Psychotherapie lohnt sich in jedem Alter
Leiden betagte Patientinnen und Patienten an Depression, gibt es bei der pharmakologischen Behandlung einige Fallstricke zu beachten. Niedergeschlagenheit und Apathie können auch auf eine beginnende Demenz hindeuten. In jedem Fall profitieren die Betroffenen von einer Psychotherapie.
Im Alter weisen viele Menschen Anzeichen einer Depression auf: Rund ein Viertel der 70- bis 100-Jährigen leidet der Berliner Altersstudie zufolge an einer subdiagnostischen Depression. Einen „Lebensüberdruss“ äußerten 13 % der Befragten; die Prävalenz der schweren depressiven Störung betrug ca. 5 %. In Heimen und Spitälern sind diese Zahlen noch deutlich höher.
Grundsätzlich richtet sich die Behandlung nach dem Schweregrad der Erkankung und den geltenden Leitlinien. Doch gerade Antidepressiva haben im Alter ihre Tücken, erklärte Prof. Dr. Tillmann Supprian, Gerontopsychiatrie des LVR-Klinikums Düsseldorf. So müsse man bei der Pharmakotherapie einer Altersdepression auf einige häufige Komplikationen achten. Kardial seien das etwa eine QTc-Verlängerung oder Tachykardien. Auch die ohnehin bei betagten Patientinnen und Patienten oft bestehende Obstipation kann durch eine antidepressive Medikation verstärkt werden. SSRI erhöhen zudem in Kombination mit ASS oder Clopidogrel das Risiko für intrakranielle Blutungen.
Ein weiteres Problem ist die Hyponatriämie. Nicht nur Venlafaxin, sondern auch viele andere Antidepressiva können diese hervorrufen. Sie tritt häufiger bei Frauen auf, die gleichzeitig Diuretika nehmen. Das klinische Bild ist meist unspezifisch mit Apathie, Verwirrtheit, Übelkeit, Muskelkrämpfen oder epileptischen Anfällen. Bei der Kombination von Antidepressiva mit Thiaziden, Spironolacton, Carbamazepin und ACE-Hemmern ist dem Referenten zufolge besondere Vorsicht geboten.
Nehmen die Patientinnen und Patienten SSRI zusätzlich zu anderen serotonergen Pharmaka ein, etwa Opiaten oder Triptanen, droht ein Serotoninsyndrom. Die Betroffenen sind unruhig und ihr Gesicht ist gerötet, es können Übelkeit, Diarrhö und Bewusstseinsstörungen bis hin zum Koma auftreten. Problematisch sind Prof. Supprian zufolge vor allem hohe Dosierungen und/oder eine zu rasche Dosissteigerung.
Ein anticholinerges Delir unter Antidepressiva zeigt sich meist recht typisch: Neben einer Mydriasis fallen akute Desorientierung, Vigilanzstörungen, Unruhe sowie eine warme und trockene Haut auf, ggf. gepaart mit Übelkeit, in schweren Fällen auch epileptischen Anfällen oder optischen Halluzinationen. Die Gefahr ist unter trizyklischen Antidepressiva am größten. Delirante Syndrome werden aber zuweilen auch unter neueren antidepressiven Wirkstoffen beobachtet, so Prof. Supprian.
Die EKT wird zu selten eingesetzt
Verbietet sich trotz schwerer Depression eine Pharmakotherapie, z.B. wegen möglicher Arzneimittelinteraktionen, kann man auch bei älteren Menschen auf die Elektrokrampftherapie zurückgreifen. Es handle sich um ein hochwirksames Verfahren, vor dem viele Ärztinnen und Ärzte unbegründete Ängste hätten, so der Referent. Gerade wenn in der Pharmakotherapie zahlreiche Komplikationen auftreten, eine Therapieresistenz vorliegt oder die Patientinnen und Patienten an wahnhaften Depressionen leiden, habe diese Behandlung ihre Berechtigung.
Wichtig war Prof. Supprian der Stellenwert der Psychotherapie. Ihr Einsatz bei älteren Patientinnen und Patienten werde stetig besser evaluiert. Es zeigt sich eine gleichbleibend hohe Wirksamkeit über alle Altersstufen hinweg. Leider hegten ältere Menschen häufig Vorbehalte gegenüber einer Psychotherapie – und vor allem junge Therapeutinnen und Therapeuten hätten umgekehrt manchmal Zweifel daran, ob sie mit hochbetagten Patientinnen und Patienten arbeiten können. Diese Sorgen sind Prof. Supprian zufolge jedoch unbegründet. Er plädierte dafür, eine Psychopharmakotherapie in jedem Alter grundsätzlich mit einer psychotherapeutischen Behandlung zu kombinieren.
Bei älteren Patientinnen und Patienten kann es sinnvoll sein, die Dauer der einzelnen Therapiesitzungen möglichst kurz zu halten und dafür häufigere Treffen anzubieten. Hilfreich für Seniorinnen und Senioren ist es außerdem, wenn die Therapie in der häuslichen Umgebung stattfindet. Dies sei zwar noch nicht gängige Praxis, entsprechende Ansätze würden aktuell aber wissenschaftlich evaluiert, mit vielversprechenden Resultaten, so Prof. Supprian. Am stärksten profitieren Ältere davon, wenn in der Psychotherapie konkrete Strategien zur Problemlösung eingeübt werden. Auch der Einbezug von Angehörigen hat sich als sehr förderlich erwiesen.
Erschwert wird die antidepressive Therapie im Alter dadurch, dass es viele heterogene Ursachen für die Erkrankung geben kann. So sind vor allem bipolare Störungen stark genetisch determiniert, während für unipolare Depressionen reaktive Faktoren bedeutender sind, darunter psychische Traumata und Vereinsamung. Je später im Leben jedoch eine Depression auftritt, desto wahrscheinlicher werden organische Ursachen. Dazu zählen unerwünschte Wirkungen von Arzneimitteln, vaskuläre ZNS-Erkrankungen, ein beginnender Morbus Parkinson oder eine Alzheimerkrankheit.
Antidepressiva wirken nicht bei Demenzerkrankungen
Insbesondere bei Demenzen ist eine begleitende Depression sehr häufig. Diese tritt oft schon prämorbid oder im Frühstadium der demenziellen Erkrankung auf; das Leitsymptom ist Apathie. Psychotherapeutische Ansätze können in diesen Fällen wirksam sein, so Prof. Supprian, nicht jedoch Psychopharmaka. Ein Cochrane-Review aus dem Jahr 2018 ergab, dass die Behandlung mit Antidepressiva keinen Effekt auf depressive Symptome im Rahmen einer Demenz hatten. Die Qualität der Evidenz bewerteten die Review-Autoren dabei als hoch.
130. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin