16. Mai 2024Aus der Fachliteratur

Stressinduzierter Morbus Basedow

Belastende Lebensereignisse können unter Umständen zu einem Ausbrechen der Schilddrüsenerkrankung Morbus Basedow führen. Eine aktuelle niederländische Studie beleuchtet ein bislang wenig beachtetes Phänomen: Fällt der auslösende Stressor weg, kann sich die Basedow-Krankheit spontan zurückbilden.

Anatomie der menschlichen Schilddrüse. 3D-Abbildung
Rasi/AdobeStock

Eine Sammlung von 11 Fallberichten macht deutlich, dass es bei einer Subgruppe von Patientinnen und Patienten zu einer spontanen Regression der Erkrankung kommt, sobald die belastende Situation beseitigt wird. Einige der Betroffenen können sogar auf die Verwendung schilddrüsenhemmender Medikamente verzichten. Die im „Journal of the Endocrine Society“ publizierte Arbeit unterstreicht nicht nur die Bedeutung der Psyche für die Entstehung der Schilddrüsenerkrankung, sondern gibt auch Anlass, die bisherige Medikation in der Praxis zu überdenken.

Die Basedow-Krankheit ist eine Autoimmunerkrankung, bei der Autoantikörper gegen spezifische Schilddrüsenbestandteile gebildet werden. Diese Antikörper aktivieren die Schilddrüsenzellen, was zu einer Überproduktion von Schilddrüsenhormonen führt. „Man spricht daher auch von einer autoimmunen Schilddrüsenüberfunktion“, erklärt Prof. Dr. Detlef Moka, Vorsitzender des Berufsverbandes Deutscher Nuklearmediziner.

Frauen rund 10-mal so häufig betroffen

Diese kann zu Herzrasen, Schweißausbrüchen, Gewichtsverlust, Schlaflosigkeit und manchmal auch zum Hervortreten der Augäpfel, der sogenannten endokrinen Orbitopathie, führen. Frauen erkranken etwa 10-mal häufiger als Männer und es sind genetische Faktoren bekannt, welche die Entwicklung eines Morbus Basedow begünstigen. Längst weiß man, dass die Krankheit auch eine psychische Komponente hat. „Dem ersten Auftreten von Krankheitssymptomen gehen oft einschneidende Ereignisse wie der Tod eines nahen Angehörigen, eine schwere Erkrankung in der Familie, Beziehungskrisen oder der Verlust des Arbeitsplatzes voraus“, so Moka.

Hormonwerte normalisierten sich nach Ende der Belastungssituation

Welche Auswirkungen das Endes einer solchen psychischen Krise auf den Verlauf der Schilddrüsenüberfunktion hat, wurde bisher nicht untersucht, wie in der Publikation erwähnt. Jeresa Willems und Kollegen vom Zuyderland Medical Center in Sittard-Geleen, Niederlande, berichten über 11 Patientinnen und Patienten, die nach starkem emotionalen Stress aufgrund solch einschneidender Ereignisse an Morbus Basedow erkrankten. Obwohl sie die übliche Behandlung mit Thyreostatika ablehnten, normalisierten sich überraschenderweise bei 9 Patientinnen und Patienten die klinischen Symptome sowie die Hormonspiegel im Blut nach Beendigung der emotionalen Belastungssituation. Bei 5 Betroffenen hielt der krankheitsfreie Zustand dauerhaft an, während bei den übrigen 4 Erkrankten Morbus Basedow nach 1–4 Jahren zurückkehrte. Die Nachbeobachtungszeit lag im Mittel bei 2,3 Jahren.

Psychotherapie und Psychopharmaka beschleunigen Remission

Es ist bekannt, dass sich die Schilddrüsenfunktion bei Menschen mit Morbus Basedow wieder normalisieren kann. Die Autorinnen und Autoren der Studie verweisen auch auf frühere Studien, die gezeigt haben, dass Psychotherapie oder Psychopharmaka, die gleichzeitig mit der thyreostatischen Therapie verabreicht werden, die Remission beschleunigen und das Rückfallrisiko verringern. „Wie wirksam eine Stressreduktion ohne begleitende medikamentöse Therapie ist, wurde bislang aber noch nicht untersucht“, so der Essener Nuklearmediziner. Die Tatsache, dass ein Teil der Patientinnen und Patienten möglicherweise unmittelbar davon profitieren könnte – und fast die Hälfte in diesem kleinen Kollektiv sogar dauerhaft –, unterstreicht eindrucksvoll den Einfluss der Psyche auf das Autoimmungeschehen.

Nicht sofort mit Thyreostatika-Therapie beginnen

Die bei Morbus Basedow übliche Behandlung mit Thyreostatika kann mit unangenehmen Nebenwirkungen wie Hautausschlag, Juckreiz oder Haarausfall einhergehen und auf Dauer die Leber belasten. Deshalb werden die Medikamente häufig nur für 12–18 Monate verabreicht. Danach haben rund 60% der Betroffenen eine Remission erreicht. „Die niederländischen Fallbeispiele ermutigen dazu, nicht bei allen Patientinnen und Patienten sofort mit der medikamentösen Therapie zu beginnen, die einen stressbedingten Morbus Basedow erleiden“, betont Moka. Auch die Dauer der Thyreostatikagabe könnte flexibler gehandhabt und in manchen Fällen deutlich früher ein Auslassversuch unternommen werden.

Expertinnen und Experten sehen weiterhin Bedarf an zusätzlicher Forschung. Es wäre von großer Bedeutung für die klinische Praxis, Untergruppen von Betroffenen zu identifizieren, die sich hinsichtlich ihrer Remissionsaussichten unterscheiden und deutlich größere Patientenkollektive zu untersuchen. Die Fallbeispiele deuten darauf hin, dass Basedow-Patientinnen und -Patienten mit sehr hohen Autoantikörper- und Schilddrüsenhormonspiegeln möglicherweise nicht auf eine medikamentöse Behandlung verzichten können.

Quellen: