Frauen nicht wahrgenommen“, beschreibt die Dermatologin. Dadurch wird Gonorrhoe bei Frauen oft erst spät diagnostiziert, was zu Komplikationen wie Endometritis, Salpingitis und in weiterer Folge Unfruchtbarkeit führen kann. Auch die disseminierte Infektion wird aufgrund der späten Diagnose in der Regel meist bei Frauen beobachtet. „Sie ist zwar selten, aber es ist wichtig, dass man sie erkennt.“
Komplikationen in der Schwangerschaft: Gonokokken können während der Geburt auf das Neugeborene übertragen werden und in den ersten drei Lebenstagen eine Gonoblenorrhoe verursachen. Die schwere Augeninfektion kann zu Hornhautulcus, Perforation und Erblindung führen. Prophylaktische Testung bzw. lokale Antibiotika-Gabe (Crede’sche Prophylaxe) sind daher nach wie vor essenziell.
Testung und Resistenz. Auch bei der Testung gib es Gender-Unterschiede. Während die Sensitivität des Point-Of-Care(POC)-Tests (Gram-Färbung oder Methylenblaufärbung) bei symptomatischen Männern 90–95% beträgt, liegt sie bei asymptomatischen Männern nur mehr bei 50–75% und sinkt bei Frauen weiter deutlich. Heller-Vitouch: „Wir greifen oft auf die PCR zurück, die eine hohe Sensitivität und Spezifität aufweist.“
Zur Resistenzprüfung ist allerdings eine Kultur nötig. „Wir machen in unseren Ambulatorien daher immer eine Dreifachtestung“, da sich Resistenzen, z.B. für Ciprofloxatin in „schwindelnden Höhen“ befinden. Auch Azithromycin komme nicht mehr infrage, da Resistenzen in bis zu 20% der Proben vorliegen. Erfreulicherweise sei hingegen die Cefixim-Resistenz wieder deutlich gesunken: „Das sehen wir derzeit fast gar nicht mehr.“
Für Ceftriaxion ist die Resistenzlage weiterhin sehr gut und wird in den Therapieleitlinien der ÖGSTD von 2021 als Einzeltherapie empfohlen. Allerdings gab es in Österreich 2023 einen Fall von Cetriaxon-Resistenz von einem Keim, der in Thailand akquiriert wurde, berichtet Heller-Vitouch. Der Keim war auch gegen Cefixim, Azithromycin, Tetracyclin und Ciprofloxacin resistent. „Keime halten sich bekanntlich nicht an Grenzen und das wird uns in den nächsten Jahren noch beschäftigen.“ Die Zahl der Gonorrhoe-Fälle steigt seit Jahren, wobei 2022 mehr als die Hälfte der berichteten Fälle in Europa auf Infektionen bei Männern, die Sex mit Männern haben (MSM), zurückzuführen war. Den deutlichsten Anstieg verzeichnen die European Centers for Disease Control (ECDC) jedoch bei jungen heterosexuellen Frauen.
Syphilis
Die Syphilis (Treponema pallidum) ist das diagnostische Chamäleon unter den STIs und steigt in Österreich und Europa (von 2013–2022 +81%; The European Surveillance System, TESSy) sehr stark an, insbesondere unter MSM. Auch in den USA ist ein Anstieg zu beobachten, zunehmend auch bei heterosexuellen Frauen, von 2017–2021 berichtete die CDC (Centers for Disease Control and Prevention) von einem Plus von 217,4%, so Heller-Vitouch. „Das ist ein Alarmzeichen. In Amerika wird bereits von einer heterosexuellen Syphilisepidemie gesprochen.“ In den USA zeigt sich parallel dazu ein besorgniserregender Anstieg der kongenitalen Syphilis.
- Bei Männern zeigt sich Syphilis oft durch eine primäre Läsion (Ulcus) am Genital, die gut erkennbar ist und frühzeitig zur Diagnose führt.
- Bei Frauen bleibt die Infektion häufig unbemerkt, insbesondere wenn die Läsionen im Vaginal- oder Zervikalbereich auftreten, da der syphilitische Primäraffekt in der Regel schmerzlos ist. Dies erhöht das Risiko für eine unerkannte Ausbreitung der Krankheit, was zu schweren Komplikationen führen kann.
