22. Apr. 2024Österreich im Spitzenfeld

Masern – warum schon wieder?

2024 scheint ein Spitzenjahr zu werden: Bereits Mitte April wurden österreichweit 397 Masernfälle bestätigt, mehr als doppelt so viele wie im gesamten letzten Jahr. Nur Rumänien verzeichnet mehr Masernfälle innerhalb der EU. Ein trauriger Rekord, den es mithilfe des Impfens zu unterbrechen gilt.

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Yelena Shander/AdobeStock

Wenn in einem Land die Durchimpfungsrate (mit 2 Impfungen) unter 95% liegt, dann kommt es alle paar Jahre zu größeren Masernausbrüchen.

„Dieses Auf und Ab ist typisch“, sagt Assoc.-Prof. Priv.-Doz. Dr. Lukas Weseslindtner, Zentrum für Virologie der Medizinischen Universität Wien. „Aber 397 Fälle bereits im April – das ist schon etwas Besonderes“, so der Leiter des Nationalen Referenzzentrums für Masern. Mit einer Inzidenz von über 40 bereits im April sind wir vom Ziel der WHO (1 bestätigter Fall pro 1.000 000 Einwohner) meilenweit entfernt. Österreich war schon 2023 gemeinsam mit Rumänien Spitzenreiter in Europa gewesen.

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MedUni Wien / feelimage

Assoc.-Prof. Priv.-Doz. Dr. Lukas Weseslindtner

Dass die Infektionskrankheit mitnichten nur Kinder, sondern auch Erwachsene betrifft, zeigt eine aktuelle Auswertung von Dr. David Springer, Zentrum für Virologie in Wien: Vor allem in Wien haben heuer nicht wenige Menschen zwischen 30 und 40 eine Maserninfektion durchgemacht. Hier geht man von einer Impflücke aus, die diese Menschen bereits ihr gesamtes Leben mitschleifen. Generell zeigte sich in der Auswertung, dass das mittlere Erkrankungsalter je nach Bundesland sehr unterschiedlich ist.

Systemische Virusinfektion

Was passiert also bei einer Infektion? Das Virus dringt über bestimmte Rezeptoren – im weitesten Sinne sind das Immunrezeptoren – in die Zelle ein und bringt die Zelle dazu, Virusbestandteile zu bilden. Schließlich werden diese Teile zusammengebaut, das Virus wird nach außen abgegeben und infiziert neue Zellen. Zunächst ist vor allem das lymphatische System betroffen, also jenes System, das eigentlich für die Immunabwehr zuständig wäre. Erst in einem zweiten Schritt „streut“ das Masernvirus auch in andere Organe wie Lunge, Darm, Harnblase und schließlich auch ins zentrale Nervensystem. Daraus erklärt sich auch die hohe Komplikationsrate von 20%: angefangen von der hämorrhagischen Lungenentzündung bis zur Masernenzephalitis. Besonders gefürchtet ist die subakute sklerosierende Panenzephalitis (SSPE), die erst Jahre nach der Infektion manifest wird. Das Risiko dafür ist besonders hoch, wenn die Infektion vor dem 1. Lebensjahr auftritt.

Masern ist hochansteckend

Masern hat eine der höchsten Reproduktionszahlen überhaupt. Das ist jene Zahl von nicht-immunen Menschen, die eine infizierte Indexperson im Schnitt ansteckt. Bei Masern liegt die Reproduktionszahl zwischen 12 und 18. Das heißt, eine Person mit Masern steckt bis zu 18 Menschen in einer ungeschützten Population an. Weseslindtner: „In der Realität führt das dazu, dass sehr kurze Kontakte ausreichen, um das Virus zu übertragen. Es ist schon passiert, dass Menschen bei einer infizierten Person nur vorbeigegangen sind, um sich einen Kaffee zu holen, und sich dabei angesteckt haben.“

Ein weiteres Problem ist, dass die Inkubationszeit mit 10–14 Tagen verhältnismäßig lang ist und die Prodromi (Husten, Schnupfen, Konjunktivitis) relativ unspezifisch sind. In dieser Phase – noch bevor der Hautausschlag auftritt – sind die Infizierten bereits hochansteckend. „Masern beginnen wie ein banaler respiratorischer Infekt, erst 3–4 Tage später tritt das typische Exanthem auf“, gab der Experte zu bedenken. Das führt dazu, dass eine Maserninfektion in der Frühphase klinisch oft nicht erkannt wird. Wird wegen des Verdachts eines bakteriellen Infekts dann auch noch ein Antibiotikum verschrieben, und es tritt kurze Zeit später ein Ausschlag auf, gerät man leicht ins falsche Fahrwasser, weil man von einem Arzneimittelexanthem ausgeht.

