ÖGPP: Psychische Belastung durch die Klimakrise
In einer sich schnell verändernden Gesellschaft und Umwelt sind die (psychischen) Herausforderungen insbesondere für vulnerable Menschen enorm. Pandemien, Flucht und Migration, Einsamkeit, Klimawandel, Wirtschaftskrisen, soziale Ungleichheit etc. belasten die Psyche. Welche Auswirkungen im Speziellen die Klimakrise auf die psychische Gesundheit hat, wurde beim Österreichischen Psychiatriekongress in Wien diskutiert.
Gesellschaftliche Stressoren erhöhen das Risiko für psychische Erkrankungen. Dies spiegelt sich unter anderem in der Zunahme der psychischen Belastungen über die letzten Jahre wider: Rund 20% der österreichischen Bevölkerung leiden mittlerweile an depressiven Symptomen.1,2 Ein wesentlicher Treiber für die steigende Inzidenz ist der Klimawandel und die daraus resultierenden direkten und indirekten Folgen.
Psychische Auswirkungen des Klimawandels
Naturkatastrophen. Der Klimawandel kann direkte (z.B. Überschwemmungen) und indirekte Effekte (z.B. Migration) auf die Psyche haben. So sind etwa Menschen, die eine Naturkatastrophe erlebt haben, häufiger psychisch krank, berichtet Prof. Dr. Andreas Meyer-Lindenberg, Direktor des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) in seinem Eröffnungsvortrag. In einer Metaanalyse3 betrug die Prävalenz psychischer Erkrankungen von exponierten vs. nicht-exponierten Personen bei 38 vs. 26%. Das Risiko einer Neuerkrankung verdoppelte sich. Darüber hinaus gibt es Hinweise auf vermehrten Alkohol- und Substanzkonsum sowie häusliche Gewalt. Dies gilt insbesondere für posttraumatische Belastungsstörungen, Angsterkrankungen und Depressionen.
Langfristig werden psychische Beschwerden durch Trauer um Verstorbene, Verlust des Eigentums, wirtschaftliche Probleme z.B. nach Überschwemmungen begünstigt.4,5 „Krisen, wie Naturkatastrophen zeigen, dass wir unser Versorgungssystem besser aufstellen müssen, um effektiv reagieren zu können“, betont Meyer-Lindenberg. Eine gute psychiatrische und psychosoziale Versorgung, innovative und partizipative Forschung sowie adäquate Präventionsangebote stärken die allgemeine psychische Gesundheit und machen krisenfester.
Temperaturanstieg. „Zwischen Erderwärmung und Gewalt gibt es einen empirisch sehr gut belegten, allerdings von seinem Mechanismus noch nicht wirklich verstandenen Zusammenhang“, berichtet Meyer-Lindenberg.6,7 „Wenn jetzt nichts geschieht, werden Konflikte und Gewalt zunehmen. Eine Einheit mehr Niederschlag oder Temperaturanstieg bedeutet 4% mehr zwischenmenschliche Gewalt und 14% mehr Konflikte zwischen Gruppen.“ Hitzewellen erhöhen die Inzidenz von Suiziden und Todesfällen bei psychisch kranken Menschen. Psychiatrische Notfallkontakte und Krankenhauseinweisungen nehmen ebenso zu wie Angsterkrankungen, affektive und organische Störungen und Schizophrenie. Weiters kommt es u.a. zu einer Verschlechterung der Symptome, insbesondere bei Schizophrenie und Demenz.8,9
Luftverschmutzung. Ein wesentlicher Faktor für die Psyche ist auch die Luftverschmutzung, die sich schädlich auf die kognitive Funktion auswirkt. Eine höhere Feinstaubbelastung ist mit einem erhöhten Risiko für psychiatrische Erkrankungen, einer Zunahme psychiatrischer Notfälle, einer erhöhten Suizidalität und einer erhöhten Prävalenz von Depressionen verbunden.10–11
Die Kosten der Klimakatastrophe sind ungleich verteilt
Global betrachtet leiden ärmere Länder unverhältnismäßig stärker unter den Auswirkungen des Klimawandels, haben weniger Ressourcen für Krisen- und Risikomanagement und verfügen auch über weniger Kapazitäten in den Gesundheitssystemen, um die psychischen Folgen aufzufangen, betont Meyer-Lindenberg.5,12
Innerhalb einer Gesellschaften sind vor allem vulnerable Gruppen betroffen, zum Beispiel ethnische Minderheiten, indigene Gruppen, Geflüchtete und Migranten, arme Menschen und Obdachlose, Frauen und Kinder, Arbeiter und Landwirte sowie Menschen mit psychischen Erkrankungen.
Folgen für Psychiatrie und Psychotherapie
„Insgesamt werden die Folgen des Klimawandels unterschätzt, weil viele Effekte in den Klimamodellen noch nicht berücksichtigt sind“, so Meyer-Lindenberg. Für Psychiaterinnen und Psychiater bedeutet die Klimakrise vor allem auch einen neuen und steigenden Versorgungsbedarf, denn psychisch kranke Menschen sind in gesellschaftlichen Krisen besonders verletzlich. Neu auftretende Syndrome erfordern neue Behandlungsmöglichkeiten. „Prävention psychischer Erkrankungen ist wichtiger denn je“, resümiert Meyer-Lindenberg.
Neue Syndrome durch Klimawandel
- Eco-Distress: emotionale Reaktionen angesichts der Umweltzerstörung der Erde: Hoffnungslosigkeit, Traurigkeit, Schuldgefühle, Wut, Sorgen, Angst, Panik
- Solastalgie: emotionaler Schmerz nach Veränderung der Heimat durch Umweltzerstörung
- Klimaangst: Befürchtung, in Zukunft selbst direkt vom Klimawandel betroffen zu sein; durch Einsamkeit verstärkt
„Psychiatrie in der Gesellschaft“, Eröffnungsvortrag im Rahmen der Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Wien, 25.4.24
- Austria Health Report 2023
- Mental Health Survey, RKI 2023
- Beaglehole B et al., Br J Psychiatry 2018; 213(6):716–722
- Fernandez A et al., PLOS one 2015 ; https://doi.org/10.1371/journal.pone.0119929
- Cianconi P et al., Front. Psychiatry 2020; https://doi.org/10.3389/fpsyt.2020.00074
- Levy B et al., Annual Review 2017; 38:241–257
- Hsiang SM et al., Science 2013 ; doi: 10.1126/science.123536
- Liu J et al., Environment International 2021 ; https://doi.org/10.1016/j.envint.2021.106533
- Thompson R et al., Public health 2018, https://doi.org/10.1016/j.puhe.2018.06.008
- Khan A et al., PLOS Biology 2019 ; https://doi.org/10.1371/journal.pbio.3000353
- Braithwaite I et al., Environ Health Perspect 2019; 127(12):126002
- Union of Concerned Scientists 2020