Diagnostik: Die Diagnostik der primären Syphilis erfolgt heute vorrangig durch moderne Methoden wie die PCR, die auch bei extragenitalen Proben eine hohe Sensitivität und Spezifität aufweist. In Österreich ist die serologische Syphilis-Diagnostik Teil des Mutter-Kind-Passes, was entscheidend zur Prävention der kongenitalen Syphilis beiträgt, denn, so Heller-Vitouch, „auch ein Fall ist ein Fall zu viel!“ Eine Dunkelfelduntersuchung aus dem oralen Bereich sei nicht sinnvoll, da im Mundbereich immer auch andere Treponemen gefunden werden können.
Chlamydieninfektion
Chlamydieninfektionen (Chlamydia trachomatis) steigen seit den 1990er Jahren ebenfalls an, wobei auch hier Frauen häufiger asymptomatisch bleiben und dadurch ein höheres Risiko für Komplikationen haben. Bei den 18- bis 26-Jährigen wird die Prävalenz auf 3–7,3% geschätzt.
- Bei Männern tritt Chlamydia trachomatis häufig in Form einer Non-Gonococcal Urethritis (NGU) auf, mit Symptomen wie Ausfluss und Dysurie. Bei Männern ist die Symptomatik meist ausgeprägter, was zu einer frühzeitigen Diagnose führt.
- Bei Frauen bleibt die Infektion in 70–95% der Fälle asymptomatisch. Wenn Symptome auftreten, äußern sie sich oft durch Dysurie, Zwischenblutungen oder Unterbauchbeschwerden. Bei Frauen kann eine unbehandelte Chlamydieninfektion zu einer Beckenentzündung (Pelvic Inflammatory Disease, PID) führen, die mit chronischen Unterbauchschmerzen, ektopen Schwangerschaften und Unfruchtbarkeit einhergehen kann. In der Schwangerschaft erhöht eine Infektion das Risiko für Fehlgeburten, Frühgeburten und eine intrapartale Transmission auf das Neugeborene, die in 40% eine Konjunktivitis oder in ca. 10% eine interstitielle Pneumonie verursachen kann.
Bakterielle Vaginose (BV)
Die BV ist eine häufige Ursache für vaginale Beschwerden bei Frauen, aber es bleibt in Diskussion, ob sie tatsächlich als sexuell übertragbare Infektion zu betrachten ist. Symptome sind ein cremig-grauer Ausfluss, Dysurie und ein fischiger Geruch, ausgelöst durch eine Dysbalance des vaginalen Mikrobioms. BV tritt meist bei sexuell aktiven Frauen auf, Promioskuität sowie Sex ohne Kondom sind Risikofaktoren. Bei WSW sind häufig beide Partnerinnen betroffen.Es gebe bislang keinen Hinweis dafür, dass durch Behandlung des männlichen Sexualpartners das Rezidivrisiko, das bei knapp 70% liegt, gesenkt werden kann. BV kann lokal oder oral mit Clindamycin oder Metronidazol behandelt werden.
Adenoviren
Adenoviren sind eine wichtige Ursache für non-gonococcal non-chlamydial Urethritis bei Männern. Die Prävalenz bei Männern mit NGU beiträgt 2–4%. Symptome sind Meatitis und Konjunktivitis. Typisch ist eine saisonale Häufung im Herbst und Winder nach kondomlosem insertivem Oralverkehr. Adenoviren heilen komplikationslos ab.
Take-Home Messages
STIs sind bei Frauen häufig asymptomatisch. Wenn Frauen betroffen sind, besteht Gefahr für die Fertilität und Gravidität bzw. für eine Infektion während der Geburt. „Zum Genderaspekt können wir sagen, dass bei STIs die Symptome eher beim Mann sind, die Komplikationen aber eher bei der Frau“, so das Fazit der Dermatologin.
MSM haben ein erhöhtes Risiko für manche STIs. „In der Community selbst ist es den Betroffenen sehr wichtig, nicht als wandelndes STI-Risiko betrachtet zu werden und wir sollten das auch nicht so sehen. Wie wir auch bei den Mpox gesehen haben, ist die Community meist sehr gut organisiert und weiß über die Risiken Bescheid,“ betont Heller-Vitouch abschließend.
Praktisches Krankheitsmanagement – STI, Vortrag im Rahmen der Fortbildungs-woche für praktische Dermatologie und Venerologie (FOBI), München, 11.7.24