Hilfreich bei der Diagnose von Masern in der Prodromalphase können die Koplik-Flecken sein, kalkspritzerartige weiße Flecken in der Wangenschleimhaut, die pathognomisch für Masern sind. Sie treten meist schon vor dem typischen makulopapulösen Exanthem auf, das am Kopf beginnt und sich über den Stamm ausbreitet.

Messbare Immunsuppression nach Masern

Fakt ist, dass es den Organismus unglaublich viel Kraft kostet, die Infektion in den Griff zu bekommen. Betroffene sind nach Masern nachweislich anfälliger für andere Infektionskrankheiten, und die Verläufe dieser Infektionen sind schwerer. Das liegt daran, dass das Immunsystem durch Masern akut geschädigt wird. Aufgrund des Zelluntergangs von Lymphozyten kommt es zur Lymphopenie, betroffen sind vor allem Gedächtniszellen. Das führt zu einem Abfall von Antiköpern im Blut von Menschen, die eine Maserninfektion durchgemacht haben. „Masern induzieren eine klinisch messbare Immunsuppression selbst bei milden Verläufen“, erklärt der Virologe mit Hinweis auf die in Science publizierte Studie1. Es dauere mitunter Jahre, bis das immunologische Gedächtnis wiederaufgebaut ist. Das hat weitreichende Folgen: Eine ebenfalls in Science publizierte epidemiologische Studie2 zeigte, dass es in England, in den USA und in Dänemark nach Masernepidemien zeitversetzt zu einer erhöhten Sterblichkeit auf Grund von anderen Infektionskrankheiten gekommen ist.

Lieber kein Mut zur Impflücke

Bevor es die Impfung gab, haben fast alle Menschen Masern durchgemacht und eine robuste Immunität aufgebaut. Mit Einführung der Lebendimpfung war die von den Menschen erworbene Immunität vor allem auf die Impfung zurückzuführen. Im Vergleich zu Menschen, die die Infektion auf natürlichem Weg durchgemacht hatten, war die Konzentration der Antikörper bei den Geimpften allerdings etwas niedriger. Gleichzeitig ging die Maserninzidenz stark zurück, und all jene, die sich nicht impfen ließen, hatten kaum mehr Kontakt mit dem Virus. Das erklärt, warum jetzt zunehmend auch Erwachsene an Masern erkranken. Um einen guten Schutz in der gesamten Bevölkerung zu erreichen, braucht es nicht nur eine Durchimpfungsrate von mindestens 95%, sondern auch eine gleichmäßig verteilte Immunität. „Wenn einzelne Gruppen keinen ausreichenden Schutz haben, bahnt sich das Virus eben dort seinen Weg“, mahnt Weseslindtner. Damit das nicht passieren kann, gibt es eine einfache Lösung: Mit 2 Lebendimpfungen sind die allermeisten Menschen ein Leben lang zu nahezu 100% geschützt!

Diagnostik aus allen Säften

Da es sich bei Masern um eine systemische Infektion handelt, kann für die PCR-Diagnostik so gut wie jedes Untersuchungsmaterial verwendet werden: Nasen- und Rachenabstrich, Harn oder Blut. Heikler ist die serologische Diagnostik, so der Masern-Experte: „Wenn der Ausschlag gerade erst aufgetreten ist, kann es sein, dass IgM-Antikörper noch nicht in ausreichender Menge vorhanden sind. Die PCR-Untersuchung hat – vor allem am Anfang – eine viel höhere Sensitivität als die serologische Untersuchung!“

Quelle: Online-Fortbildung der Österreichischen Impfakademie in Kooperation mit der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde; März 2024